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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts.
traditionen, zeigen da einen genetischen Zusammenhang auf, wo
entweder die Sprachforschung oder die Schädelforschung für sich
allein rathlos vor unübersteiglich scheinenden Abgründen stehen. Und
gerade jenes dunkle Sündebewußtsein, jene unheimliche Dämonen-
furcht, die sich in mehreren der bedeutsamsten jener Gebräuche aus-
drücken, geben die wahre Ursache zu erkennen, worauf der dermalige
zerrissene und zerstückte Zustand der Menschheit in letzter Jnstanz
beruht, weisen also ebendahin zurück, wo die biblische Ueberlieferung
mit ihren Berichten vom verlorenen Paradies, sowie weiterhin von
der Sintfluth und Sprachentrennung den Proceß des sichausbreiten-
den Völkerlebens beginnen läßt.

Steht es aber so um die Einheitsfrage, so ist auch die Frage
wegen des Ursitzes im Allgemeinen entschieden. Darf die Bibel
uns als Autorität gelten, wenn wir den Widerstreit der Meinungen
über Zahl und Ursprung der Menschheitsracen im monogenistischen
Sinne schlichten, so darf ihr Zeugniß uns auch maaßgebend für
unsre Bestimmung des Ursitzes dieser Racen sein. Daß dieser
Ursitz ein ostwärts vom Heimathlande des Buchs der Offenbarung,
irgendwo im südlichen Asien gelegener war, bestätigen auch die
erheblichsten ethnologischen und naturwissenschaftlichen Jnstanzen.
Weder Südafrika noch Amerika, weder eine mythische Atlantis noch
ein tertiäres Lemuria haben auch nur halb so gute Ansprüche darauf
als Ausgangspunkt beider zusammen, unsres Geschlechts und der
ihm überallhin folgenden Hausthiere und Cerealien, zu gelten, als
das vom Euphrat westlich, vom Jndus oder Ganges
östlich begrenzte Gebiet.
Die Doppelparadiese mittelalterlicher
Sagen und neuerer geschichtsphilosophischer Speculation können kein
Gewicht in die Wagschaale werfen, so wenig wie jene individuellen
Sagen einzelner älterer oder neuerer Völker, welche diese oder jene
besondere Gegend oder Stadt ihres Bereichs als einstige Geburts-
stätte der Menschheit bezeichnen, irgendwie maaßgebend genannt
werden können. Wollte man diese Ausgeburten des nationalstolzen
Autochthonenaberglaubens hier mitberücksichtigen, so würde das zu

Zöckler, Urstand. 16

VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
traditionen, zeigen da einen genetiſchen Zuſammenhang auf, wo
entweder die Sprachforſchung oder die Schädelforſchung für ſich
allein rathlos vor unüberſteiglich ſcheinenden Abgründen ſtehen. Und
gerade jenes dunkle Sündebewußtſein, jene unheimliche Dämonen-
furcht, die ſich in mehreren der bedeutſamſten jener Gebräuche aus-
drücken, geben die wahre Urſache zu erkennen, worauf der dermalige
zerriſſene und zerſtückte Zuſtand der Menſchheit in letzter Jnſtanz
beruht, weiſen alſo ebendahin zurück, wo die bibliſche Ueberlieferung
mit ihren Berichten vom verlorenen Paradies, ſowie weiterhin von
der Sintfluth und Sprachentrennung den Proceß des ſichausbreiten-
den Völkerlebens beginnen läßt.

Steht es aber ſo um die Einheitsfrage, ſo iſt auch die Frage
wegen des Urſitzes im Allgemeinen entſchieden. Darf die Bibel
uns als Autorität gelten, wenn wir den Widerſtreit der Meinungen
über Zahl und Urſprung der Menſchheitsracen im monogeniſtiſchen
Sinne ſchlichten, ſo darf ihr Zeugniß uns auch maaßgebend für
unſre Beſtimmung des Urſitzes dieſer Racen ſein. Daß dieſer
Urſitz ein oſtwärts vom Heimathlande des Buchs der Offenbarung,
irgendwo im ſüdlichen Aſien gelegener war, beſtätigen auch die
erheblichſten ethnologiſchen und naturwiſſenſchaftlichen Jnſtanzen.
Weder Südafrika noch Amerika, weder eine mythiſche Atlantis noch
ein tertiäres Lemuria haben auch nur halb ſo gute Anſprüche darauf
als Ausgangspunkt beider zuſammen, unſres Geſchlechts und der
ihm überallhin folgenden Hausthiere und Cerealien, zu gelten, als
das vom Euphrat weſtlich, vom Jndus oder Ganges
öſtlich begrenzte Gebiet.
Die Doppelparadieſe mittelalterlicher
Sagen und neuerer geſchichtsphiloſophiſcher Speculation können kein
Gewicht in die Wagſchaale werfen, ſo wenig wie jene individuellen
Sagen einzelner älterer oder neuerer Völker, welche dieſe oder jene
beſondere Gegend oder Stadt ihres Bereichs als einſtige Geburts-
ſtätte der Menſchheit bezeichnen, irgendwie maaßgebend genannt
werden können. Wollte man dieſe Ausgeburten des nationalſtolzen
Autochthonenaberglaubens hier mitberückſichtigen, ſo würde das zu

Zöckler, Urſtand. 16
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[241/0251] VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. traditionen, zeigen da einen genetiſchen Zuſammenhang auf, wo entweder die Sprachforſchung oder die Schädelforſchung für ſich allein rathlos vor unüberſteiglich ſcheinenden Abgründen ſtehen. Und gerade jenes dunkle Sündebewußtſein, jene unheimliche Dämonen- furcht, die ſich in mehreren der bedeutſamſten jener Gebräuche aus- drücken, geben die wahre Urſache zu erkennen, worauf der dermalige zerriſſene und zerſtückte Zuſtand der Menſchheit in letzter Jnſtanz beruht, weiſen alſo ebendahin zurück, wo die bibliſche Ueberlieferung mit ihren Berichten vom verlorenen Paradies, ſowie weiterhin von der Sintfluth und Sprachentrennung den Proceß des ſichausbreiten- den Völkerlebens beginnen läßt. Steht es aber ſo um die Einheitsfrage, ſo iſt auch die Frage wegen des Urſitzes im Allgemeinen entſchieden. Darf die Bibel uns als Autorität gelten, wenn wir den Widerſtreit der Meinungen über Zahl und Urſprung der Menſchheitsracen im monogeniſtiſchen Sinne ſchlichten, ſo darf ihr Zeugniß uns auch maaßgebend für unſre Beſtimmung des Urſitzes dieſer Racen ſein. Daß dieſer Urſitz ein oſtwärts vom Heimathlande des Buchs der Offenbarung, irgendwo im ſüdlichen Aſien gelegener war, beſtätigen auch die erheblichſten ethnologiſchen und naturwiſſenſchaftlichen Jnſtanzen. Weder Südafrika noch Amerika, weder eine mythiſche Atlantis noch ein tertiäres Lemuria haben auch nur halb ſo gute Anſprüche darauf als Ausgangspunkt beider zuſammen, unſres Geſchlechts und der ihm überallhin folgenden Hausthiere und Cerealien, zu gelten, als das vom Euphrat weſtlich, vom Jndus oder Ganges öſtlich begrenzte Gebiet. Die Doppelparadieſe mittelalterlicher Sagen und neuerer geſchichtsphiloſophiſcher Speculation können kein Gewicht in die Wagſchaale werfen, ſo wenig wie jene individuellen Sagen einzelner älterer oder neuerer Völker, welche dieſe oder jene beſondere Gegend oder Stadt ihres Bereichs als einſtige Geburts- ſtätte der Menſchheit bezeichnen, irgendwie maaßgebend genannt werden können. Wollte man dieſe Ausgeburten des nationalſtolzen Autochthonenaberglaubens hier mitberückſichtigen, ſo würde das zu Zöckler, Urſtand. 16

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/251>, abgerufen am 22.11.2024.