Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts.
menow, v. Kremer, Maspero, v. Richthofen etc.). Die Lage dieses
Hochlands ist zwar eine sehr centrale, aber doch viel zu hoch und
zu unwirthbar kalt, als daß anders als bei gleichzeitiger Voraus-
setzung des bedeutendsten klimatischen Wechsels ein Ausgegangensein
der Menschheit von hier aus behauptet werden könnte.1) Auch ist
die Pamer-Hochebene Quellgegend nur Eines beträchtlicheren Flusses,
des Oxus, und man verwirrt sich in Abenteuerlichkeiten, wenn man
diese oder jene kleineren in der Nähe entspringenden Flüsse mit herbei
ziehen will.2) Weiter nach Süden zu wird man ohnehin durch jene
indischen Namen-Anklänge gewiesen; und was vor Allem auch für
Vorderindien, die mittlere Jndus- und Ganges-Gegend oder die
Länder südl. und südwestl. vom Himalaya spricht, ist der schon oben
berührte Umstand, daß gerade diese reichgesegnete Gegend als Ursitz
unsrer meisten Culturpflanzen, insbesondere der Cerealien, dieser
vornehmsten Hebel menschlicher Culturentwicklung zu gelten haben
dürfte.3) -- Man kann, wenn man diese geographischen und natur-
historischen Erwägungen als entscheidend zu Gunsten einer vorder-
indischen Lage des Paradieses ansehen will, immerhin zu jener Butt-
mann-Ewaldschen Hypothese, wonach die früher am Jndus etc. haftende
Paradiesesvorstellung mit ihren semitischen Trägern nach den Euphrat-
gegenden übergewandert und dort theilweise ungebildet worden wäre,
zurückgreifen, und zwar dieß möglicherweise auch so, daß man die

1) Einen solchen Klima-Wechsel statuiren freilich mehrere Vertreter der betr.
Annahme. A. de Quatrefages (Das Menschengeschlecht, I, 205) treibt die For-
derung, daß ein derartiger Wechsel vorausgesetzt werde, so weit, daß er geradezu
eine Region Nordasiens, sei es die Mongolei, sei es Sibirien in der Mammuth-
periode, als das muthmaaßliche Schöpfungscentrum der Menschheit zu bezeichnen
wagt.
2) Wie der Russische Gelehrte Semenow das versuchte, indem er Oxus,
Talas, Sarafschan und Varsaminar als die vier dem Pamer-Paradiese ent-
strömenden Flüsse betrachtet wissen wollte! Vgl. Globus, 1873, S. 349.
3) Siehe hiefür besonders G. Gerland, Anthropologische Beiträge, Halle
1874, I, S. 100 ff; S. 131 ff.
15*

VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
menow, v. Kremer, Maspéro, v. Richthofen ꝛc.). Die Lage dieſes
Hochlands iſt zwar eine ſehr centrale, aber doch viel zu hoch und
zu unwirthbar kalt, als daß anders als bei gleichzeitiger Voraus-
ſetzung des bedeutendſten klimatiſchen Wechſels ein Ausgegangenſein
der Menſchheit von hier aus behauptet werden könnte.1) Auch iſt
die Pamer-Hochebene Quellgegend nur Eines beträchtlicheren Fluſſes,
des Oxus, und man verwirrt ſich in Abenteuerlichkeiten, wenn man
dieſe oder jene kleineren in der Nähe entſpringenden Flüſſe mit herbei
ziehen will.2) Weiter nach Süden zu wird man ohnehin durch jene
indiſchen Namen-Anklänge gewieſen; und was vor Allem auch für
Vorderindien, die mittlere Jndus- und Ganges-Gegend oder die
Länder ſüdl. und ſüdweſtl. vom Himalaya ſpricht, iſt der ſchon oben
berührte Umſtand, daß gerade dieſe reichgeſegnete Gegend als Urſitz
unſrer meiſten Culturpflanzen, insbeſondere der Cerealien, dieſer
vornehmſten Hebel menſchlicher Culturentwicklung zu gelten haben
dürfte.3) — Man kann, wenn man dieſe geographiſchen und natur-
hiſtoriſchen Erwägungen als entſcheidend zu Gunſten einer vorder-
indiſchen Lage des Paradieſes anſehen will, immerhin zu jener Butt-
mann-Ewaldſchen Hypotheſe, wonach die früher am Jndus ꝛc. haftende
Paradieſesvorſtellung mit ihren ſemitiſchen Trägern nach den Euphrat-
gegenden übergewandert und dort theilweiſe ungebildet worden wäre,
zurückgreifen, und zwar dieß möglicherweiſe auch ſo, daß man die

1) Einen ſolchen Klima-Wechſel ſtatuiren freilich mehrere Vertreter der betr.
Annahme. A. de Quatrefages (Das Menſchengeſchlecht, I, 205) treibt die For-
derung, daß ein derartiger Wechſel vorausgeſetzt werde, ſo weit, daß er geradezu
eine Region Nordaſiens, ſei es die Mongolei, ſei es Sibirien in der Mammuth-
periode, als das muthmaaßliche Schöpfungscentrum der Menſchheit zu bezeichnen
wagt.
2) Wie der Ruſſiſche Gelehrte Semenow das verſuchte, indem er Oxus,
Talas, Sarafſchan und Varſaminar als die vier dem Pamer-Paradieſe ent-
ſtrömenden Flüſſe betrachtet wiſſen wollte! Vgl. Globus, 1873, S. 349.
3) Siehe hiefür beſonders G. Gerland, Anthropologiſche Beiträge, Halle
1874, I, S. 100 ff; S. 131 ff.
15*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="227"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Der Ur&#x017F;itz des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.</fw><lb/>
menow, v. Kremer, Masp<hi rendition="#aq">é</hi>ro, v. Richthofen &#xA75B;c.). Die Lage die&#x017F;es<lb/>
Hochlands i&#x017F;t zwar eine &#x017F;ehr centrale, aber doch viel zu hoch und<lb/>
zu unwirthbar kalt, als daß anders als bei gleichzeitiger Voraus-<lb/>
&#x017F;etzung des bedeutend&#x017F;ten klimati&#x017F;chen Wech&#x017F;els ein Ausgegangen&#x017F;ein<lb/>
der Men&#x017F;chheit von hier aus behauptet werden könnte.<note place="foot" n="1)">Einen &#x017F;olchen Klima-Wech&#x017F;el &#x017F;tatuiren freilich mehrere Vertreter der betr.<lb/>
Annahme. A. de Quatrefages (Das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht, <hi rendition="#aq">I,</hi> 205) treibt die For-<lb/>
derung, daß ein derartiger Wech&#x017F;el vorausge&#x017F;etzt werde, &#x017F;o weit, daß er geradezu<lb/>
eine Region <hi rendition="#g">Norda</hi>&#x017F;iens, &#x017F;ei es die Mongolei, &#x017F;ei es Sibirien in der Mammuth-<lb/>
periode, als das muthmaaßliche Schöpfungscentrum der Men&#x017F;chheit zu bezeichnen<lb/>
wagt.</note> Auch i&#x017F;t<lb/>
die Pamer-Hochebene Quellgegend nur Eines beträchtlicheren Flu&#x017F;&#x017F;es,<lb/>
des Oxus, und man verwirrt &#x017F;ich in Abenteuerlichkeiten, wenn man<lb/>
die&#x017F;e oder jene kleineren in der Nähe ent&#x017F;pringenden Flü&#x017F;&#x017F;e mit herbei<lb/>
ziehen will.<note place="foot" n="2)">Wie der Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Gelehrte Semenow das ver&#x017F;uchte, indem er Oxus,<lb/>
Talas, Saraf&#x017F;chan und Var&#x017F;aminar als die vier dem Pamer-Paradie&#x017F;e ent-<lb/>
&#x017F;trömenden Flü&#x017F;&#x017F;e betrachtet wi&#x017F;&#x017F;en wollte! Vgl. Globus, 1873, S. 349.</note> Weiter nach Süden zu wird man ohnehin durch jene<lb/>
indi&#x017F;chen Namen-Anklänge gewie&#x017F;en; und was vor Allem auch für<lb/>
Vorderindien, die mittlere Jndus- und Ganges-Gegend oder die<lb/>
Länder &#x017F;üdl. und &#x017F;üdwe&#x017F;tl. vom Himalaya &#x017F;pricht, i&#x017F;t der &#x017F;chon oben<lb/>
berührte Um&#x017F;tand, daß gerade die&#x017F;e reichge&#x017F;egnete Gegend als Ur&#x017F;itz<lb/>
un&#x017F;rer mei&#x017F;ten Culturpflanzen, insbe&#x017F;ondere der Cerealien, die&#x017F;er<lb/>
vornehm&#x017F;ten Hebel men&#x017F;chlicher Culturentwicklung zu gelten haben<lb/>
dürfte.<note place="foot" n="3)">Siehe hiefür be&#x017F;onders G. <hi rendition="#g">Gerland,</hi> Anthropologi&#x017F;che Beiträge, Halle<lb/>
1874, <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 100 ff; S. 131 ff.</note> &#x2014; Man kann, wenn man die&#x017F;e geographi&#x017F;chen und natur-<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erwägungen als ent&#x017F;cheidend zu Gun&#x017F;ten einer vorder-<lb/>
indi&#x017F;chen Lage des Paradie&#x017F;es an&#x017F;ehen will, immerhin zu jener Butt-<lb/>
mann-Ewald&#x017F;chen Hypothe&#x017F;e, wonach die früher am Jndus &#xA75B;c. haftende<lb/>
Paradie&#x017F;esvor&#x017F;tellung mit ihren &#x017F;emiti&#x017F;chen Trägern nach den Euphrat-<lb/>
gegenden übergewandert und dort theilwei&#x017F;e ungebildet worden wäre,<lb/>
zurückgreifen, und zwar dieß möglicherwei&#x017F;e auch &#x017F;o, daß man die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0237] VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. menow, v. Kremer, Maspéro, v. Richthofen ꝛc.). Die Lage dieſes Hochlands iſt zwar eine ſehr centrale, aber doch viel zu hoch und zu unwirthbar kalt, als daß anders als bei gleichzeitiger Voraus- ſetzung des bedeutendſten klimatiſchen Wechſels ein Ausgegangenſein der Menſchheit von hier aus behauptet werden könnte. 1) Auch iſt die Pamer-Hochebene Quellgegend nur Eines beträchtlicheren Fluſſes, des Oxus, und man verwirrt ſich in Abenteuerlichkeiten, wenn man dieſe oder jene kleineren in der Nähe entſpringenden Flüſſe mit herbei ziehen will. 2) Weiter nach Süden zu wird man ohnehin durch jene indiſchen Namen-Anklänge gewieſen; und was vor Allem auch für Vorderindien, die mittlere Jndus- und Ganges-Gegend oder die Länder ſüdl. und ſüdweſtl. vom Himalaya ſpricht, iſt der ſchon oben berührte Umſtand, daß gerade dieſe reichgeſegnete Gegend als Urſitz unſrer meiſten Culturpflanzen, insbeſondere der Cerealien, dieſer vornehmſten Hebel menſchlicher Culturentwicklung zu gelten haben dürfte. 3) — Man kann, wenn man dieſe geographiſchen und natur- hiſtoriſchen Erwägungen als entſcheidend zu Gunſten einer vorder- indiſchen Lage des Paradieſes anſehen will, immerhin zu jener Butt- mann-Ewaldſchen Hypotheſe, wonach die früher am Jndus ꝛc. haftende Paradieſesvorſtellung mit ihren ſemitiſchen Trägern nach den Euphrat- gegenden übergewandert und dort theilweiſe ungebildet worden wäre, zurückgreifen, und zwar dieß möglicherweiſe auch ſo, daß man die 1) Einen ſolchen Klima-Wechſel ſtatuiren freilich mehrere Vertreter der betr. Annahme. A. de Quatrefages (Das Menſchengeſchlecht, I, 205) treibt die For- derung, daß ein derartiger Wechſel vorausgeſetzt werde, ſo weit, daß er geradezu eine Region Nordaſiens, ſei es die Mongolei, ſei es Sibirien in der Mammuth- periode, als das muthmaaßliche Schöpfungscentrum der Menſchheit zu bezeichnen wagt. 2) Wie der Ruſſiſche Gelehrte Semenow das verſuchte, indem er Oxus, Talas, Sarafſchan und Varſaminar als die vier dem Pamer-Paradieſe ent- ſtrömenden Flüſſe betrachtet wiſſen wollte! Vgl. Globus, 1873, S. 349. 3) Siehe hiefür beſonders G. Gerland, Anthropologiſche Beiträge, Halle 1874, I, S. 100 ff; S. 131 ff. 15*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/237
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/237>, abgerufen am 03.05.2024.