Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts. es doch die Babylonier gewesen sein sollten, welche diese den Schwer-punkt des menschlichen Ursitzes nach Westen zu rückende Ueber- lieferung ausgebildet hätten. Ernstlichere Erwägung verdient der bis auf J. D. Michaelis (1769) zurückgehende, durch Wahl, Hart- mann, Sickler, Hammer, Knobel, Bunsen etc. aufgenommene und ver- schiedentlich weiter gebildete Versuch, dem Paradiesesschauplatz, wie Reland denselben bestimmt hatte, eine beträchtliche Erweiterung nach Osten hin zu geben, und zwar dieß durch Bestimmung des Flusses Gihon als des Oxus, dessen arabischer Name in der That Dschai- hun lautet, sowie eventuell des Pison als des Jndus oder auch als des Jaxartes. Bei der colossalen Ausdehnung des durch diese Bestimmungen umspannten Areals muß allerdings der streng ge- schichtliche Charakter der biblischen Schilderung preisgegeben und ent- weder eine mehr nur ideale Geltung oder eine Beeinflussung der- selben durch sagenhafte Vorstellungen angenommen werden; wie denn auch mehrere Vertreter der Annahme (Buttmann, Ewald, Grill etc.) ein Wandern der Sage von Osten nach Westen zu be- haupten, das sich in der angeblich späteren Hinzugesellung des Euphrat und Tigris zum Gihon und Pison, d. h. zum Ganges und Jndus, verrathe. So gewagt diese letztere Annahme nun auch sein mag: an manchen begünstigenden Momenten fehlt es der Hypo- these im Ganzen nicht. Die Schönheit und üppige Fruchtbarkeit einer Gegend wie die von Kaschmir legt von selbst den Gedanken, daß hier der Garten Eden gewesen sein müsse, nahe; für einige Namen wie Pison (Hyphasis?), Chavila (Kapila?), Kusch (Kuca) lassen sich überraschende indische Gleichklänge nachweisen. Jedenfalls würde, wenn man diese Ausdehnung des Paradieses über das ganze südliche Hochasien von den Euphratquellen bis nach Vorderindien hin annehmen will, eine Lieblingsvorstellung neuer Geographen zu vermeiden sein: die nemlich, wonach speciell das Pamer-Plateau, das s. g. "Dach der Welt" zwischen den Bergketten Belur Tagh und Hindukuh, für die Wiege der Menschheit zu erklären wäre (Obry, Renan, E. v. Bunsen, Plank, Scharling, O. Wolff, Gordon, Se- VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. es doch die Babylonier geweſen ſein ſollten, welche dieſe den Schwer-punkt des menſchlichen Urſitzes nach Weſten zu rückende Ueber- lieferung ausgebildet hätten. Ernſtlichere Erwägung verdient der bis auf J. D. Michaelis (1769) zurückgehende, durch Wahl, Hart- mann, Sickler, Hammer, Knobel, Bunſen ꝛc. aufgenommene und ver- ſchiedentlich weiter gebildete Verſuch, dem Paradieſesſchauplatz, wie Reland denſelben beſtimmt hatte, eine beträchtliche Erweiterung nach Oſten hin zu geben, und zwar dieß durch Beſtimmung des Fluſſes Gihon als des Oxus, deſſen arabiſcher Name in der That Dſchai- hun lautet, ſowie eventuell des Piſon als des Jndus oder auch als des Jaxartes. Bei der coloſſalen Ausdehnung des durch dieſe Beſtimmungen umſpannten Areals muß allerdings der ſtreng ge- ſchichtliche Charakter der bibliſchen Schilderung preisgegeben und ent- weder eine mehr nur ideale Geltung oder eine Beeinfluſſung der- ſelben durch ſagenhafte Vorſtellungen angenommen werden; wie denn auch mehrere Vertreter der Annahme (Buttmann, Ewald, Grill ꝛc.) ein Wandern der Sage von Oſten nach Weſten zu be- haupten, das ſich in der angeblich ſpäteren Hinzugeſellung des Euphrat und Tigris zum Gihon und Piſon, d. h. zum Ganges und Jndus, verrathe. So gewagt dieſe letztere Annahme nun auch ſein mag: an manchen begünſtigenden Momenten fehlt es der Hypo- theſe im Ganzen nicht. Die Schönheit und üppige Fruchtbarkeit einer Gegend wie die von Kaſchmir legt von ſelbſt den Gedanken, daß hier der Garten Eden geweſen ſein müſſe, nahe; für einige Namen wie Piſon (Hyphaſis?), Chavila (Kapila?), Kuſch (Kuça) laſſen ſich überraſchende indiſche Gleichklänge nachweiſen. Jedenfalls würde, wenn man dieſe Ausdehnung des Paradieſes über das ganze ſüdliche Hochaſien von den Euphratquellen bis nach Vorderindien hin annehmen will, eine Lieblingsvorſtellung neuer Geographen zu vermeiden ſein: die nemlich, wonach ſpeciell das Pamer-Plateau, das ſ. g. „Dach der Welt‟ zwiſchen den Bergketten Belur Tagh und Hindukuh, für die Wiege der Menſchheit zu erklären wäre (Obry, Renan, E. v. Bunſen, Plank, Scharling, O. Wolff, Gordon, Se- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0236" n="226"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.</fw><lb/> es doch die Babylonier geweſen ſein ſollten, welche dieſe den Schwer-<lb/> punkt des menſchlichen Urſitzes nach Weſten zu rückende Ueber-<lb/> lieferung ausgebildet hätten. Ernſtlichere Erwägung verdient der<lb/> bis auf J. D. Michaelis (1769) zurückgehende, durch Wahl, Hart-<lb/> mann, Sickler, Hammer, Knobel, Bunſen ꝛc. aufgenommene und ver-<lb/> ſchiedentlich weiter gebildete Verſuch, dem Paradieſesſchauplatz, wie<lb/> Reland denſelben beſtimmt hatte, eine beträchtliche Erweiterung nach<lb/> Oſten hin zu geben, und zwar dieß durch Beſtimmung des Fluſſes<lb/> Gihon als des <hi rendition="#g">Oxus,</hi> deſſen arabiſcher Name in der That Dſchai-<lb/> hun lautet, ſowie eventuell des Piſon als des <hi rendition="#g">Jndus</hi> oder auch<lb/> als des Jaxartes. Bei der coloſſalen Ausdehnung des durch dieſe<lb/> Beſtimmungen umſpannten Areals muß allerdings der ſtreng ge-<lb/> ſchichtliche Charakter der bibliſchen Schilderung preisgegeben und ent-<lb/> weder eine mehr nur ideale Geltung oder eine Beeinfluſſung der-<lb/> ſelben durch ſagenhafte Vorſtellungen angenommen werden; wie<lb/> denn auch mehrere Vertreter der Annahme (Buttmann, Ewald,<lb/> Grill ꝛc.) ein Wandern der Sage von Oſten nach Weſten zu be-<lb/> haupten, das ſich in der angeblich ſpäteren Hinzugeſellung des<lb/> Euphrat und Tigris zum Gihon und Piſon, d. h. zum Ganges<lb/> und Jndus, verrathe. So gewagt dieſe letztere Annahme nun auch<lb/> ſein mag: an manchen begünſtigenden Momenten fehlt es der Hypo-<lb/> theſe im Ganzen nicht. Die Schönheit und üppige Fruchtbarkeit<lb/> einer Gegend wie die von Kaſchmir legt von ſelbſt den Gedanken,<lb/> daß hier der Garten Eden geweſen ſein müſſe, nahe; für einige<lb/> Namen wie Piſon (Hyphaſis?), Chavila (Kapila?), Kuſch (Ku<hi rendition="#aq">ç</hi>a)<lb/> laſſen ſich überraſchende indiſche Gleichklänge nachweiſen. Jedenfalls<lb/> würde, wenn man dieſe Ausdehnung des Paradieſes über das ganze<lb/> ſüdliche Hochaſien von den Euphratquellen bis nach Vorderindien<lb/> hin annehmen will, eine Lieblingsvorſtellung neuer Geographen zu<lb/> vermeiden ſein: die nemlich, wonach ſpeciell das Pamer-Plateau, das<lb/> ſ. g. „Dach der Welt‟ zwiſchen den Bergketten Belur Tagh und<lb/> Hindukuh, für die Wiege der Menſchheit zu erklären wäre (Obry,<lb/> Renan, E. v. Bunſen, Plank, Scharling, O. Wolff, Gordon, Se-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [226/0236]
VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
es doch die Babylonier geweſen ſein ſollten, welche dieſe den Schwer-
punkt des menſchlichen Urſitzes nach Weſten zu rückende Ueber-
lieferung ausgebildet hätten. Ernſtlichere Erwägung verdient der
bis auf J. D. Michaelis (1769) zurückgehende, durch Wahl, Hart-
mann, Sickler, Hammer, Knobel, Bunſen ꝛc. aufgenommene und ver-
ſchiedentlich weiter gebildete Verſuch, dem Paradieſesſchauplatz, wie
Reland denſelben beſtimmt hatte, eine beträchtliche Erweiterung nach
Oſten hin zu geben, und zwar dieß durch Beſtimmung des Fluſſes
Gihon als des Oxus, deſſen arabiſcher Name in der That Dſchai-
hun lautet, ſowie eventuell des Piſon als des Jndus oder auch
als des Jaxartes. Bei der coloſſalen Ausdehnung des durch dieſe
Beſtimmungen umſpannten Areals muß allerdings der ſtreng ge-
ſchichtliche Charakter der bibliſchen Schilderung preisgegeben und ent-
weder eine mehr nur ideale Geltung oder eine Beeinfluſſung der-
ſelben durch ſagenhafte Vorſtellungen angenommen werden; wie
denn auch mehrere Vertreter der Annahme (Buttmann, Ewald,
Grill ꝛc.) ein Wandern der Sage von Oſten nach Weſten zu be-
haupten, das ſich in der angeblich ſpäteren Hinzugeſellung des
Euphrat und Tigris zum Gihon und Piſon, d. h. zum Ganges
und Jndus, verrathe. So gewagt dieſe letztere Annahme nun auch
ſein mag: an manchen begünſtigenden Momenten fehlt es der Hypo-
theſe im Ganzen nicht. Die Schönheit und üppige Fruchtbarkeit
einer Gegend wie die von Kaſchmir legt von ſelbſt den Gedanken,
daß hier der Garten Eden geweſen ſein müſſe, nahe; für einige
Namen wie Piſon (Hyphaſis?), Chavila (Kapila?), Kuſch (Kuça)
laſſen ſich überraſchende indiſche Gleichklänge nachweiſen. Jedenfalls
würde, wenn man dieſe Ausdehnung des Paradieſes über das ganze
ſüdliche Hochaſien von den Euphratquellen bis nach Vorderindien
hin annehmen will, eine Lieblingsvorſtellung neuer Geographen zu
vermeiden ſein: die nemlich, wonach ſpeciell das Pamer-Plateau, das
ſ. g. „Dach der Welt‟ zwiſchen den Bergketten Belur Tagh und
Hindukuh, für die Wiege der Menſchheit zu erklären wäre (Obry,
Renan, E. v. Bunſen, Plank, Scharling, O. Wolff, Gordon, Se-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |