Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
kennende Urtheil fällt, derselbe habe der Fetischismus-Hypothese "den
definitiven Todesstoß versetzt".1) -- Selbstverständlich verwerfen die
Vertreter positiverer Standpunkte die betr. Anschauungsweise mit
noch größerer Entschiedenheit; so früher schon Fustel de Coulanges,
Maine de Biran, Wuttke, de Rougemont, Mackay, Fergusson, der
Herzog v. Argyll, neuestens Carrau, Ebrard, Graf W. Baudissin,
Chr. Baumstark, Zahn, sowie der schon genannte Victor v. Strauß.2)

Die Fetischismus-Hypothese dürfte nach dem Allem ihre Rolle
auf religionswissenschaftlichem Gebiete demnächst ausgespielt haben.
Wir sagen schwerlich zu viel, wenn wir sie sowohl, als jene An-
nahme eines ursprünglichen Atheismus, die man aus der vermeinten
Religionslosigkeit heutiger Völker erschließen wollte, als Meinungen
bezeichnen, die keine Zukunft mehr haben, sondern in den Augen
unbefangener wissenschaftlicher Forscher bereits als abgethan gelten.
Der Fetischdienst ist wirklich ein Entartungsproduct;
überall wo er nur auftritt, sind reinere und edlere Religionsformen
sei es mono- sei es polytheistischer Art ihm vorausgegangen. Und
ferner: bis in eine Zeit, wo die Menschheit etwa ganz
ohne Religion gelebt hätte, reicht keine geschichtliche
Forschung zurück.
-- Das Ergebniß ist wichtig genug; es kommt

1) Max Müller, Lectures on the growth and origin of religion
as illustrated by the religions of India
(Lond. 1879) bes. Lect. III, p.
65 ss.
-- Jul. Happel, Die Anlage des M. zur Religion etc. S. 135 ff. --
O. Pfleiderer, Zur Frage nach Anfang und Entwicklung der Religion
(Jahrbb. f. prot. Theol. 1875, S. 65 ff.), sowie: Religionsphilosophie, Berl.
1878, S. 318 ff. 742 f.
2) Ueber die früheren Bekämpfer der Fetischismushypothese s. bes. F. de Rou-
gemont,
Les deux Cites II, 615; vgl. Fergusson, Tree- and serpent-
worship,
1868, sowie Argyll, Primeval Man. Sodann Carrau, in der
Rev. des deux Mondes 1876, 1. April; Ebrard, Die Anfänge des Men-
schengeschlechts S. 21 ff.; Graf Baudissin, im Allg. lit. Anzeiger 1873,
S. 63 f.; Chr. Ed. Baumstark, Christl. Apologetik, Bd. II, 1878, S. 175
ff.; Zahn, Jst Fetischismus eine ursprüngl. Form der Religion? (in War-
necks
Allg. Miss.-Ztschr. 1879, Mai, S. 219 ff).

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
kennende Urtheil fällt, derſelbe habe der Fetiſchismus-Hypotheſe „den
definitiven Todesſtoß verſetzt‟.1) — Selbſtverſtändlich verwerfen die
Vertreter poſitiverer Standpunkte die betr. Anſchauungsweiſe mit
noch größerer Entſchiedenheit; ſo früher ſchon Fuſtel de Coulanges,
Maine de Biran, Wuttke, de Rougemont, Mackay, Ferguſſon, der
Herzog v. Argyll, neueſtens Carrau, Ebrard, Graf W. Baudiſſin,
Chr. Baumſtark, Zahn, ſowie der ſchon genannte Victor v. Strauß.2)

Die Fetiſchismus-Hypotheſe dürfte nach dem Allem ihre Rolle
auf religionswiſſenſchaftlichem Gebiete demnächſt ausgeſpielt haben.
Wir ſagen ſchwerlich zu viel, wenn wir ſie ſowohl, als jene An-
nahme eines urſprünglichen Atheismus, die man aus der vermeinten
Religionsloſigkeit heutiger Völker erſchließen wollte, als Meinungen
bezeichnen, die keine Zukunft mehr haben, ſondern in den Augen
unbefangener wiſſenſchaftlicher Forſcher bereits als abgethan gelten.
Der Fetiſchdienſt iſt wirklich ein Entartungsproduct;
überall wo er nur auftritt, ſind reinere und edlere Religionsformen
ſei es mono- ſei es polytheiſtiſcher Art ihm vorausgegangen. Und
ferner: bis in eine Zeit, wo die Menſchheit etwa ganz
ohne Religion gelebt hätte, reicht keine geſchichtliche
Forſchung zurück.
— Das Ergebniß iſt wichtig genug; es kommt

1) Max Müller, Lectures on the growth and origin of religion
as illustrated by the religions of India
(Lond. 1879) beſ. Lect. III, p.
65 ss.
— Jul. Happel, Die Anlage des M. zur Religion ꝛc. S. 135 ff. —
O. Pfleiderer, Zur Frage nach Anfang und Entwicklung der Religion
(Jahrbb. f. prot. Theol. 1875, S. 65 ff.), ſowie: Religionsphiloſophie, Berl.
1878, S. 318 ff. 742 f.
2) Ueber die früheren Bekämpfer der Fetiſchismushypotheſe ſ. beſ. F. de Rou-
gemont,
Les deux Cités II, 615; vgl. Ferguſſon, Tree- and serpent-
worship,
1868, ſowie Argyll, Primeval Man. Sodann Carrau, in der
Rev. des deux Mondes 1876, 1. April; Ebrard, Die Anfänge des Men-
ſchengeſchlechts S. 21 ff.; Graf Baudiſſin, im Allg. lit. Anzeiger 1873,
S. 63 f.; Chr. Ed. Baumſtark, Chriſtl. Apologetik, Bd. II, 1878, S. 175
ff.; Zahn, Jſt Fetiſchismus eine urſprüngl. Form der Religion? (in War-
necks
Allg. Miſſ.-Ztſchr. 1879, Mai, S. 219 ff).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="203"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturge&#x017F;chichtliche Jn&#x017F;tanzen.</fw><lb/>
kennende Urtheil fällt, der&#x017F;elbe habe der Feti&#x017F;chismus-Hypothe&#x017F;e &#x201E;den<lb/>
definitiven Todes&#x017F;toß ver&#x017F;etzt&#x201F;.<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Max Müller,</hi><hi rendition="#aq">Lectures on the growth and origin of religion<lb/>
as illustrated by the religions of India</hi> (<hi rendition="#aq">Lond.</hi> 1879) be&#x017F;. <hi rendition="#aq">Lect. III, p.<lb/>
65 ss.</hi> &#x2014; Jul. <hi rendition="#g">Happel,</hi> Die Anlage des M. zur Religion &#xA75B;c. S. 135 ff. &#x2014;<lb/>
O. <hi rendition="#g">Pfleiderer,</hi> Zur Frage nach Anfang und Entwicklung der Religion<lb/>
(Jahrbb. f. prot. Theol. 1875, S. 65 ff.), &#x017F;owie: Religionsphilo&#x017F;ophie, Berl.<lb/>
1878, S. 318 ff. 742 f.</note> &#x2014; Selb&#x017F;tver&#x017F;tändlich verwerfen die<lb/>
Vertreter po&#x017F;itiverer Standpunkte die betr. An&#x017F;chauungswei&#x017F;e mit<lb/>
noch größerer Ent&#x017F;chiedenheit; &#x017F;o früher &#x017F;chon Fu&#x017F;tel de Coulanges,<lb/>
Maine de Biran, Wuttke, de Rougemont, Mackay, Fergu&#x017F;&#x017F;on, der<lb/>
Herzog v. Argyll, neue&#x017F;tens Carrau, Ebrard, Graf W. Baudi&#x017F;&#x017F;in,<lb/>
Chr. Baum&#x017F;tark, Zahn, &#x017F;owie der &#x017F;chon genannte Victor v. Strauß.<note place="foot" n="2)">Ueber die früheren Bekämpfer der Feti&#x017F;chismushypothe&#x017F;e &#x017F;. be&#x017F;. F. <hi rendition="#g">de Rou-<lb/>
gemont,</hi> <hi rendition="#aq">Les deux Cités II,</hi> 615; vgl. <hi rendition="#g">Fergu&#x017F;&#x017F;on,</hi> <hi rendition="#aq">Tree- and serpent-<lb/>
worship,</hi> 1868, &#x017F;owie <hi rendition="#g">Argyll,</hi> <hi rendition="#aq">Primeval Man.</hi> Sodann <hi rendition="#g">Carrau,</hi> in der<lb/><hi rendition="#aq">Rev. des deux Mondes 1876, 1. April;</hi> <hi rendition="#g">Ebrard,</hi> Die Anfänge des Men-<lb/>
&#x017F;chenge&#x017F;chlechts S. 21 ff.; Graf <hi rendition="#g">Baudi&#x017F;&#x017F;in,</hi> im Allg. lit. Anzeiger 1873,<lb/>
S. 63 f.; Chr. Ed. <hi rendition="#g">Baum&#x017F;tark,</hi> Chri&#x017F;tl. Apologetik, Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> 1878, S. 175<lb/>
ff.; <hi rendition="#g">Zahn,</hi> J&#x017F;t Feti&#x017F;chismus eine ur&#x017F;prüngl. Form der Religion? (in <hi rendition="#g">War-<lb/>
necks</hi> Allg. Mi&#x017F;&#x017F;.-Zt&#x017F;chr. 1879, Mai, S. 219 ff).</note></p><lb/>
        <p>Die Feti&#x017F;chismus-Hypothe&#x017F;e dürfte nach dem Allem ihre Rolle<lb/>
auf religionswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichem Gebiete demnäch&#x017F;t ausge&#x017F;pielt haben.<lb/>
Wir &#x017F;agen &#x017F;chwerlich zu viel, wenn wir &#x017F;ie &#x017F;owohl, als jene An-<lb/>
nahme eines ur&#x017F;prünglichen Atheismus, die man aus der vermeinten<lb/>
Religionslo&#x017F;igkeit heutiger Völker er&#x017F;chließen wollte, als Meinungen<lb/>
bezeichnen, die keine Zukunft mehr haben, &#x017F;ondern in den Augen<lb/>
unbefangener wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher For&#x017F;cher bereits als abgethan gelten.<lb/><hi rendition="#g">Der Feti&#x017F;chdien&#x017F;t i&#x017F;t wirklich ein Entartungsproduct;</hi><lb/>
überall wo er nur auftritt, &#x017F;ind reinere und edlere Religionsformen<lb/>
&#x017F;ei es mono- &#x017F;ei es polythei&#x017F;ti&#x017F;cher Art ihm vorausgegangen. Und<lb/>
ferner: <hi rendition="#g">bis in eine Zeit, wo die Men&#x017F;chheit etwa ganz<lb/>
ohne Religion gelebt hätte, reicht keine ge&#x017F;chichtliche<lb/>
For&#x017F;chung zurück.</hi> &#x2014; Das Ergebniß i&#x017F;t wichtig genug; es kommt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0213] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. kennende Urtheil fällt, derſelbe habe der Fetiſchismus-Hypotheſe „den definitiven Todesſtoß verſetzt‟. 1) — Selbſtverſtändlich verwerfen die Vertreter poſitiverer Standpunkte die betr. Anſchauungsweiſe mit noch größerer Entſchiedenheit; ſo früher ſchon Fuſtel de Coulanges, Maine de Biran, Wuttke, de Rougemont, Mackay, Ferguſſon, der Herzog v. Argyll, neueſtens Carrau, Ebrard, Graf W. Baudiſſin, Chr. Baumſtark, Zahn, ſowie der ſchon genannte Victor v. Strauß. 2) Die Fetiſchismus-Hypotheſe dürfte nach dem Allem ihre Rolle auf religionswiſſenſchaftlichem Gebiete demnächſt ausgeſpielt haben. Wir ſagen ſchwerlich zu viel, wenn wir ſie ſowohl, als jene An- nahme eines urſprünglichen Atheismus, die man aus der vermeinten Religionsloſigkeit heutiger Völker erſchließen wollte, als Meinungen bezeichnen, die keine Zukunft mehr haben, ſondern in den Augen unbefangener wiſſenſchaftlicher Forſcher bereits als abgethan gelten. Der Fetiſchdienſt iſt wirklich ein Entartungsproduct; überall wo er nur auftritt, ſind reinere und edlere Religionsformen ſei es mono- ſei es polytheiſtiſcher Art ihm vorausgegangen. Und ferner: bis in eine Zeit, wo die Menſchheit etwa ganz ohne Religion gelebt hätte, reicht keine geſchichtliche Forſchung zurück. — Das Ergebniß iſt wichtig genug; es kommt 1) Max Müller, Lectures on the growth and origin of religion as illustrated by the religions of India (Lond. 1879) beſ. Lect. III, p. 65 ss. — Jul. Happel, Die Anlage des M. zur Religion ꝛc. S. 135 ff. — O. Pfleiderer, Zur Frage nach Anfang und Entwicklung der Religion (Jahrbb. f. prot. Theol. 1875, S. 65 ff.), ſowie: Religionsphiloſophie, Berl. 1878, S. 318 ff. 742 f. 2) Ueber die früheren Bekämpfer der Fetiſchismushypotheſe ſ. beſ. F. de Rou- gemont, Les deux Cités II, 615; vgl. Ferguſſon, Tree- and serpent- worship, 1868, ſowie Argyll, Primeval Man. Sodann Carrau, in der Rev. des deux Mondes 1876, 1. April; Ebrard, Die Anfänge des Men- ſchengeſchlechts S. 21 ff.; Graf Baudiſſin, im Allg. lit. Anzeiger 1873, S. 63 f.; Chr. Ed. Baumſtark, Chriſtl. Apologetik, Bd. II, 1878, S. 175 ff.; Zahn, Jſt Fetiſchismus eine urſprüngl. Form der Religion? (in War- necks Allg. Miſſ.-Ztſchr. 1879, Mai, S. 219 ff).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/213
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/213>, abgerufen am 03.05.2024.