Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. weiteres Moment zur Widerlegung jeder nicht-degradationistischenTheorie vom Fetischismus -- in nicht wenigen Fällen eine Ein- mischung fetischmäßiger Trümmerstücke von sinkenden Religionen höherer Art in solche von Religionen niederer Art beobachtet worden. So bei den Stämmen der westafrikanischen Loangoküste, deren gegen- wärtiger Fetischaberglaube nach A. Bastian's Beobachtungen ein Mischproduct aus älterem afrikanischem Naturdienst und aus dem eine Zeitlang durch Portugiesen diesen Völkern nahegebrachten und aufgenöthigten Katholicismus ist.1) Aehnlich bei amerikanischen Jndianer- wie Neger-Stämmen, ja in gewisser Weise auch schon bei unsren germanischen Vorfahren im Mittelalter, deren Volksaber- glaube, soweit er sich fetischistischem Unwesen näherte oder in ein- zelnen Resten noch immer ihm nahesteht, gleichfalls eine Mischung urheidnischer mit römisch-kirchlichen Elementen hervortreten läßt. Directe Beobachtung religiöser Depravationsprocesse mit dem End- ergebnisse des Herabsinkens zum Fetischismus hat überhaupt oft genug stattgefunden. Was man aber noch nie und nirgends beob- achtet hat, ist die entgegengesetzte Erscheinung eines Hervorgehens reinerer und geistigerer, insbesondere monotheistischer Gottesvor- stellungen aus ursprünglichem rohem Fetischdienste. Mit Recht fragt Victor v. Strauß:2) "Wie kommt es, daß wir wohl beobachten können, daß die Menge der mythologischen Gottheiten zunimmt, nirgends aber finden, daß sich aus einer Religion, die man als fetischistisch-polytheistisch bezeichnen will, je ein Monotheismus ent- wickelt habe? Welche in geschichtlicher Zeit entstandene monotheistische Religion ist denn aus einer fetischistisch-polytheistischen hervorgegan- gen?" Mit Recht hält ebenderselbe der Behauptung, die Religion 1) Ad. Bastian, Die deutsche Expedition an der Loango-Küste, Jena 1874, Bd. I, 54 ff. 204 ff., und bes. Bd. II, 154 ff. (auch: Zeitschr. f. Ethnologie, 1874, I, 1 ff.). 2) Essays zur allgemeinen Religionswissenschaft, von V. v. Strauß und
Torney (Heidelberg 1879), S. 42 f. Vgl. auch S. 17 dieser überhaupt unge- mein gehaltreichen Schrift. VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. weiteres Moment zur Widerlegung jeder nicht-degradationiſtiſchenTheorie vom Fetiſchismus — in nicht wenigen Fällen eine Ein- miſchung fetiſchmäßiger Trümmerſtücke von ſinkenden Religionen höherer Art in ſolche von Religionen niederer Art beobachtet worden. So bei den Stämmen der weſtafrikaniſchen Loangoküſte, deren gegen- wärtiger Fetiſchaberglaube nach A. Baſtian’s Beobachtungen ein Miſchproduct aus älterem afrikaniſchem Naturdienſt und aus dem eine Zeitlang durch Portugieſen dieſen Völkern nahegebrachten und aufgenöthigten Katholicismus iſt.1) Aehnlich bei amerikaniſchen Jndianer- wie Neger-Stämmen, ja in gewiſſer Weiſe auch ſchon bei unſren germaniſchen Vorfahren im Mittelalter, deren Volksaber- glaube, ſoweit er ſich fetiſchiſtiſchem Unweſen näherte oder in ein- zelnen Reſten noch immer ihm naheſteht, gleichfalls eine Miſchung urheidniſcher mit römiſch-kirchlichen Elementen hervortreten läßt. Directe Beobachtung religiöſer Depravationsproceſſe mit dem End- ergebniſſe des Herabſinkens zum Fetiſchismus hat überhaupt oft genug ſtattgefunden. Was man aber noch nie und nirgends beob- achtet hat, iſt die entgegengeſetzte Erſcheinung eines Hervorgehens reinerer und geiſtigerer, insbeſondere monotheiſtiſcher Gottesvor- ſtellungen aus urſprünglichem rohem Fetiſchdienſte. Mit Recht fragt Victor v. Strauß:2) „Wie kommt es, daß wir wohl beobachten können, daß die Menge der mythologiſchen Gottheiten zunimmt, nirgends aber finden, daß ſich aus einer Religion, die man als fetiſchiſtiſch-polytheiſtiſch bezeichnen will, je ein Monotheismus ent- wickelt habe? Welche in geſchichtlicher Zeit entſtandene monotheiſtiſche Religion iſt denn aus einer fetiſchiſtiſch-polytheiſtiſchen hervorgegan- gen?‟ Mit Recht hält ebenderſelbe der Behauptung, die Religion 1) Ad. Baſtian, Die deutſche Expedition an der Loango-Küſte, Jena 1874, Bd. I, 54 ff. 204 ff., und beſ. Bd. II, 154 ff. (auch: Zeitſchr. f. Ethnologie, 1874, I, 1 ff.). 2) Eſſays zur allgemeinen Religionswiſſenſchaft, von V. v. Strauß und
Torney (Heidelberg 1879), S. 42 f. Vgl. auch S. 17 dieſer überhaupt unge- mein gehaltreichen Schrift. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0211" n="201"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> weiteres Moment zur Widerlegung jeder nicht-degradationiſtiſchen<lb/> Theorie vom Fetiſchismus — in nicht wenigen Fällen eine Ein-<lb/> miſchung fetiſchmäßiger Trümmerſtücke von ſinkenden Religionen<lb/> höherer Art in ſolche von Religionen niederer Art beobachtet worden.<lb/> So bei den Stämmen der weſtafrikaniſchen Loangoküſte, deren gegen-<lb/> wärtiger Fetiſchaberglaube nach A. Baſtian’s Beobachtungen ein<lb/> Miſchproduct aus älterem afrikaniſchem Naturdienſt und aus dem<lb/> eine Zeitlang durch Portugieſen dieſen Völkern nahegebrachten und<lb/> aufgenöthigten Katholicismus iſt.<note place="foot" n="1)">Ad. <hi rendition="#g">Baſtian,</hi> Die deutſche Expedition an der Loango-Küſte, Jena 1874,<lb/> Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> 54 ff. 204 ff., und beſ. Bd. <hi rendition="#aq">II,</hi> 154 ff. (auch: Zeitſchr. f. Ethnologie,<lb/> 1874, <hi rendition="#aq">I,</hi> 1 ff.).</note> Aehnlich bei amerikaniſchen<lb/> Jndianer- wie Neger-Stämmen, ja in gewiſſer Weiſe auch ſchon bei<lb/> unſren germaniſchen Vorfahren im Mittelalter, deren Volksaber-<lb/> glaube, ſoweit er ſich fetiſchiſtiſchem Unweſen näherte oder in ein-<lb/> zelnen Reſten noch immer ihm naheſteht, gleichfalls eine Miſchung<lb/> urheidniſcher mit römiſch-kirchlichen Elementen hervortreten läßt.<lb/> Directe Beobachtung religiöſer Depravationsproceſſe mit dem End-<lb/> ergebniſſe des Herabſinkens zum Fetiſchismus hat überhaupt oft<lb/> genug ſtattgefunden. Was man aber noch nie und nirgends beob-<lb/> achtet hat, iſt die entgegengeſetzte Erſcheinung eines Hervorgehens<lb/> reinerer und geiſtigerer, insbeſondere monotheiſtiſcher Gottesvor-<lb/> ſtellungen aus urſprünglichem rohem Fetiſchdienſte. Mit Recht fragt<lb/> Victor v. Strauß:<note place="foot" n="2)">Eſſays zur allgemeinen Religionswiſſenſchaft, von V. v. <hi rendition="#g">Strauß</hi> und<lb/> Torney (Heidelberg 1879), S. 42 f. Vgl. auch S. 17 dieſer überhaupt unge-<lb/> mein gehaltreichen Schrift.</note> „Wie kommt es, daß wir wohl beobachten<lb/> können, daß die Menge der mythologiſchen Gottheiten zunimmt,<lb/> nirgends aber finden, daß ſich aus einer Religion, die man als<lb/> fetiſchiſtiſch-polytheiſtiſch bezeichnen will, je ein Monotheismus ent-<lb/> wickelt habe? Welche in geſchichtlicher Zeit entſtandene monotheiſtiſche<lb/> Religion iſt denn aus einer fetiſchiſtiſch-polytheiſtiſchen hervorgegan-<lb/> gen?‟ Mit Recht hält ebenderſelbe der Behauptung, die Religion<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [201/0211]
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Theorie vom Fetiſchismus — in nicht wenigen Fällen eine Ein-
miſchung fetiſchmäßiger Trümmerſtücke von ſinkenden Religionen
höherer Art in ſolche von Religionen niederer Art beobachtet worden.
So bei den Stämmen der weſtafrikaniſchen Loangoküſte, deren gegen-
wärtiger Fetiſchaberglaube nach A. Baſtian’s Beobachtungen ein
Miſchproduct aus älterem afrikaniſchem Naturdienſt und aus dem
eine Zeitlang durch Portugieſen dieſen Völkern nahegebrachten und
aufgenöthigten Katholicismus iſt. 1) Aehnlich bei amerikaniſchen
Jndianer- wie Neger-Stämmen, ja in gewiſſer Weiſe auch ſchon bei
unſren germaniſchen Vorfahren im Mittelalter, deren Volksaber-
glaube, ſoweit er ſich fetiſchiſtiſchem Unweſen näherte oder in ein-
zelnen Reſten noch immer ihm naheſteht, gleichfalls eine Miſchung
urheidniſcher mit römiſch-kirchlichen Elementen hervortreten läßt.
Directe Beobachtung religiöſer Depravationsproceſſe mit dem End-
ergebniſſe des Herabſinkens zum Fetiſchismus hat überhaupt oft
genug ſtattgefunden. Was man aber noch nie und nirgends beob-
achtet hat, iſt die entgegengeſetzte Erſcheinung eines Hervorgehens
reinerer und geiſtigerer, insbeſondere monotheiſtiſcher Gottesvor-
ſtellungen aus urſprünglichem rohem Fetiſchdienſte. Mit Recht fragt
Victor v. Strauß: 2) „Wie kommt es, daß wir wohl beobachten
können, daß die Menge der mythologiſchen Gottheiten zunimmt,
nirgends aber finden, daß ſich aus einer Religion, die man als
fetiſchiſtiſch-polytheiſtiſch bezeichnen will, je ein Monotheismus ent-
wickelt habe? Welche in geſchichtlicher Zeit entſtandene monotheiſtiſche
Religion iſt denn aus einer fetiſchiſtiſch-polytheiſtiſchen hervorgegan-
gen?‟ Mit Recht hält ebenderſelbe der Behauptung, die Religion
1) Ad. Baſtian, Die deutſche Expedition an der Loango-Küſte, Jena 1874,
Bd. I, 54 ff. 204 ff., und beſ. Bd. II, 154 ff. (auch: Zeitſchr. f. Ethnologie,
1874, I, 1 ff.).
2) Eſſays zur allgemeinen Religionswiſſenſchaft, von V. v. Strauß und
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