Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. untergegangene Religionsvorstellungen oft recht complicirter Art insich schließen, so gut wie den Talismanen des Jslam im Mittelalter astrologische Geheimweisheit zu Grunde lag: ganz ähnlich verhält es sich mit dem Fetischdienste, wo und in welcher speciellen Form er auch auftreten mag. Es ist übrigens bei derartigen Vergleichungen die gesammte Geisteseigenthümlichkeit und Culturstufe der betreffenden Völker wohl im Auge zu behalten. Der Reliquiendienst des römisch- katholischen Mittelalters bildete doch eine weit höhere und edlere Form der Verehrung sinnlicher Objecte, als der ordinäre Neger- fetischismus; gleichwie die Bilderanbetung in mancher Hinsicht als eine noch edlere Weise der Versinnlichung des Gottesdiensts zu gelten hat -- zur Reliquienverehrung in demselben Verhältnisse stehend, wie das Spielen geistig geförderter Kinder mit zierlich gestalteten Glieder- und Kleiderpuppen zum Spiel armer Straßenkinder mit rohen Thonfiguren ohne Glieder und menschenähnliches Antlitz. Geistiges Entartungssymptom oder Zeichen eines Rückfalls in Kin- dischkeit ist das eine dieser cultischen "Puppenspiele" (damit wir jenen Lubbockschen Vergleich beibehalten, zugleich aber auch recti- ficiren) so gut wie das andre. Es kommt nur eben darauf an, welche Stufe die Religion erreicht hatte, aus welcher sich das Fetisch- machen als Verwesungsproduct hervorbildet. Und damit hängt un- mittelbar die weitere Frage zusammen, ob das Uebel heilbar oder unheilbar zu nennen, ob die betr. Religion zur Ausstoßung der Krankheitsstoffe und Regeneration ihres Organismus auf Grund der noch unverdorbnen Elemente desselben fähig erscheint, oder ob dieß nicht der Fall ist.1) -- Uebrigens ist -- und das bildet ein 1) Eine einseitig harte Beurtheilung, welche dem hier Angedeuteten in keiner
Weise genügend Rechnung trägt, läßt Happel (a. a. O.) von seinem prote- stantenvereinlich liberalen Standpunkte aus dem Fetischismusartigen im Katho- licismus widersahren. Er rechnet dazu außer dem Reliquienwesen ohne Weiteres auch die Sacramente. Ja er behandelt sogar den kirchlichen Trinitätsbegriff unter einem ähnlichen Gesichtspunkte, ihn für ein heidnisches Ueberlebsel er- klärend, mit Zauberei und Gespensterglauben zusammenstellend, überhaupt ähnlich über ihn urtheilend wie über Marien-, Heiligen- und Papfteultus. VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. untergegangene Religionsvorſtellungen oft recht complicirter Art inſich ſchließen, ſo gut wie den Talismanen des Jslam im Mittelalter aſtrologiſche Geheimweisheit zu Grunde lag: ganz ähnlich verhält es ſich mit dem Fetiſchdienſte, wo und in welcher ſpeciellen Form er auch auftreten mag. Es iſt übrigens bei derartigen Vergleichungen die geſammte Geiſteseigenthümlichkeit und Culturſtufe der betreffenden Völker wohl im Auge zu behalten. Der Reliquiendienſt des römiſch- katholiſchen Mittelalters bildete doch eine weit höhere und edlere Form der Verehrung ſinnlicher Objecte, als der ordinäre Neger- fetiſchismus; gleichwie die Bilderanbetung in mancher Hinſicht als eine noch edlere Weiſe der Verſinnlichung des Gottesdienſts zu gelten hat — zur Reliquienverehrung in demſelben Verhältniſſe ſtehend, wie das Spielen geiſtig geförderter Kinder mit zierlich geſtalteten Glieder- und Kleiderpuppen zum Spiel armer Straßenkinder mit rohen Thonfiguren ohne Glieder und menſchenähnliches Antlitz. Geiſtiges Entartungsſymptom oder Zeichen eines Rückfalls in Kin- diſchkeit iſt das eine dieſer cultiſchen „Puppenſpiele‟ (damit wir jenen Lubbockſchen Vergleich beibehalten, zugleich aber auch recti- ficiren) ſo gut wie das andre. Es kommt nur eben darauf an, welche Stufe die Religion erreicht hatte, aus welcher ſich das Fetiſch- machen als Verweſungsproduct hervorbildet. Und damit hängt un- mittelbar die weitere Frage zuſammen, ob das Uebel heilbar oder unheilbar zu nennen, ob die betr. Religion zur Ausſtoßung der Krankheitsſtoffe und Regeneration ihres Organismus auf Grund der noch unverdorbnen Elemente deſſelben fähig erſcheint, oder ob dieß nicht der Fall iſt.1) — Uebrigens iſt — und das bildet ein 1) Eine einſeitig harte Beurtheilung, welche dem hier Angedeuteten in keiner
Weiſe genügend Rechnung trägt, läßt Happel (a. a. O.) von ſeinem prote- ſtantenvereinlich liberalen Standpunkte aus dem Fetiſchismusartigen im Katho- licismus widerſahren. Er rechnet dazu außer dem Reliquienweſen ohne Weiteres auch die Sacramente. Ja er behandelt ſogar den kirchlichen Trinitätsbegriff unter einem ähnlichen Geſichtspunkte, ihn für ein heidniſches Ueberlebſel er- klärend, mit Zauberei und Geſpenſterglauben zuſammenſtellend, überhaupt ähnlich über ihn urtheilend wie über Marien-, Heiligen- und Papfteultus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0210" n="200"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> untergegangene Religionsvorſtellungen oft recht complicirter Art in<lb/> ſich ſchließen, ſo gut wie den Talismanen des Jslam im Mittelalter<lb/> aſtrologiſche Geheimweisheit zu Grunde lag: ganz ähnlich verhält<lb/> es ſich mit dem Fetiſchdienſte, wo und in welcher ſpeciellen Form<lb/> er auch auftreten mag. Es iſt übrigens bei derartigen Vergleichungen<lb/> die geſammte Geiſteseigenthümlichkeit und Culturſtufe der betreffenden<lb/> Völker wohl im Auge zu behalten. Der Reliquiendienſt des römiſch-<lb/> katholiſchen Mittelalters bildete doch eine weit höhere und edlere<lb/> Form der Verehrung ſinnlicher Objecte, als der ordinäre Neger-<lb/> fetiſchismus; gleichwie die Bilderanbetung in mancher Hinſicht als<lb/> eine noch edlere Weiſe der Verſinnlichung des Gottesdienſts zu gelten<lb/> hat — zur Reliquienverehrung in demſelben Verhältniſſe ſtehend,<lb/> wie das Spielen geiſtig geförderter Kinder mit zierlich geſtalteten<lb/> Glieder- und Kleiderpuppen zum Spiel armer Straßenkinder mit<lb/> rohen Thonfiguren ohne Glieder und menſchenähnliches Antlitz.<lb/> Geiſtiges Entartungsſymptom oder Zeichen eines Rückfalls in Kin-<lb/> diſchkeit iſt das eine dieſer cultiſchen „Puppenſpiele‟ (damit wir<lb/> jenen Lubbockſchen Vergleich beibehalten, zugleich aber auch recti-<lb/> ficiren) ſo gut wie das andre. Es kommt nur eben darauf an,<lb/> welche Stufe die Religion erreicht hatte, aus welcher ſich das Fetiſch-<lb/> machen als Verweſungsproduct hervorbildet. Und damit hängt un-<lb/> mittelbar die weitere Frage zuſammen, ob das Uebel heilbar oder<lb/> unheilbar zu nennen, ob die betr. Religion zur Ausſtoßung der<lb/> Krankheitsſtoffe und Regeneration ihres Organismus auf Grund<lb/> der noch unverdorbnen Elemente deſſelben fähig erſcheint, oder ob<lb/> dieß nicht der Fall iſt.<note place="foot" n="1)">Eine einſeitig harte Beurtheilung, welche dem hier Angedeuteten in keiner<lb/> Weiſe genügend Rechnung trägt, läßt <hi rendition="#g">Happel</hi> (a. a. O.) von ſeinem prote-<lb/> ſtantenvereinlich liberalen Standpunkte aus dem Fetiſchismusartigen im Katho-<lb/> licismus widerſahren. Er rechnet dazu außer dem Reliquienweſen ohne Weiteres<lb/> auch die Sacramente. Ja er behandelt ſogar den kirchlichen Trinitätsbegriff<lb/> unter einem ähnlichen Geſichtspunkte, ihn für ein heidniſches Ueberlebſel er-<lb/> klärend, mit Zauberei und Geſpenſterglauben zuſammenſtellend, überhaupt ähnlich<lb/> über ihn urtheilend wie über Marien-, Heiligen- und Papfteultus.</note> — Uebrigens iſt — und das bildet ein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [200/0210]
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
untergegangene Religionsvorſtellungen oft recht complicirter Art in
ſich ſchließen, ſo gut wie den Talismanen des Jslam im Mittelalter
aſtrologiſche Geheimweisheit zu Grunde lag: ganz ähnlich verhält
es ſich mit dem Fetiſchdienſte, wo und in welcher ſpeciellen Form
er auch auftreten mag. Es iſt übrigens bei derartigen Vergleichungen
die geſammte Geiſteseigenthümlichkeit und Culturſtufe der betreffenden
Völker wohl im Auge zu behalten. Der Reliquiendienſt des römiſch-
katholiſchen Mittelalters bildete doch eine weit höhere und edlere
Form der Verehrung ſinnlicher Objecte, als der ordinäre Neger-
fetiſchismus; gleichwie die Bilderanbetung in mancher Hinſicht als
eine noch edlere Weiſe der Verſinnlichung des Gottesdienſts zu gelten
hat — zur Reliquienverehrung in demſelben Verhältniſſe ſtehend,
wie das Spielen geiſtig geförderter Kinder mit zierlich geſtalteten
Glieder- und Kleiderpuppen zum Spiel armer Straßenkinder mit
rohen Thonfiguren ohne Glieder und menſchenähnliches Antlitz.
Geiſtiges Entartungsſymptom oder Zeichen eines Rückfalls in Kin-
diſchkeit iſt das eine dieſer cultiſchen „Puppenſpiele‟ (damit wir
jenen Lubbockſchen Vergleich beibehalten, zugleich aber auch recti-
ficiren) ſo gut wie das andre. Es kommt nur eben darauf an,
welche Stufe die Religion erreicht hatte, aus welcher ſich das Fetiſch-
machen als Verweſungsproduct hervorbildet. Und damit hängt un-
mittelbar die weitere Frage zuſammen, ob das Uebel heilbar oder
unheilbar zu nennen, ob die betr. Religion zur Ausſtoßung der
Krankheitsſtoffe und Regeneration ihres Organismus auf Grund
der noch unverdorbnen Elemente deſſelben fähig erſcheint, oder ob
dieß nicht der Fall iſt. 1) — Uebrigens iſt — und das bildet ein
1) Eine einſeitig harte Beurtheilung, welche dem hier Angedeuteten in keiner
Weiſe genügend Rechnung trägt, läßt Happel (a. a. O.) von ſeinem prote-
ſtantenvereinlich liberalen Standpunkte aus dem Fetiſchismusartigen im Katho-
licismus widerſahren. Er rechnet dazu außer dem Reliquienweſen ohne Weiteres
auch die Sacramente. Ja er behandelt ſogar den kirchlichen Trinitätsbegriff
unter einem ähnlichen Geſichtspunkte, ihn für ein heidniſches Ueberlebſel er-
klärend, mit Zauberei und Geſpenſterglauben zuſammenſtellend, überhaupt ähnlich
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