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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
zeugungsproceß des Erdplaneten ins Dasein gezeugt worden. Aber
auch Schopenhauer, der ingrimmige Gegner des Hegelianismus,
den die große Kunst eines Modephilosophen allerneuester Zeit mit
diesem System zusammengekuppelt hat, spottete bitter über den
"Adam-Mythus" der Christen; seiner "Sünde der Geburt" geht
keine Zeit, da die Menschheit unsündlich geboren worden wäre,
vorher. Er lehrt etwas wie eine Erbsünde, aber er verlacht die
Annahme einer gottbildlichen Erschaffung unsres Geschlechts, der er
vielmehr, wie dem göttlichen Schaffen überhaupt, gewisse "heterogene
Schöpfungsacte des blinden Willens" substituirt.1)

Englische Natur- und Culturforscher hatten sich an diesen
die Uranfänge des menschlichen Daseins betreffenden Speculationen
bis um die Mitte unsres Jahrhunderts zwar auch mehrfach be-
theiligt, aber ohne jene Angelegentlichkeit und radikale Verwegenheit,
welche ihre gegenwärtige Theilnahme an denselben charakterisirt. Die
leitende Rolle im Gange der hieher gehörigen Untersuchungen über-
nahm England erst seit den 50er Jahren, und zwar in Folge der
Conflicte des von Frankreich herüber eingedrungenen und durch die
Traditionen der schottischen Philosophenschule begünstigten Positivis-
mus mit der kirchlich rechtgläubigen Richtung, welche Conflicte seit
dem Hervortreten Darwins und seiner Anhänger (anfangs der 60er
Jahre) nach und nach in die große Descendenz-Streitfrage der Ge-
genwart einmündeten. Bei den britischen Repräsentanten der Po-
sitivistenschule, wie Mill, Lewes, Buckle, bildet eine schroffe Ver-
werfung alles und jedes Supranaturalismus im Punkte der den
Urstand betreffenden Speculationen ganz ebenso die Basis der ge-
sammten Geschichtsbetrachtung, wie bei denjenigen Frankreichs. Sie
denken sämmtlich die Urbeschaffenheit unsres Geschlechts wenn nicht
schlechthin thiermäßig, doch sehr thierähnlich. Die Wilden der Ge-
genwart bilden ihnen den Maaßstab für die civilisatorischen Zu-

1) K. L. Michelet, Ueber Persönlichkeit Gottes und menschl. Unsterblichkeit,
1841, S. 241. -- D. Fr. Strauß, Dogmatik, II, 681. -- A. Schopen-
hauer,
Parerga und Paralipomena (1850).

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
zeugungsproceß des Erdplaneten ins Daſein gezeugt worden. Aber
auch Schopenhauer, der ingrimmige Gegner des Hegelianismus,
den die große Kunſt eines Modephiloſophen allerneueſter Zeit mit
dieſem Syſtem zuſammengekuppelt hat, ſpottete bitter über den
„Adam-Mythus‟ der Chriſten; ſeiner „Sünde der Geburt‟ geht
keine Zeit, da die Menſchheit unſündlich geboren worden wäre,
vorher. Er lehrt etwas wie eine Erbſünde, aber er verlacht die
Annahme einer gottbildlichen Erſchaffung unſres Geſchlechts, der er
vielmehr, wie dem göttlichen Schaffen überhaupt, gewiſſe „heterogene
Schöpfungsacte des blinden Willens‟ ſubſtituirt.1)

Engliſche Natur- und Culturforſcher hatten ſich an dieſen
die Uranfänge des menſchlichen Daſeins betreffenden Speculationen
bis um die Mitte unſres Jahrhunderts zwar auch mehrfach be-
theiligt, aber ohne jene Angelegentlichkeit und radikale Verwegenheit,
welche ihre gegenwärtige Theilnahme an denſelben charakteriſirt. Die
leitende Rolle im Gange der hieher gehörigen Unterſuchungen über-
nahm England erſt ſeit den 50er Jahren, und zwar in Folge der
Conflicte des von Frankreich herüber eingedrungenen und durch die
Traditionen der ſchottiſchen Philoſophenſchule begünſtigten Poſitivis-
mus mit der kirchlich rechtgläubigen Richtung, welche Conflicte ſeit
dem Hervortreten Darwins und ſeiner Anhänger (anfangs der 60er
Jahre) nach und nach in die große Deſcendenz-Streitfrage der Ge-
genwart einmündeten. Bei den britiſchen Repräſentanten der Po-
ſitiviſtenſchule, wie Mill, Lewes, Buckle, bildet eine ſchroffe Ver-
werfung alles und jedes Supranaturalismus im Punkte der den
Urſtand betreffenden Speculationen ganz ebenſo die Baſis der ge-
ſammten Geſchichtsbetrachtung, wie bei denjenigen Frankreichs. Sie
denken ſämmtlich die Urbeſchaffenheit unſres Geſchlechts wenn nicht
ſchlechthin thiermäßig, doch ſehr thierähnlich. Die Wilden der Ge-
genwart bilden ihnen den Maaßſtab für die civiliſatoriſchen Zu-

1) K. L. Michelet, Ueber Perſönlichkeit Gottes und menſchl. Unſterblichkeit,
1841, S. 241. — D. Fr. Strauß, Dogmatik, II, 681. — A. Schopen-
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[132/0142] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. zeugungsproceß des Erdplaneten ins Daſein gezeugt worden. Aber auch Schopenhauer, der ingrimmige Gegner des Hegelianismus, den die große Kunſt eines Modephiloſophen allerneueſter Zeit mit dieſem Syſtem zuſammengekuppelt hat, ſpottete bitter über den „Adam-Mythus‟ der Chriſten; ſeiner „Sünde der Geburt‟ geht keine Zeit, da die Menſchheit unſündlich geboren worden wäre, vorher. Er lehrt etwas wie eine Erbſünde, aber er verlacht die Annahme einer gottbildlichen Erſchaffung unſres Geſchlechts, der er vielmehr, wie dem göttlichen Schaffen überhaupt, gewiſſe „heterogene Schöpfungsacte des blinden Willens‟ ſubſtituirt. 1) Engliſche Natur- und Culturforſcher hatten ſich an dieſen die Uranfänge des menſchlichen Daſeins betreffenden Speculationen bis um die Mitte unſres Jahrhunderts zwar auch mehrfach be- theiligt, aber ohne jene Angelegentlichkeit und radikale Verwegenheit, welche ihre gegenwärtige Theilnahme an denſelben charakteriſirt. Die leitende Rolle im Gange der hieher gehörigen Unterſuchungen über- nahm England erſt ſeit den 50er Jahren, und zwar in Folge der Conflicte des von Frankreich herüber eingedrungenen und durch die Traditionen der ſchottiſchen Philoſophenſchule begünſtigten Poſitivis- mus mit der kirchlich rechtgläubigen Richtung, welche Conflicte ſeit dem Hervortreten Darwins und ſeiner Anhänger (anfangs der 60er Jahre) nach und nach in die große Deſcendenz-Streitfrage der Ge- genwart einmündeten. Bei den britiſchen Repräſentanten der Po- ſitiviſtenſchule, wie Mill, Lewes, Buckle, bildet eine ſchroffe Ver- werfung alles und jedes Supranaturalismus im Punkte der den Urſtand betreffenden Speculationen ganz ebenſo die Baſis der ge- ſammten Geſchichtsbetrachtung, wie bei denjenigen Frankreichs. Sie denken ſämmtlich die Urbeſchaffenheit unſres Geſchlechts wenn nicht ſchlechthin thiermäßig, doch ſehr thierähnlich. Die Wilden der Ge- genwart bilden ihnen den Maaßſtab für die civiliſatoriſchen Zu- 1) K. L. Michelet, Ueber Perſönlichkeit Gottes und menſchl. Unſterblichkeit, 1841, S. 241. — D. Fr. Strauß, Dogmatik, II, 681. — A. Schopen- hauer, Parerga und Paralipomena (1850).

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/142>, abgerufen am 25.11.2024.