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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
verfuhr Humboldt auf diesem Gebiete behutsam. Wenn er es
unentschieden gelassen wissen wollte, "ob die Volksstämme, die wir
gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zustande ursprünglich natürlicher
Rohheit sind, ob nicht viele von ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen
es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichsam zerstreute
Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur
sind", so trug er damit den Ansichten seiner Freunde Ritter und
Martius theilweise Rechnung; wie er denn auch den sprachphilo-
sophischen Jdeen seines Bruders Wilhelm, dem die menschliche
Sprache nicht als bloßes Naturproduct oder Schöpfung der Völker,
sondern als "eine ihnen durch ihr inneres Geschick zugefallene Gabe"
galt, niemals widersprochen hat. Jn bestimmteren Gegensatz zur
Annahme eines höheren Ursprungs des menschlichen Geisteslebens
traten vom sprachgeschichtlichen Standpunkte aus Jakob Grimm und
Steinthal, vom anthropologisch-ethnologischen aus Waitz, vom phy-
siologischen und paläontologischen aus K. Vogt, Schleiden, Cotta,
Burmeister, Giebel etc.; -- wobei es verhältnißmäßig untergeordnete
Differenzen blieben, welche einen Theil der Letztgenannten (Vogt,
Schleiden, Cotta) nachmals dem Darwinismus zuführten, einen
andren Theil (Burmeister, Giebel) als eifrige Polygenisten zu dessen
Gegnern machten.1) Eine ziemlich eifrige Pflege erfuhr die Urwild-
heitstheorie, meist im Zusammenhange mit der, die Ureinheit des
Menschengeschlechts preisgebenden Autochthonenhypothese, auch seitens
verschiedner Ausläufer der Hegelschen Philosophenschule. Wie schon
Hegel ein Paradies nur als Begriff oder Princip, nicht als ein-
zelnen concreten Zustand zu begreifen vermocht hatte, so ließ
L. Michelet den Menschen, das halbthierische Product der Erde,
"erst durch die Sünde in eine menschlich bewußte Stellung gelan-
gen", und vertheidigte Strauß die alte Autochthonentheorie in
rohester Form: zu Tausenden seien die Menschen durch einen Ur-

1) Jak. Grimm, Geschichte der deutschen Sprache, 1848. Vgl. im
Uebrigen den von den letzten Vorgängern des Darwinismus handelnden Abschnitt
meiner "Geschichte der Beziehungen" etc., Bd. II, S. 612 ff.
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IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
verfuhr Humboldt auf dieſem Gebiete behutſam. Wenn er es
unentſchieden gelaſſen wiſſen wollte, „ob die Volksſtämme, die wir
gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zuſtande urſprünglich natürlicher
Rohheit ſind, ob nicht viele von ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen
es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichſam zerſtreute
Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur
ſind‟, ſo trug er damit den Anſichten ſeiner Freunde Ritter und
Martius theilweiſe Rechnung; wie er denn auch den ſprachphilo-
ſophiſchen Jdeen ſeines Bruders Wilhelm, dem die menſchliche
Sprache nicht als bloßes Naturproduct oder Schöpfung der Völker,
ſondern als „eine ihnen durch ihr inneres Geſchick zugefallene Gabe‟
galt, niemals widerſprochen hat. Jn beſtimmteren Gegenſatz zur
Annahme eines höheren Urſprungs des menſchlichen Geiſteslebens
traten vom ſprachgeſchichtlichen Standpunkte aus Jakob Grimm und
Steinthal, vom anthropologiſch-ethnologiſchen aus Waitz, vom phy-
ſiologiſchen und paläontologiſchen aus K. Vogt, Schleiden, Cotta,
Burmeiſter, Giebel ꝛc.; — wobei es verhältnißmäßig untergeordnete
Differenzen blieben, welche einen Theil der Letztgenannten (Vogt,
Schleiden, Cotta) nachmals dem Darwinismus zuführten, einen
andren Theil (Burmeiſter, Giebel) als eifrige Polygeniſten zu deſſen
Gegnern machten.1) Eine ziemlich eifrige Pflege erfuhr die Urwild-
heitstheorie, meiſt im Zuſammenhange mit der, die Ureinheit des
Menſchengeſchlechts preisgebenden Autochthonenhypotheſe, auch ſeitens
verſchiedner Ausläufer der Hegelſchen Philoſophenſchule. Wie ſchon
Hegel ein Paradies nur als Begriff oder Princip, nicht als ein-
zelnen concreten Zuſtand zu begreifen vermocht hatte, ſo ließ
L. Michelet den Menſchen, das halbthieriſche Product der Erde,
„erſt durch die Sünde in eine menſchlich bewußte Stellung gelan-
gen‟, und vertheidigte Strauß die alte Autochthonentheorie in
roheſter Form: zu Tauſenden ſeien die Menſchen durch einen Ur-

1) Jak. Grimm, Geſchichte der deutſchen Sprache, 1848. Vgl. im
Uebrigen den von den letzten Vorgängern des Darwinismus handelnden Abſchnitt
meiner „Geſchichte der Beziehungen‟ ꝛc., Bd. II, S. 612 ff.
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[131/0141] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. verfuhr Humboldt auf dieſem Gebiete behutſam. Wenn er es unentſchieden gelaſſen wiſſen wollte, „ob die Volksſtämme, die wir gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zuſtande urſprünglich natürlicher Rohheit ſind, ob nicht viele von ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichſam zerſtreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur ſind‟, ſo trug er damit den Anſichten ſeiner Freunde Ritter und Martius theilweiſe Rechnung; wie er denn auch den ſprachphilo- ſophiſchen Jdeen ſeines Bruders Wilhelm, dem die menſchliche Sprache nicht als bloßes Naturproduct oder Schöpfung der Völker, ſondern als „eine ihnen durch ihr inneres Geſchick zugefallene Gabe‟ galt, niemals widerſprochen hat. Jn beſtimmteren Gegenſatz zur Annahme eines höheren Urſprungs des menſchlichen Geiſteslebens traten vom ſprachgeſchichtlichen Standpunkte aus Jakob Grimm und Steinthal, vom anthropologiſch-ethnologiſchen aus Waitz, vom phy- ſiologiſchen und paläontologiſchen aus K. Vogt, Schleiden, Cotta, Burmeiſter, Giebel ꝛc.; — wobei es verhältnißmäßig untergeordnete Differenzen blieben, welche einen Theil der Letztgenannten (Vogt, Schleiden, Cotta) nachmals dem Darwinismus zuführten, einen andren Theil (Burmeiſter, Giebel) als eifrige Polygeniſten zu deſſen Gegnern machten. 1) Eine ziemlich eifrige Pflege erfuhr die Urwild- heitstheorie, meiſt im Zuſammenhange mit der, die Ureinheit des Menſchengeſchlechts preisgebenden Autochthonenhypotheſe, auch ſeitens verſchiedner Ausläufer der Hegelſchen Philoſophenſchule. Wie ſchon Hegel ein Paradies nur als Begriff oder Princip, nicht als ein- zelnen concreten Zuſtand zu begreifen vermocht hatte, ſo ließ L. Michelet den Menſchen, das halbthieriſche Product der Erde, „erſt durch die Sünde in eine menſchlich bewußte Stellung gelan- gen‟, und vertheidigte Strauß die alte Autochthonentheorie in roheſter Form: zu Tauſenden ſeien die Menſchen durch einen Ur- 1) Jak. Grimm, Geſchichte der deutſchen Sprache, 1848. Vgl. im Uebrigen den von den letzten Vorgängern des Darwinismus handelnden Abſchnitt meiner „Geſchichte der Beziehungen‟ ꝛc., Bd. II, S. 612 ff. 9*

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/141>, abgerufen am 23.11.2024.