Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bis zum Ablauf der ersten Jahrzehende dieses Jahrhunderts waren die Landleute größtentheils Hörige, und in Mecklenburg hat sich dieses in den verschiedensten rechtlichen Abstufungen erscheinende Verhältniß bis in die neueste Zeit erhalten. In Preußen sind die Frohnden und sogenannten herrschaftlichen Dienste im geordneten Verfahren zum großen Theil abgelöst oder in Geldrente verwandelt, die Jurisdiction ist auf den Staat übergegangen, aber die Polizei ist in Folge des neuesten Umschwunges der Dinge den Herrschaften, Aemtern und Stiftern verblieben. Die Schulzenämter besetzt die Herrschaft, wenn sie nicht erblich sind, jedes Gemeindeglied ist stimmberechtigt und Repräsentativ-Gemeindeverfassung unbekannt. Je nach der Größe des Besitzes werden die Wirthe benannt, und der Müller und Schmied, die einzigen sonst auf dem Lande berechtigten primitiven Gewerbe, steuern als Kossäthen oder Halbbauern. Beide, Müller und Schmied, haben ab antiquo, wie sich die Diplomatie ausdrücken würde, einen wissenschaftlichen Ruf im Dorfe für sich. Der Bauer nennt sie kluge Kerle, der Gutsbesitzer und Stiftsverwalter Querulanten und Unruhemacher. Sie kommen öfter zur Stadt, treiben gewöhnlich Nebenhandel mit Vieh und Holz, sie bilden die Brücken zum Advocaten und machen dort die Sprecher, sie sind in gewissem Sinne eine geistige puissance. Die Gewerbefreiheit hat, wo sie eingeführt ist, Beiden geschadet, und der Müller Bis zum Ablauf der ersten Jahrzehende dieses Jahrhunderts waren die Landleute größtentheils Hörige, und in Mecklenburg hat sich dieses in den verschiedensten rechtlichen Abstufungen erscheinende Verhältniß bis in die neueste Zeit erhalten. In Preußen sind die Frohnden und sogenannten herrschaftlichen Dienste im geordneten Verfahren zum großen Theil abgelöst oder in Geldrente verwandelt, die Jurisdiction ist auf den Staat übergegangen, aber die Polizei ist in Folge des neuesten Umschwunges der Dinge den Herrschaften, Aemtern und Stiftern verblieben. Die Schulzenämter besetzt die Herrschaft, wenn sie nicht erblich sind, jedes Gemeindeglied ist stimmberechtigt und Repräsentativ-Gemeindeverfassung unbekannt. Je nach der Größe des Besitzes werden die Wirthe benannt, und der Müller und Schmied, die einzigen sonst auf dem Lande berechtigten primitiven Gewerbe, steuern als Kossäthen oder Halbbauern. Beide, Müller und Schmied, haben ab antiquo, wie sich die Diplomatie ausdrücken würde, einen wissenschaftlichen Ruf im Dorfe für sich. Der Bauer nennt sie kluge Kerle, der Gutsbesitzer und Stiftsverwalter Querulanten und Unruhemacher. Sie kommen öfter zur Stadt, treiben gewöhnlich Nebenhandel mit Vieh und Holz, sie bilden die Brücken zum Advocaten und machen dort die Sprecher, sie sind in gewissem Sinne eine geistige puissance. Die Gewerbefreiheit hat, wo sie eingeführt ist, Beiden geschadet, und der Müller <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0012"/> <p>Bis zum Ablauf der ersten Jahrzehende dieses Jahrhunderts waren die Landleute größtentheils Hörige, und in Mecklenburg hat sich dieses in den verschiedensten rechtlichen Abstufungen erscheinende Verhältniß bis in die neueste Zeit erhalten. In Preußen sind die Frohnden und sogenannten herrschaftlichen Dienste im geordneten Verfahren zum großen Theil abgelöst oder in Geldrente verwandelt, die Jurisdiction ist auf den Staat übergegangen, aber die Polizei ist in Folge des neuesten Umschwunges der Dinge den Herrschaften, Aemtern und Stiftern verblieben. Die Schulzenämter besetzt die Herrschaft, wenn sie nicht erblich sind, jedes Gemeindeglied ist stimmberechtigt und Repräsentativ-Gemeindeverfassung unbekannt. Je nach der Größe des Besitzes werden die Wirthe benannt, und der Müller und Schmied, die einzigen sonst auf dem Lande berechtigten primitiven Gewerbe, steuern als Kossäthen oder Halbbauern.</p><lb/> <p>Beide, Müller und Schmied, haben ab antiquo, wie sich die Diplomatie ausdrücken würde, einen wissenschaftlichen Ruf im Dorfe für sich. Der Bauer nennt sie kluge Kerle, der Gutsbesitzer und Stiftsverwalter Querulanten und Unruhemacher. Sie kommen öfter zur Stadt, treiben gewöhnlich Nebenhandel mit Vieh und Holz, sie bilden die Brücken zum Advocaten und machen dort die Sprecher, sie sind in gewissem Sinne eine geistige puissance. Die Gewerbefreiheit hat, wo sie eingeführt ist, Beiden geschadet, und der Müller<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Bis zum Ablauf der ersten Jahrzehende dieses Jahrhunderts waren die Landleute größtentheils Hörige, und in Mecklenburg hat sich dieses in den verschiedensten rechtlichen Abstufungen erscheinende Verhältniß bis in die neueste Zeit erhalten. In Preußen sind die Frohnden und sogenannten herrschaftlichen Dienste im geordneten Verfahren zum großen Theil abgelöst oder in Geldrente verwandelt, die Jurisdiction ist auf den Staat übergegangen, aber die Polizei ist in Folge des neuesten Umschwunges der Dinge den Herrschaften, Aemtern und Stiftern verblieben. Die Schulzenämter besetzt die Herrschaft, wenn sie nicht erblich sind, jedes Gemeindeglied ist stimmberechtigt und Repräsentativ-Gemeindeverfassung unbekannt. Je nach der Größe des Besitzes werden die Wirthe benannt, und der Müller und Schmied, die einzigen sonst auf dem Lande berechtigten primitiven Gewerbe, steuern als Kossäthen oder Halbbauern.
Beide, Müller und Schmied, haben ab antiquo, wie sich die Diplomatie ausdrücken würde, einen wissenschaftlichen Ruf im Dorfe für sich. Der Bauer nennt sie kluge Kerle, der Gutsbesitzer und Stiftsverwalter Querulanten und Unruhemacher. Sie kommen öfter zur Stadt, treiben gewöhnlich Nebenhandel mit Vieh und Holz, sie bilden die Brücken zum Advocaten und machen dort die Sprecher, sie sind in gewissem Sinne eine geistige puissance. Die Gewerbefreiheit hat, wo sie eingeführt ist, Beiden geschadet, und der Müller
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(2017-03-16T14:10:09Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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