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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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zweites Buch.
Aber/ fuhr er fort/ wan dich der Allerhöchste also erhö-
hen wird/ wilstu dan auch deines Vaters und deiner
Brüder gedenken? Wilstu ihnen auch helfen/ wan sie
deiner hülfe nöhtig haben/ und dich darüm anlangen
werden?

Auf diese reden fing Josef bitterlich an zu weinen.
Ach! Vater/ hertzallerliebster Vater/ gab er zur ant-
wort/ wie solte ich eurer vergessen? Wie solte ich mei-
nen Brüdern hülfe versagen/ wan sie meiner hülfe be-
nöhtigt? Keines von beiden wird nimmermehr gesche-
hen. Auch werde ich nimmermehr zulaßen/ daß euer
graues heupt sich vor mir/ etwas zu bitten/ neugen
solte. Nimmermehr wird ein solcher hochmuht mein
hertz besitzen. Das sei ferne von mir. Würde ich schon
ein Herr über die gantze welt; so wil ich dannoch euer
treuester und gehohrsamster Sohn verbleiben/ so lange
mir vergönnet sein wird/ euch in dieser sterbligkeit auf
allerlei weise gefällig zu werden.

Mit diesen und dergleichen freundlichen gesprächen
brachten sie den gantzen tag zu. Beide waren so wohl
zu frieden/ und so wohl vergnügt/ daß sie die künftige
nacht recht süße zu ruhen gedachten. Aber diese gedan-
ken warden ihnen bald vereitelt. Diese ruhe ward ih-
nen bald gestöhret. Sie waren gewohnet/ daß die heer-
den gegen den abend zu hause kahmen. Itzund kahmen
sie nicht. Auch hatte man von ihnen nicht die geringste
zeitung. Niemand wuste/ wo sie weideten. Jederman
ward hierüber betrübt. Jederman vermuhtete ein un-
glük. Die Weiber der Söhne Jakobs lieffen herüm/
und weineten. Etliche bildeten ihnen ein/ daß etwan
die Araber eingefallen/ und das vieh/ samt ihren män-
nern/ weggeraubet. Andere argwähneten sonst etwas.
Jene dachte dis/ diese das; ja alle das böseste: keine
das beste. Jakob selbsten war überaus bekümmert
üm seine Söhne: und Josef üm seine Brüder. Und

sol-
E ij

zweites Buch.
Aber/ fuhr er fort/ wan dich der Allerhoͤchſte alſo erhoͤ-
hen wird/ wilſtu dan auch deines Vaters und deiner
Bruͤder gedenken? Wilſtu ihnen auch helfen/ wan ſie
deiner huͤlfe noͤhtig haben/ und dich daruͤm anlangen
werden?

Auf dieſe reden fing Joſef bitterlich an zu weinen.
Ach! Vater/ hertzallerliebſter Vater/ gab er zur ant-
wort/ wie ſolte ich eurer vergeſſen? Wie ſolte ich mei-
nen Bruͤdern huͤlfe verſagen/ wan ſie meiner huͤlfe be-
noͤhtigt? Keines von beiden wird nimmermehr geſche-
hen. Auch werde ich nimmermehr zulaßen/ daß euer
graues heupt ſich vor mir/ etwas zu bitten/ neugen
ſolte. Nimmermehr wird ein ſolcher hochmuht mein
hertz beſitzen. Das ſei ferne von mir. Wuͤrde ich ſchon
ein Herꝛ uͤber die gantze welt; ſo wil ich dannoch euer
treueſter und gehohrſamſter Sohn verbleiben/ ſo lange
mir vergoͤnnet ſein wird/ euch in dieſer ſterbligkeit auf
allerlei weiſe gefaͤllig zu werden.

Mit dieſen und dergleichen freundlichen geſpraͤchen
brachten ſie den gantzen tag zu. Beide waren ſo wohl
zu frieden/ und ſo wohl vergnuͤgt/ daß ſie die kuͤnftige
nacht recht ſuͤße zu ruhen gedachten. Aber dieſe gedan-
ken warden ihnen bald vereitelt. Dieſe ruhe ward ih-
nen bald geſtoͤhret. Sie waren gewohnet/ daß die heer-
den gegen den abend zu hauſe kahmen. Itzund kahmen
ſie nicht. Auch hatte man von ihnen nicht die geringſte
zeitung. Niemand wuſte/ wo ſie weideten. Jederman
ward hieruͤber betruͤbt. Jederman vermuhtete ein un-
gluͤk. Die Weiber der Soͤhne Jakobs lieffen heruͤm/
und weineten. Etliche bildeten ihnen ein/ daß etwan
die Araber eingefallen/ und das vieh/ ſamt ihren maͤn-
nern/ weggeraubet. Andere argwaͤhneten ſonſt etwas.
Jene dachte dis/ dieſe das; ja alle das boͤſeſte: keine
das beſte. Jakob ſelbſten war uͤberaus bekuͤmmert
uͤm ſeine Soͤhne: und Joſef uͤm ſeine Bruͤder. Und

ſol-
E ij
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[67/0091] zweites Buch. Aber/ fuhr er fort/ wan dich der Allerhoͤchſte alſo erhoͤ- hen wird/ wilſtu dan auch deines Vaters und deiner Bruͤder gedenken? Wilſtu ihnen auch helfen/ wan ſie deiner huͤlfe noͤhtig haben/ und dich daruͤm anlangen werden? Auf dieſe reden fing Joſef bitterlich an zu weinen. Ach! Vater/ hertzallerliebſter Vater/ gab er zur ant- wort/ wie ſolte ich eurer vergeſſen? Wie ſolte ich mei- nen Bruͤdern huͤlfe verſagen/ wan ſie meiner huͤlfe be- noͤhtigt? Keines von beiden wird nimmermehr geſche- hen. Auch werde ich nimmermehr zulaßen/ daß euer graues heupt ſich vor mir/ etwas zu bitten/ neugen ſolte. Nimmermehr wird ein ſolcher hochmuht mein hertz beſitzen. Das ſei ferne von mir. Wuͤrde ich ſchon ein Herꝛ uͤber die gantze welt; ſo wil ich dannoch euer treueſter und gehohrſamſter Sohn verbleiben/ ſo lange mir vergoͤnnet ſein wird/ euch in dieſer ſterbligkeit auf allerlei weiſe gefaͤllig zu werden. Mit dieſen und dergleichen freundlichen geſpraͤchen brachten ſie den gantzen tag zu. Beide waren ſo wohl zu frieden/ und ſo wohl vergnuͤgt/ daß ſie die kuͤnftige nacht recht ſuͤße zu ruhen gedachten. Aber dieſe gedan- ken warden ihnen bald vereitelt. Dieſe ruhe ward ih- nen bald geſtoͤhret. Sie waren gewohnet/ daß die heer- den gegen den abend zu hauſe kahmen. Itzund kahmen ſie nicht. Auch hatte man von ihnen nicht die geringſte zeitung. Niemand wuſte/ wo ſie weideten. Jederman ward hieruͤber betruͤbt. Jederman vermuhtete ein un- gluͤk. Die Weiber der Soͤhne Jakobs lieffen heruͤm/ und weineten. Etliche bildeten ihnen ein/ daß etwan die Araber eingefallen/ und das vieh/ ſamt ihren maͤn- nern/ weggeraubet. Andere argwaͤhneten ſonſt etwas. Jene dachte dis/ dieſe das; ja alle das boͤſeſte: keine das beſte. Jakob ſelbſten war uͤberaus bekuͤmmert uͤm ſeine Soͤhne: und Joſef uͤm ſeine Bruͤder. Und ſol- E ij

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/91>, abgerufen am 28.11.2024.