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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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zweites Buch.
einen buntgestikten seidenen Rok tragen: welches eine
tracht war der Königskinder. Josef muste stähts üm
ihn sein. Jakob konte sich kaum entschliessen/ seinen
Josef nur einen halben tag aus den augen zu laßen:
zumahl weil er in Josefs angesichte seiner seeligen
Rahel/ die er so hertzinniglich geliebet/ so ähnliches
und schönes/ ja hundertmahl schöneres ebenbild erblik-
te. Und darüm hüpfete ihm das hertz im leibe/ wan er
seinen Sohn sahe. Ja er weinete vor freuden.

Aber wie dem Vater vor freuden die augen überlief-
fen: so lief der Lea die galle vor unmuht und grim-
migkeit über; indem sie sahe/ daß ihre Söhne dem Ja-
kob
so angenehm nicht waren/ als Josef. Und also
hassete und neidete sie den Josef/ seiner Tugend we-
gen: weil er darüm seinem Vater so lieb war. Auch
gewan dieser stiefmütterliche neid in den meist vergal-
ten hertzen nicht allein ihrer sechs eigenen Söhne/ denen
er von ihr schon angebohren war/ sondern auch in den
vier andern stiefbrüdern des Josefs so tieffe wurtzeln/
daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Diese
Bösewichter liessen ihren has zwar zeitlich und deutlich
genug blikken. Aber Josef schlug gleichwohl keine acht
darauf. Er gedachte/ es sei einieder so aufrichtig und
redlich/ als er.

Wie heftig nun den Josef seine Stiefmutter/ und
Stiefbrüder/ seiner tugend wegen/ anfeindeten; eben
so heftig/ ja hertzlich liebete ihn sein frommer Vater.
Ja Gott selbst lies ihm seine liebe blikken. Der Höchste
selbst liebte ihn zum höchsten. Er offenbahrte ihm im
schlafe/ durch ein gesichte/ was ihm künftig begegnen
solte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein glük
ihm zustehen würde. Und hierdurch versicherte Er ihn
der künftigen belohnung seiner Tugend. Hierdurch reitze-
te Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Diese treu-
me veranlaßeten den Josef/ auch endlich der Traum-

deu-

zweites Buch.
einen buntgeſtikten ſeidenen Rok tragen: welches eine
tracht war der Koͤnigskinder. Joſef muſte ſtaͤhts uͤm
ihn ſein. Jakob konte ſich kaum entſchlieſſen/ ſeinen
Joſef nur einen halben tag aus den augen zu laßen:
zumahl weil er in Joſefs angeſichte ſeiner ſeeligen
Rahel/ die er ſo hertzinniglich geliebet/ ſo aͤhnliches
und ſchoͤnes/ ja hundertmahl ſchoͤneres ebenbild erblik-
te. Und daruͤm huͤpfete ihm das hertz im leibe/ wan er
ſeinen Sohn ſahe. Ja er weinete vor freuden.

Aber wie dem Vater vor freuden die augen uͤberlief-
fen: ſo lief der Lea die galle vor unmuht und grim-
migkeit uͤber; indem ſie ſahe/ daß ihre Soͤhne dem Ja-
kob
ſo angenehm nicht waren/ als Joſef. Und alſo
haſſete und neidete ſie den Joſef/ ſeiner Tugend we-
gen: weil er daruͤm ſeinem Vater ſo lieb war. Auch
gewan dieſer ſtiefmuͤtterliche neid in den meiſt vergal-
ten hertzen nicht allein ihrer ſechs eigenen Soͤhne/ denen
er von ihr ſchon angebohren war/ ſondern auch in den
vier andern ſtiefbruͤdern des Joſefs ſo tieffe wurtzeln/
daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Dieſe
Boͤſewichter lieſſen ihren has zwar zeitlich und deutlich
genug blikken. Aber Joſef ſchlug gleichwohl keine acht
darauf. Er gedachte/ es ſei einieder ſo aufrichtig und
redlich/ als er.

Wie heftig nun den Joſef ſeine Stiefmutter/ und
Stiefbruͤder/ ſeiner tugend wegen/ anfeindeten; eben
ſo heftig/ ja hertzlich liebete ihn ſein frommer Vater.
Ja Gott ſelbſt lies ihm ſeine liebe blikken. Der Hoͤchſte
ſelbſt liebte ihn zum hoͤchſten. Er offenbahrte ihm im
ſchlafe/ durch ein geſichte/ was ihm kuͤnftig begegnen
ſolte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein gluͤk
ihm zuſtehen wuͤrde. Und hierdurch verſicherte Er ihn
der kuͤnftigen belohnung ſeiner Tugend. Hierdurch reitze-
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me veranlaßeten den Joſef/ auch endlich der Traum-

deu-
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[59/0083] zweites Buch. einen buntgeſtikten ſeidenen Rok tragen: welches eine tracht war der Koͤnigskinder. Joſef muſte ſtaͤhts uͤm ihn ſein. Jakob konte ſich kaum entſchlieſſen/ ſeinen Joſef nur einen halben tag aus den augen zu laßen: zumahl weil er in Joſefs angeſichte ſeiner ſeeligen Rahel/ die er ſo hertzinniglich geliebet/ ſo aͤhnliches und ſchoͤnes/ ja hundertmahl ſchoͤneres ebenbild erblik- te. Und daruͤm huͤpfete ihm das hertz im leibe/ wan er ſeinen Sohn ſahe. Ja er weinete vor freuden. Aber wie dem Vater vor freuden die augen uͤberlief- fen: ſo lief der Lea die galle vor unmuht und grim- migkeit uͤber; indem ſie ſahe/ daß ihre Soͤhne dem Ja- kob ſo angenehm nicht waren/ als Joſef. Und alſo haſſete und neidete ſie den Joſef/ ſeiner Tugend we- gen: weil er daruͤm ſeinem Vater ſo lieb war. Auch gewan dieſer ſtiefmuͤtterliche neid in den meiſt vergal- ten hertzen nicht allein ihrer ſechs eigenen Soͤhne/ denen er von ihr ſchon angebohren war/ ſondern auch in den vier andern ſtiefbruͤdern des Joſefs ſo tieffe wurtzeln/ daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Dieſe Boͤſewichter lieſſen ihren has zwar zeitlich und deutlich genug blikken. Aber Joſef ſchlug gleichwohl keine acht darauf. Er gedachte/ es ſei einieder ſo aufrichtig und redlich/ als er. Wie heftig nun den Joſef ſeine Stiefmutter/ und Stiefbruͤder/ ſeiner tugend wegen/ anfeindeten; eben ſo heftig/ ja hertzlich liebete ihn ſein frommer Vater. Ja Gott ſelbſt lies ihm ſeine liebe blikken. Der Hoͤchſte ſelbſt liebte ihn zum hoͤchſten. Er offenbahrte ihm im ſchlafe/ durch ein geſichte/ was ihm kuͤnftig begegnen ſolte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein gluͤk ihm zuſtehen wuͤrde. Und hierdurch verſicherte Er ihn der kuͤnftigen belohnung ſeiner Tugend. Hierdurch reitze- te Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Dieſe treu- me veranlaßeten den Joſef/ auch endlich der Traum- deu-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/83>, abgerufen am 08.05.2024.