Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

Bild:
<< vorherige Seite

zweites Buch.
einen buntgestikten seidenen Rok tragen: welches eine
tracht war der Königskinder. Josef muste stähts üm
ihn sein. Jakob konte sich kaum entschliessen/ seinen
Josef nur einen halben tag aus den augen zu laßen:
zumahl weil er in Josefs angesichte seiner seeligen
Rahel/ die er so hertzinniglich geliebet/ so ähnliches
und schönes/ ja hundertmahl schöneres ebenbild erblik-
te. Und darüm hüpfete ihm das hertz im leibe/ wan er
seinen Sohn sahe. Ja er weinete vor freuden.

Aber wie dem Vater vor freuden die augen überlief-
fen: so lief der Lea die galle vor unmuht und grim-
migkeit über; indem sie sahe/ daß ihre Söhne dem Ja-
kob
so angenehm nicht waren/ als Josef. Und also
hassete und neidete sie den Josef/ seiner Tugend we-
gen: weil er darüm seinem Vater so lieb war. Auch
gewan dieser stiefmütterliche neid in den meist vergal-
ten hertzen nicht allein ihrer sechs eigenen Söhne/ denen
er von ihr schon angebohren war/ sondern auch in den
vier andern stiefbrüdern des Josefs so tieffe wurtzeln/
daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Diese
Bösewichter liessen ihren has zwar zeitlich und deutlich
genug blikken. Aber Josef schlug gleichwohl keine acht
darauf. Er gedachte/ es sei einieder so aufrichtig und
redlich/ als er.

Wie heftig nun den Josef seine Stiefmutter/ und
Stiefbrüder/ seiner tugend wegen/ anfeindeten; eben
so heftig/ ja hertzlich liebete ihn sein frommer Vater.
Ja Gott selbst lies ihm seine liebe blikken. Der Höchste
selbst liebte ihn zum höchsten. Er offenbahrte ihm im
schlafe/ durch ein gesichte/ was ihm künftig begegnen
solte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein glük
ihm zustehen würde. Und hierdurch versicherte Er ihn
der künftigen belohnung seiner Tugend. Hierdurch reitze-
te Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Diese treu-
me veranlaßeten den Josef/ auch endlich der Traum-

deu-

zweites Buch.
einen buntgeſtikten ſeidenen Rok tragen: welches eine
tracht war der Koͤnigskinder. Joſef muſte ſtaͤhts uͤm
ihn ſein. Jakob konte ſich kaum entſchlieſſen/ ſeinen
Joſef nur einen halben tag aus den augen zu laßen:
zumahl weil er in Joſefs angeſichte ſeiner ſeeligen
Rahel/ die er ſo hertzinniglich geliebet/ ſo aͤhnliches
und ſchoͤnes/ ja hundertmahl ſchoͤneres ebenbild erblik-
te. Und daruͤm huͤpfete ihm das hertz im leibe/ wan er
ſeinen Sohn ſahe. Ja er weinete vor freuden.

Aber wie dem Vater vor freuden die augen uͤberlief-
fen: ſo lief der Lea die galle vor unmuht und grim-
migkeit uͤber; indem ſie ſahe/ daß ihre Soͤhne dem Ja-
kob
ſo angenehm nicht waren/ als Joſef. Und alſo
haſſete und neidete ſie den Joſef/ ſeiner Tugend we-
gen: weil er daruͤm ſeinem Vater ſo lieb war. Auch
gewan dieſer ſtiefmuͤtterliche neid in den meiſt vergal-
ten hertzen nicht allein ihrer ſechs eigenen Soͤhne/ denen
er von ihr ſchon angebohren war/ ſondern auch in den
vier andern ſtiefbruͤdern des Joſefs ſo tieffe wurtzeln/
daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Dieſe
Boͤſewichter lieſſen ihren has zwar zeitlich und deutlich
genug blikken. Aber Joſef ſchlug gleichwohl keine acht
darauf. Er gedachte/ es ſei einieder ſo aufrichtig und
redlich/ als er.

Wie heftig nun den Joſef ſeine Stiefmutter/ und
Stiefbruͤder/ ſeiner tugend wegen/ anfeindeten; eben
ſo heftig/ ja hertzlich liebete ihn ſein frommer Vater.
Ja Gott ſelbſt lies ihm ſeine liebe blikken. Der Hoͤchſte
ſelbſt liebte ihn zum hoͤchſten. Er offenbahrte ihm im
ſchlafe/ durch ein geſichte/ was ihm kuͤnftig begegnen
ſolte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein gluͤk
ihm zuſtehen wuͤrde. Und hierdurch verſicherte Er ihn
der kuͤnftigen belohnung ſeiner Tugend. Hierdurch reitze-
te Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Dieſe treu-
me veranlaßeten den Joſef/ auch endlich der Traum-

deu-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0083" n="59"/><fw place="top" type="header">zweites Buch.</fw><lb/>
einen buntge&#x017F;tikten &#x017F;eidenen Rok tragen: welches eine<lb/>
tracht war der Ko&#x0364;nigskinder. <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> mu&#x017F;te &#x017F;ta&#x0364;hts u&#x0364;m<lb/>
ihn &#x017F;ein. <hi rendition="#fr">Jakob</hi> konte &#x017F;ich kaum ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en/ &#x017F;einen<lb/><hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> nur einen halben tag aus den augen zu laßen:<lb/>
zumahl weil er in <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;efs</hi> ange&#x017F;ichte &#x017F;einer &#x017F;eeligen<lb/><hi rendition="#fr">Rahel/</hi> die er &#x017F;o hertzinniglich geliebet/ &#x017F;o a&#x0364;hnliches<lb/>
und &#x017F;cho&#x0364;nes/ ja hundertmahl &#x017F;cho&#x0364;neres ebenbild erblik-<lb/>
te. Und daru&#x0364;m hu&#x0364;pfete ihm das hertz im leibe/ wan er<lb/>
&#x017F;einen Sohn &#x017F;ahe. Ja er weinete vor freuden.</p><lb/>
        <p>Aber wie dem Vater vor freuden die augen u&#x0364;berlief-<lb/>
fen: &#x017F;o lief der <hi rendition="#fr">Lea</hi> die galle vor unmuht und grim-<lb/>
migkeit u&#x0364;ber; indem &#x017F;ie &#x017F;ahe/ daß ihre So&#x0364;hne dem <hi rendition="#fr">Ja-<lb/>
kob</hi> &#x017F;o angenehm nicht waren/ als <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef.</hi> Und al&#x017F;o<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;ete und neidete &#x017F;ie den <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef/</hi> &#x017F;einer Tugend we-<lb/>
gen: weil er daru&#x0364;m &#x017F;einem Vater &#x017F;o lieb war. Auch<lb/>
gewan die&#x017F;er &#x017F;tiefmu&#x0364;tterliche neid in den mei&#x017F;t vergal-<lb/>
ten hertzen nicht allein ihrer &#x017F;echs eigenen So&#x0364;hne/ denen<lb/>
er von ihr &#x017F;chon angebohren war/ &#x017F;ondern auch in den<lb/>
vier andern &#x017F;tiefbru&#x0364;dern des <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;efs</hi> &#x017F;o tieffe wurtzeln/<lb/>
daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Die&#x017F;e<lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;ewichter lie&#x017F;&#x017F;en ihren has zwar zeitlich und deutlich<lb/>
genug blikken. Aber <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> &#x017F;chlug gleichwohl keine acht<lb/>
darauf. Er gedachte/ es &#x017F;ei einieder &#x017F;o aufrichtig und<lb/>
redlich/ als er.</p><lb/>
        <p>Wie heftig nun den <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> &#x017F;eine Stiefmutter/ und<lb/>
Stiefbru&#x0364;der/ &#x017F;einer tugend wegen/ anfeindeten; eben<lb/>
&#x017F;o heftig/ ja hertzlich liebete ihn &#x017F;ein frommer Vater.<lb/>
Ja Gott &#x017F;elb&#x017F;t lies ihm &#x017F;eine liebe blikken. Der Ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t liebte ihn zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten. Er offenbahrte ihm im<lb/>
&#x017F;chlafe/ durch ein ge&#x017F;ichte/ was ihm ku&#x0364;nftig begegnen<lb/>
&#x017F;olte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein glu&#x0364;k<lb/>
ihm zu&#x017F;tehen wu&#x0364;rde. Und hierdurch ver&#x017F;icherte Er ihn<lb/>
der ku&#x0364;nftigen belohnung &#x017F;einer Tugend. Hierdurch reitze-<lb/>
te Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Die&#x017F;e treu-<lb/>
me veranlaßeten den <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef/</hi> auch endlich der Traum-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">deu-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0083] zweites Buch. einen buntgeſtikten ſeidenen Rok tragen: welches eine tracht war der Koͤnigskinder. Joſef muſte ſtaͤhts uͤm ihn ſein. Jakob konte ſich kaum entſchlieſſen/ ſeinen Joſef nur einen halben tag aus den augen zu laßen: zumahl weil er in Joſefs angeſichte ſeiner ſeeligen Rahel/ die er ſo hertzinniglich geliebet/ ſo aͤhnliches und ſchoͤnes/ ja hundertmahl ſchoͤneres ebenbild erblik- te. Und daruͤm huͤpfete ihm das hertz im leibe/ wan er ſeinen Sohn ſahe. Ja er weinete vor freuden. Aber wie dem Vater vor freuden die augen uͤberlief- fen: ſo lief der Lea die galle vor unmuht und grim- migkeit uͤber; indem ſie ſahe/ daß ihre Soͤhne dem Ja- kob ſo angenehm nicht waren/ als Joſef. Und alſo haſſete und neidete ſie den Joſef/ ſeiner Tugend we- gen: weil er daruͤm ſeinem Vater ſo lieb war. Auch gewan dieſer ſtiefmuͤtterliche neid in den meiſt vergal- ten hertzen nicht allein ihrer ſechs eigenen Soͤhne/ denen er von ihr ſchon angebohren war/ ſondern auch in den vier andern ſtiefbruͤdern des Joſefs ſo tieffe wurtzeln/ daß er von zeit zu zeit mehr und mehr anwuchs. Dieſe Boͤſewichter lieſſen ihren has zwar zeitlich und deutlich genug blikken. Aber Joſef ſchlug gleichwohl keine acht darauf. Er gedachte/ es ſei einieder ſo aufrichtig und redlich/ als er. Wie heftig nun den Joſef ſeine Stiefmutter/ und Stiefbruͤder/ ſeiner tugend wegen/ anfeindeten; eben ſo heftig/ ja hertzlich liebete ihn ſein frommer Vater. Ja Gott ſelbſt lies ihm ſeine liebe blikken. Der Hoͤchſte ſelbſt liebte ihn zum hoͤchſten. Er offenbahrte ihm im ſchlafe/ durch ein geſichte/ was ihm kuͤnftig begegnen ſolte. Er zeigte ihm an/ im traume/ was vor ein gluͤk ihm zuſtehen wuͤrde. Und hierdurch verſicherte Er ihn der kuͤnftigen belohnung ſeiner Tugend. Hierdurch reitze- te Er ihn an im tugendwege fort zu wandeln. Dieſe treu- me veranlaßeten den Joſef/ auch endlich der Traum- deu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/83
Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/83>, abgerufen am 28.11.2024.