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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
war so groß/ daß sie ihnen alles vergab. Ihre leidsam-
heit war so übermäßig/ daß sie solches verbrechens auch
nicht einmahl wolte gedacht haben. Eine ewige undacht
solte zwischen ihr und ihnen sein. Darüm baht sie ih-
ren Schwiegervater/ wan er sie lieb hette/ als seine Toch-
ter/ daß er seinen Söhnen solchen fehler verzeihen wol-
te/ gleichwie sie selbsten ihnen alles verziehen. Er solte
keinen has tragen. Er solte an kein böses gedenken. Er
solte von nun an die sonne nicht mehr über seinen zorn
untergehen laßen. Ja sie lies nicht eher nach/ als bis
sie ihn begühtiget/ und seine Söhne bei ihm ausge-
sühnet.

Nachdem es diese Liebseelige so weit gebracht hatte;
nachdem sie diese versühnung gestiftet: da lies sie sich
bedünken/ als hette sie alle ihre gesundheit wieder ge-
wonnen. Vor großen freuden befand sie sich auch eine
guhte zeit sehr wohl. Eine guhte weile spührete sie keine
beschweerung. Alles ihr ungemach schien als ver-
schwunden. Der Schaltkönig war hierüber von hertzen
erfreuet; als auch mit ihm der gantze hof. Nie war er
milder gewesen gegen die dürftigen. Nie hatte er so rei-
che armenspenden ausgeteilet/ als itzund. Und hierdurch
teilete er zugleich den armen seine freude mit. Diese
frohlokten. Diese rühmeten seine freigebigkeit. Ja sie
wündschten ihm/ und seiner Assenat tausend gesun-
der jahre.

Aber wie nichts unbeständiger ist/ als die zeit; so
seind auch alle/ die in der zeit leben/ mit lauter unbe-
ständigkeit ümfangen. Und wie nichts veränderlicher/
nichts flüchtiger ist/ als die zeit; so ist auch die zeitliche
gesundheit/ die zeitliche freude/ ja alles was zeitlich
ist/ der flucht und veränderung unterwofen. Wan die
freude auf das höchste gekommen/ dan mus man den-
ken/ daß die traurigeikeit bald folgen werde. Man hat-
te sich über die scheinbare gesundheit der Assenat kaum

er-

Der Aſſenat
war ſo groß/ daß ſie ihnen alles vergab. Ihre leidſam-
heit war ſo uͤbermaͤßig/ daß ſie ſolches verbrechens auch
nicht einmahl wolte gedacht haben. Eine ewige undacht
ſolte zwiſchen ihr und ihnen ſein. Daruͤm baht ſie ih-
ren Schwiegervater/ wan er ſie lieb hette/ als ſeine Toch-
ter/ daß er ſeinen Soͤhnen ſolchen fehler verzeihen wol-
te/ gleichwie ſie ſelbſten ihnen alles verziehen. Er ſolte
keinen has tragen. Er ſolte an kein boͤſes gedenken. Er
ſolte von nun an die ſonne nicht mehr uͤber ſeinen zorn
untergehen laßen. Ja ſie lies nicht eher nach/ als bis
ſie ihn beguͤhtiget/ und ſeine Soͤhne bei ihm ausge-
ſuͤhnet.

Nachdem es dieſe Liebſeelige ſo weit gebracht hatte;
nachdem ſie dieſe verſuͤhnung geſtiftet: da lies ſie ſich
beduͤnken/ als hette ſie alle ihre geſundheit wieder ge-
wonnen. Vor großen freuden befand ſie ſich auch eine
guhte zeit ſehr wohl. Eine guhte weile ſpuͤhrete ſie keine
beſchweerung. Alles ihr ungemach ſchien als ver-
ſchwunden. Der Schaltkoͤnig war hieruͤber von hertzen
erfreuet; als auch mit ihm der gantze hof. Nie war er
milder geweſen gegen die duͤrftigen. Nie hatte er ſo rei-
che armenſpenden ausgeteilet/ als itzund. Und hierdurch
teilete er zugleich den armen ſeine freude mit. Dieſe
frohlokten. Dieſe ruͤhmeten ſeine freigebigkeit. Ja ſie
wuͤndſchten ihm/ und ſeiner Aſſenat tauſend geſun-
der jahre.

Aber wie nichts unbeſtaͤndiger iſt/ als die zeit; ſo
ſeind auch alle/ die in der zeit leben/ mit lauter unbe-
ſtaͤndigkeit uͤmfangen. Und wie nichts veraͤnderlicher/
nichts fluͤchtiger iſt/ als die zeit; ſo iſt auch die zeitliche
geſundheit/ die zeitliche freude/ ja alles was zeitlich
iſt/ der flucht und veraͤnderung unterwofen. Wan die
freude auf das hoͤchſte gekommen/ dan mus man den-
ken/ daß die traurigeikeit bald folgen werde. Man hat-
te ſich uͤber die ſcheinbare geſundheit der Aſſenat kaum

er-
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[304/0328] Der Aſſenat war ſo groß/ daß ſie ihnen alles vergab. Ihre leidſam- heit war ſo uͤbermaͤßig/ daß ſie ſolches verbrechens auch nicht einmahl wolte gedacht haben. Eine ewige undacht ſolte zwiſchen ihr und ihnen ſein. Daruͤm baht ſie ih- ren Schwiegervater/ wan er ſie lieb hette/ als ſeine Toch- ter/ daß er ſeinen Soͤhnen ſolchen fehler verzeihen wol- te/ gleichwie ſie ſelbſten ihnen alles verziehen. Er ſolte keinen has tragen. Er ſolte an kein boͤſes gedenken. Er ſolte von nun an die ſonne nicht mehr uͤber ſeinen zorn untergehen laßen. Ja ſie lies nicht eher nach/ als bis ſie ihn beguͤhtiget/ und ſeine Soͤhne bei ihm ausge- ſuͤhnet. Nachdem es dieſe Liebſeelige ſo weit gebracht hatte; nachdem ſie dieſe verſuͤhnung geſtiftet: da lies ſie ſich beduͤnken/ als hette ſie alle ihre geſundheit wieder ge- wonnen. Vor großen freuden befand ſie ſich auch eine guhte zeit ſehr wohl. Eine guhte weile ſpuͤhrete ſie keine beſchweerung. Alles ihr ungemach ſchien als ver- ſchwunden. Der Schaltkoͤnig war hieruͤber von hertzen erfreuet; als auch mit ihm der gantze hof. Nie war er milder geweſen gegen die duͤrftigen. Nie hatte er ſo rei- che armenſpenden ausgeteilet/ als itzund. Und hierdurch teilete er zugleich den armen ſeine freude mit. Dieſe frohlokten. Dieſe ruͤhmeten ſeine freigebigkeit. Ja ſie wuͤndſchten ihm/ und ſeiner Aſſenat tauſend geſun- der jahre. Aber wie nichts unbeſtaͤndiger iſt/ als die zeit; ſo ſeind auch alle/ die in der zeit leben/ mit lauter unbe- ſtaͤndigkeit uͤmfangen. Und wie nichts veraͤnderlicher/ nichts fluͤchtiger iſt/ als die zeit; ſo iſt auch die zeitliche geſundheit/ die zeitliche freude/ ja alles was zeitlich iſt/ der flucht und veraͤnderung unterwofen. Wan die freude auf das hoͤchſte gekommen/ dan mus man den- ken/ daß die traurigeikeit bald folgen werde. Man hat- te ſich uͤber die ſcheinbare geſundheit der Aſſenat kaum er-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/328>, abgerufen am 11.05.2024.