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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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sechstes Buch.
derten sie sich alle. Alle teller/ alle schüsseln waren von
lauterem golde. Auch trug man ihnen ihre speisen auf
von des Schaltköniges tafel selbsten/ einem ieden sein
teil. Aber dem Benjamin ward fünf mahl mehr.
Also aßen und tranken sie/ und waren guhtes muhtes.

Nach gehaltener tafel befahl Josef seinem Haus-
halter/ daß er ihre säkke mit getreide füllen solte/ so viel/
als sie fortbringen könten. Auch solte er in geheim ei-
nes ieden geld oben in seinen sak legen; in Benjamins
aber auch seinen silbernen Trinkbecher darzu. Hiermit
machten sie sich des morgens früh auf/ und zogen fröh-
lich darvon. Aber diese freude währete nicht lange.
Kaum waren sie eine stunde von der stadt/ als sie etliche
zwanzig reiter hinter ihnen her eilen sahen. Sie erschra-
ken nicht wenig. Plötzlich überfiel sie die furcht. Ja
diese heuffete sich noch mehr/ als sie den Musai erblik-
ten/ und ihn von ferne rufen höreten: Haltet stil/ ihr
diebe! haltet stil/ ihr leichtfärtigen bösewichter! ihr
undankbaren vogel! Als er nun näher hinzukommen;
da verwiese er ihnen ihre boßheit. Er bezüchtigte sie des
diebstals. Ihr habt/ sagte er/ meines Herrn Trink-
bächer entwendet. Ihr habt ihm den Bächer gestohlen/
damit er weissaget. Ist das die dankbarkeit vor seine
erwiesene guhttaht. Hat euch euer Vater ausgeschikt
denselben zu bestehlen/ der euch/ üm seinetwillen/ so
herlich bewürtet? Straks gebt den dieb her/ samt dem
gestohlnen: wo nicht/ so solt ihr alle miteinander an-
gesichts niedergehauen werden.

Warüm ist mein Herr so gar zornig? antwortete
Ruben. Warüm begegnet er uns mit solchen schmaach-
reden? Es sei ferne von uns ein solches zu tuhn. Sein
Herr hat uns gestern als ehrliche leute befunden/ und
als liebe gäste gnädig bewürtet. Woher komt nun dieser
plötzliche überfal? Fraget ihr noch warüm? fuhr Mu-
sai
gantz erhitzet fort. Darüm/ weil ihr diebe seid: weil

ihr
S ij

ſechſtes Buch.
derten ſie ſich alle. Alle teller/ alle ſchuͤſſeln waren von
lauterem golde. Auch trug man ihnen ihre ſpeiſen auf
von des Schaltkoͤniges tafel ſelbſten/ einem ieden ſein
teil. Aber dem Benjamin ward fuͤnf mahl mehr.
Alſo aßen und tranken ſie/ und waren guhtes muhtes.

Nach gehaltener tafel befahl Joſef ſeinem Haus-
halter/ daß er ihre ſaͤkke mit getreide fuͤllen ſolte/ ſo viel/
als ſie fortbringen koͤnten. Auch ſolte er in geheim ei-
nes ieden geld oben in ſeinen ſak legen; in Benjamins
aber auch ſeinen ſilbernen Trinkbecher darzu. Hiermit
machten ſie ſich des morgens fruͤh auf/ und zogen froͤh-
lich darvon. Aber dieſe freude waͤhrete nicht lange.
Kaum waren ſie eine ſtunde von der ſtadt/ als ſie etliche
zwanzig reiter hinter ihnen her eilen ſahen. Sie erſchra-
ken nicht wenig. Ploͤtzlich uͤberfiel ſie die furcht. Ja
dieſe heuffete ſich noch mehr/ als ſie den Muſai erblik-
ten/ und ihn von ferne rufen hoͤreten: Haltet ſtil/ ihr
diebe! haltet ſtil/ ihr leichtfaͤrtigen boͤſewichter! ihr
undankbaren vogel! Als er nun naͤher hinzukommen;
da verwieſe er ihnen ihre boßheit. Er bezuͤchtigte ſie des
diebſtals. Ihr habt/ ſagte er/ meines Herꝛn Trink-
baͤcher entwendet. Ihr habt ihm den Baͤcher geſtohlen/
damit er weiſſaget. Iſt das die dankbarkeit vor ſeine
erwieſene guhttaht. Hat euch euer Vater ausgeſchikt
denſelben zu beſtehlen/ der euch/ uͤm ſeinetwillen/ ſo
herlich bewuͤrtet? Straks gebt den dieb her/ ſamt dem
geſtohlnen: wo nicht/ ſo ſolt ihr alle miteinander an-
geſichts niedergehauen werden.

Waruͤm iſt mein Herꝛ ſo gar zornig? antwortete
Ruben. Waruͤm begegnet er uns mit ſolchen ſchmaach-
reden? Es ſei ferne von uns ein ſolches zu tuhn. Sein
Herꝛ hat uns geſtern als ehrliche leute befunden/ und
als liebe gaͤſte gnaͤdig bewuͤrtet. Woher komt nun dieſer
ploͤtzliche uͤberfal? Fraget ihr noch waruͤm? fuhr Mu-
ſai
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ihr
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[275/0299] ſechſtes Buch. derten ſie ſich alle. Alle teller/ alle ſchuͤſſeln waren von lauterem golde. Auch trug man ihnen ihre ſpeiſen auf von des Schaltkoͤniges tafel ſelbſten/ einem ieden ſein teil. Aber dem Benjamin ward fuͤnf mahl mehr. Alſo aßen und tranken ſie/ und waren guhtes muhtes. Nach gehaltener tafel befahl Joſef ſeinem Haus- halter/ daß er ihre ſaͤkke mit getreide fuͤllen ſolte/ ſo viel/ als ſie fortbringen koͤnten. Auch ſolte er in geheim ei- nes ieden geld oben in ſeinen ſak legen; in Benjamins aber auch ſeinen ſilbernen Trinkbecher darzu. Hiermit machten ſie ſich des morgens fruͤh auf/ und zogen froͤh- lich darvon. Aber dieſe freude waͤhrete nicht lange. Kaum waren ſie eine ſtunde von der ſtadt/ als ſie etliche zwanzig reiter hinter ihnen her eilen ſahen. Sie erſchra- ken nicht wenig. Ploͤtzlich uͤberfiel ſie die furcht. Ja dieſe heuffete ſich noch mehr/ als ſie den Muſai erblik- ten/ und ihn von ferne rufen hoͤreten: Haltet ſtil/ ihr diebe! haltet ſtil/ ihr leichtfaͤrtigen boͤſewichter! ihr undankbaren vogel! Als er nun naͤher hinzukommen; da verwieſe er ihnen ihre boßheit. Er bezuͤchtigte ſie des diebſtals. Ihr habt/ ſagte er/ meines Herꝛn Trink- baͤcher entwendet. Ihr habt ihm den Baͤcher geſtohlen/ damit er weiſſaget. Iſt das die dankbarkeit vor ſeine erwieſene guhttaht. Hat euch euer Vater ausgeſchikt denſelben zu beſtehlen/ der euch/ uͤm ſeinetwillen/ ſo herlich bewuͤrtet? Straks gebt den dieb her/ ſamt dem geſtohlnen: wo nicht/ ſo ſolt ihr alle miteinander an- geſichts niedergehauen werden. Waruͤm iſt mein Herꝛ ſo gar zornig? antwortete Ruben. Waruͤm begegnet er uns mit ſolchen ſchmaach- reden? Es ſei ferne von uns ein ſolches zu tuhn. Sein Herꝛ hat uns geſtern als ehrliche leute befunden/ und als liebe gaͤſte gnaͤdig bewuͤrtet. Woher komt nun dieſer ploͤtzliche uͤberfal? Fraget ihr noch waruͤm? fuhr Mu- ſai gantz erhitzet fort. Daruͤm/ weil ihr diebe ſeid: weil ihr S ij

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/299>, abgerufen am 14.05.2024.