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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
heim kähme/ zu zeigen. Die übrigen warden ordentli-
cher gepakt/ und also die geschenke bereitet.

Auf den mittag begab sich Josef wieder auf sein
schlos. Straks lies er seine Brüder vor sich kommen.
Diese erschienen mit ihren geschenken/ und fielen vor
ihm zur erde nieder. Er aber empfing sie überaus
freundlich. Von stunden an fragte er nach ihrem Va-
ter. Wie gehet es/ sagte er/ eurem Vater dem alten/
dessen ihr ehmahls gedachtet? Ist er noch bei leben?
Sie antworteten: es gehet meines Herrn knechte/ uns-
rem Vater/ sehr wohl/ auch lebet er noch. Hiermit neu-
geten sie sich abermahl/ und fielen zur erde nieder. Dar-
nach warf Josef das auge auf seinen Bruder Ben-
jamin.
Ist das/ fragte er/ euer jüngster Bruder/ von
dem ihr sagtet? und straks fing er an: Gott sei dir
gnädig/ mein sohn. Weil ihm nun das hertz gegen sei-
nen Bruder dermaßen entbrante/ daß er die trähnen
nicht länger halten konte; so machte er sich eilend auf
die seite. Eilend entwich er in sein zimmer/ und weine-
te daselbst eine guhte weile.

Endlich/ als Josef sein angesicht gewaschen/ kahm
er wieder/ und hielt sich hart. Straks befahl er die ta-
feln zu dekken/ und die speisen aufzutragen. Da kahm
seine liebe Assenat auch an: welche noch nicht wuste/
daß es seine Brüder weren. Mit derselben begab er sich
an eine sonderliche tafel. Gegen dieser über hatte man
eine andere vor seine Brüder gedekt: ja noch eine andere
vor die Egipter; dan diese durften mit den Ebreern
nicht essen/ weil es ein greuel war vor ihren augen.
Alle diese tafeln/ ob sie schon unterschiedlich/ und mit
unterschiedlichen speisen bedienet warden/ hielt man
gleichwohl vor eine/ nähmlich des Schaltköniges tafel.
Seine Brüder warden ihm recht ins gesicht/ und in
solcher ordnung ihres alters/ wie sie in ihres Vaters
hause zu sitzen pflegten/ gesetzet. Und hierüber verwun-

der-

Der Aſſenat
heim kaͤhme/ zu zeigen. Die uͤbrigen warden ordentli-
cher gepakt/ und alſo die geſchenke bereitet.

Auf den mittag begab ſich Joſef wieder auf ſein
ſchlos. Straks lies er ſeine Bruͤder vor ſich kommen.
Dieſe erſchienen mit ihren geſchenken/ und fielen vor
ihm zur erde nieder. Er aber empfing ſie uͤberaus
freundlich. Von ſtunden an fragte er nach ihrem Va-
ter. Wie gehet es/ ſagte er/ eurem Vater dem alten/
deſſen ihr ehmahls gedachtet? Iſt er noch bei leben?
Sie antworteten: es gehet meines Herꝛn knechte/ unſ-
rem Vater/ ſehr wohl/ auch lebet er noch. Hiermit neu-
geten ſie ſich abermahl/ und fielen zur erde nieder. Dar-
nach warf Joſef das auge auf ſeinen Bruder Ben-
jamin.
Iſt das/ fragte er/ euer juͤngſter Bruder/ von
dem ihr ſagtet? und ſtraks fing er an: Gott ſei dir
gnaͤdig/ mein ſohn. Weil ihm nun das hertz gegen ſei-
nen Bruder dermaßen entbrante/ daß er die traͤhnen
nicht laͤnger halten konte; ſo machte er ſich eilend auf
die ſeite. Eilend entwich er in ſein zimmer/ und weine-
te daſelbſt eine guhte weile.

Endlich/ als Joſef ſein angeſicht gewaſchen/ kahm
er wieder/ und hielt ſich hart. Straks befahl er die ta-
feln zu dekken/ und die ſpeiſen aufzutragen. Da kahm
ſeine liebe Aſſenat auch an: welche noch nicht wuſte/
daß es ſeine Bruͤder weren. Mit derſelben begab er ſich
an eine ſonderliche tafel. Gegen dieſer uͤber hatte man
eine andere vor ſeine Bruͤder gedekt: ja noch eine andere
vor die Egipter; dan dieſe durften mit den Ebreern
nicht eſſen/ weil es ein greuel war vor ihren augen.
Alle dieſe tafeln/ ob ſie ſchon unterſchiedlich/ und mit
unterſchiedlichen ſpeiſen bedienet warden/ hielt man
gleichwohl vor eine/ naͤhmlich des Schaltkoͤniges tafel.
Seine Bruͤder warden ihm recht ins geſicht/ und in
ſolcher ordnung ihres alters/ wie ſie in ihres Vaters
hauſe zu ſitzen pflegten/ geſetzet. Und hieruͤber verwun-

der-
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[274/0298] Der Aſſenat heim kaͤhme/ zu zeigen. Die uͤbrigen warden ordentli- cher gepakt/ und alſo die geſchenke bereitet. Auf den mittag begab ſich Joſef wieder auf ſein ſchlos. Straks lies er ſeine Bruͤder vor ſich kommen. Dieſe erſchienen mit ihren geſchenken/ und fielen vor ihm zur erde nieder. Er aber empfing ſie uͤberaus freundlich. Von ſtunden an fragte er nach ihrem Va- ter. Wie gehet es/ ſagte er/ eurem Vater dem alten/ deſſen ihr ehmahls gedachtet? Iſt er noch bei leben? Sie antworteten: es gehet meines Herꝛn knechte/ unſ- rem Vater/ ſehr wohl/ auch lebet er noch. Hiermit neu- geten ſie ſich abermahl/ und fielen zur erde nieder. Dar- nach warf Joſef das auge auf ſeinen Bruder Ben- jamin. Iſt das/ fragte er/ euer juͤngſter Bruder/ von dem ihr ſagtet? und ſtraks fing er an: Gott ſei dir gnaͤdig/ mein ſohn. Weil ihm nun das hertz gegen ſei- nen Bruder dermaßen entbrante/ daß er die traͤhnen nicht laͤnger halten konte; ſo machte er ſich eilend auf die ſeite. Eilend entwich er in ſein zimmer/ und weine- te daſelbſt eine guhte weile. Endlich/ als Joſef ſein angeſicht gewaſchen/ kahm er wieder/ und hielt ſich hart. Straks befahl er die ta- feln zu dekken/ und die ſpeiſen aufzutragen. Da kahm ſeine liebe Aſſenat auch an: welche noch nicht wuſte/ daß es ſeine Bruͤder weren. Mit derſelben begab er ſich an eine ſonderliche tafel. Gegen dieſer uͤber hatte man eine andere vor ſeine Bruͤder gedekt: ja noch eine andere vor die Egipter; dan dieſe durften mit den Ebreern nicht eſſen/ weil es ein greuel war vor ihren augen. Alle dieſe tafeln/ ob ſie ſchon unterſchiedlich/ und mit unterſchiedlichen ſpeiſen bedienet warden/ hielt man gleichwohl vor eine/ naͤhmlich des Schaltkoͤniges tafel. Seine Bruͤder warden ihm recht ins geſicht/ und in ſolcher ordnung ihres alters/ wie ſie in ihres Vaters hauſe zu ſitzen pflegten/ geſetzet. Und hieruͤber verwun- der-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/298>, abgerufen am 14.05.2024.