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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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sechstes Buch.
wir redlich weren/ und nie Kundschaffer gewesen; daß
wir mit uns zwölfen alle einen Vater hetten; daß einer
nicht mehr vorhanden/ und der jüngste noch bei unserem
Vater sei. Hierauf begehrte der Herscher des Reichs:
wir solten einen von uns allen bei ihm laßen/ und mit
dem getreidich hinziehen unsern jüngsten Bruder zu
hohlen. Darbei/ sagte er/ wil ich märken/ daß ihr red-
lich seid. Und dan wil ich euch euren Bruder wiederge-
ben: auch möget ihr im Reiche wärben/ wo ihr wollet.

Da sie nun die Säkke ausschütteten/ fand einieder
sein bündlein geldes in seinem sakke. Hierüber er-
schraken sie/ samt ihrem Vater. Ach! sagte Jakob/
dieses alles geschiehet mit einem gefährlichen vorsatze/
mich aller meiner kinder zu berauben. Josef ist eurent-
halben ümkommen. Den Simeon habt ihr ohne zwei-
fel/ durch eure unvorsichtigkeit/ verschertzet. Und nun
wollet ihr den Bemjamin auch hinnehmen. Ja wer
weis/ ob ich nicht zugleich eurer aller entbähren mus.
Es gehet nur alles über mich. Ruben aber suchte sei-
nen Vater zu bereden/ daß er den Benjamin mitziehen
liesse. Gib ihn nur/ sagte er/ in meine hand. Ich wil ihn
wiederbringen. Und wan ich ihn nicht wiederbringe/ so
erwürge meine zween söhne. Jakob antwortete: mein
Sohn sol nicht mit euch ziehen. Dan sein Bruder ist
todt. Er ist nur allein noch übrig. Wan ihm ein un-
fal auf der reise begegnete/ würdet ihr nicht mein graues
haar mit hertzeleid in die grube bringen?

Mit der zeit ging das Korn auf. Die teurung ward
in Kanaan ie länger ie grösser. Jakob begehrte; daß
sie wieder hinziehen solten/ was frisches zu kauffen.
Aber Judah gab ihm zur antwort: wan du unsern
Bruder mitsendest/ so wollen wir ziehen. Wo nicht/
so ziehen wir auch nicht. Dan der Herscher des Reichs
sagte zu uns: ihr solt mein angesicht nicht sehen/ es sei
dan euer Bruder mit euch. Jakob aber fuhr fort: war-

üm

ſechſtes Buch.
wir redlich weren/ und nie Kundſchaffer geweſen; daß
wir mit uns zwoͤlfen alle einen Vater hetten; daß einer
nicht mehr vorhanden/ und der juͤngſte noch bei unſerem
Vater ſei. Hierauf begehrte der Herſcher des Reichs:
wir ſolten einen von uns allen bei ihm laßen/ und mit
dem getreidich hinziehen unſern juͤngſten Bruder zu
hohlen. Darbei/ ſagte er/ wil ich maͤrken/ daß ihr red-
lich ſeid. Und dan wil ich euch euren Bruder wiederge-
ben: auch moͤget ihr im Reiche waͤrben/ wo ihr wollet.

Da ſie nun die Saͤkke ausſchuͤtteten/ fand einieder
ſein buͤndlein geldes in ſeinem ſakke. Hieruͤber er-
ſchraken ſie/ ſamt ihrem Vater. Ach! ſagte Jakob/
dieſes alles geſchiehet mit einem gefaͤhrlichen vorſatze/
mich aller meiner kinder zu berauben. Joſef iſt eurent-
halben uͤmkommen. Den Simeon habt ihr ohne zwei-
fel/ durch eure unvorſichtigkeit/ verſchertzet. Und nun
wollet ihr den Bemjamin auch hinnehmen. Ja wer
weis/ ob ich nicht zugleich eurer aller entbaͤhren mus.
Es gehet nur alles uͤber mich. Ruben aber ſuchte ſei-
nen Vater zu bereden/ daß er den Benjamin mitziehen
lieſſe. Gib ihn nur/ ſagte er/ in meine hand. Ich wil ihn
wiederbringen. Und wan ich ihn nicht wiederbringe/ ſo
erwuͤrge meine zween ſoͤhne. Jakob antwortete: mein
Sohn ſol nicht mit euch ziehen. Dan ſein Bruder iſt
todt. Er iſt nur allein noch uͤbrig. Wan ihm ein un-
fal auf der reiſe begegnete/ wuͤrdet ihr nicht mein graues
haar mit hertzeleid in die grube bringen?

Mit der zeit ging das Korn auf. Die teurung ward
in Kanaan ie laͤnger ie groͤſſer. Jakob begehrte; daß
ſie wieder hinziehen ſolten/ was friſches zu kauffen.
Aber Judah gab ihm zur antwort: wan du unſern
Bruder mitſendeſt/ ſo wollen wir ziehen. Wo nicht/
ſo ziehen wir auch nicht. Dan der Herſcher des Reichs
ſagte zu uns: ihr ſolt mein angeſicht nicht ſehen/ es ſei
dan euer Bruder mit euch. Jakob aber fuhr fort: war-

uͤm
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[271/0295] ſechſtes Buch. wir redlich weren/ und nie Kundſchaffer geweſen; daß wir mit uns zwoͤlfen alle einen Vater hetten; daß einer nicht mehr vorhanden/ und der juͤngſte noch bei unſerem Vater ſei. Hierauf begehrte der Herſcher des Reichs: wir ſolten einen von uns allen bei ihm laßen/ und mit dem getreidich hinziehen unſern juͤngſten Bruder zu hohlen. Darbei/ ſagte er/ wil ich maͤrken/ daß ihr red- lich ſeid. Und dan wil ich euch euren Bruder wiederge- ben: auch moͤget ihr im Reiche waͤrben/ wo ihr wollet. Da ſie nun die Saͤkke ausſchuͤtteten/ fand einieder ſein buͤndlein geldes in ſeinem ſakke. Hieruͤber er- ſchraken ſie/ ſamt ihrem Vater. Ach! ſagte Jakob/ dieſes alles geſchiehet mit einem gefaͤhrlichen vorſatze/ mich aller meiner kinder zu berauben. Joſef iſt eurent- halben uͤmkommen. Den Simeon habt ihr ohne zwei- fel/ durch eure unvorſichtigkeit/ verſchertzet. Und nun wollet ihr den Bemjamin auch hinnehmen. Ja wer weis/ ob ich nicht zugleich eurer aller entbaͤhren mus. Es gehet nur alles uͤber mich. Ruben aber ſuchte ſei- nen Vater zu bereden/ daß er den Benjamin mitziehen lieſſe. Gib ihn nur/ ſagte er/ in meine hand. Ich wil ihn wiederbringen. Und wan ich ihn nicht wiederbringe/ ſo erwuͤrge meine zween ſoͤhne. Jakob antwortete: mein Sohn ſol nicht mit euch ziehen. Dan ſein Bruder iſt todt. Er iſt nur allein noch uͤbrig. Wan ihm ein un- fal auf der reiſe begegnete/ wuͤrdet ihr nicht mein graues haar mit hertzeleid in die grube bringen? Mit der zeit ging das Korn auf. Die teurung ward in Kanaan ie laͤnger ie groͤſſer. Jakob begehrte; daß ſie wieder hinziehen ſolten/ was friſches zu kauffen. Aber Judah gab ihm zur antwort: wan du unſern Bruder mitſendeſt/ ſo wollen wir ziehen. Wo nicht/ ſo ziehen wir auch nicht. Dan der Herſcher des Reichs ſagte zu uns: ihr ſolt mein angeſicht nicht ſehen/ es ſei dan euer Bruder mit euch. Jakob aber fuhr fort: war- uͤm

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/295>, abgerufen am 14.05.2024.