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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
ich euren worten gleuben/ und euch frei kennen/ daß
ihr nicht sterben müsset. Sie aber sprachen untereinander
auf Ebreisch/ damit es der Schaltkönig/ und Musai
nicht verstehen solten: das haben wir verschuldet an
unsrem Bruder. Wir sahen die angst seiner seelen/ da
er uns flöhete; und wir wolten ihn nicht erhören. Dar-
üm komt nun diese trübsaal über uns. Ja Ruben
fügte hinzu: ich sagte es euch wohl/ sprach er: versün-
diget euch nicht an dem Knaben. Aber ihr woltet nicht
hören. Nun wird sein bluht gefordert. Ach! ich be-
jammere unsern lieben alten Vater/ der durch seiner
kinder boßheit so gar sehr betrübet wird.

Sie bildeten ihnen ein/ daß sie der Schaltkönig
nicht verstünde; weil er/ durch einen Tahlmetscher/
auf Kaldeisch mit ihnen redete. Aber er verstund es
alles. Und darüm wendete er sich von ihnen weg/ und
weinete bitterlich. Da er nun ausgeweinet hatte/ und
das wehleiden vorbei war; nahm er den Simeon/
weil er die meiste schuld hatte/ mitten aus ihnen her-
aus/ und lies ihn vor ihren augen fesseln. Hierauf täht
er befehl/ daß man ihre säkke mit Korne füllete/ und ihr
geld darzu stekte/ einem ieden sein teil in seinen sak.
Auch lies er sie mit zehrung wohl versorgen. Und sie
luden das getreidich auf die esel/ und zogen von dan-
nen. Unterwegens täht einer seinen sak auf/ seinem esel
futter zu geben. Da ward er oben im sakke seines geldes
gewahr. Sobald die Brüder solches sahen/ entfiel ih-
nen der muht. Sie zitterten vor schrökken; und spra-
chen untereinander: warüm hat uns Gott das getahn?

Als sie nun heim/ ins land Kanaan/ kahmen; da
erzehleten sie ihrem Vater Jakob alles/ was ihnen in
Egipten begegnet war. Der man/ sagten sie/ der des
Königes Verweser/ und Herscher des Reichs ist/ redete
sehr hart mit uns. Er hielt uns vor Kundschaffer und
verrähter des landes. Wir aber antworteten ihm: daß

wir

Der Aſſenat
ich euren worten gleuben/ und euch frei kennen/ daß
ihr nicht ſterben muͤſſet. Sie aber ſprachen untereinander
auf Ebreiſch/ damit es der Schaltkoͤnig/ und Muſai
nicht verſtehen ſolten: das haben wir verſchuldet an
unſrem Bruder. Wir ſahen die angſt ſeiner ſeelen/ da
er uns floͤhete; und wir wolten ihn nicht erhoͤren. Dar-
uͤm komt nun dieſe truͤbſaal uͤber uns. Ja Ruben
fuͤgte hinzu: ich ſagte es euch wohl/ ſprach er: verſuͤn-
diget euch nicht an dem Knaben. Aber ihr woltet nicht
hoͤren. Nun wird ſein bluht gefordert. Ach! ich be-
jammere unſern lieben alten Vater/ der durch ſeiner
kinder boßheit ſo gar ſehr betruͤbet wird.

Sie bildeten ihnen ein/ daß ſie der Schaltkoͤnig
nicht verſtuͤnde; weil er/ durch einen Tahlmetſcher/
auf Kaldeiſch mit ihnen redete. Aber er verſtund es
alles. Und daruͤm wendete er ſich von ihnen weg/ und
weinete bitterlich. Da er nun ausgeweinet hatte/ und
das wehleiden vorbei war; nahm er den Simeon/
weil er die meiſte ſchuld hatte/ mitten aus ihnen her-
aus/ und lies ihn vor ihren augen feſſeln. Hierauf taͤht
er befehl/ daß man ihre ſaͤkke mit Korne fuͤllete/ und ihr
geld darzu ſtekte/ einem ieden ſein teil in ſeinen ſak.
Auch lies er ſie mit zehrung wohl verſorgen. Und ſie
luden das getreidich auf die eſel/ und zogen von dan-
nen. Unterwegens taͤht einer ſeinen ſak auf/ ſeinem eſel
futter zu geben. Da ward er oben im ſakke ſeines geldes
gewahr. Sobald die Bruͤder ſolches ſahen/ entfiel ih-
nen der muht. Sie zitterten vor ſchroͤkken; und ſpra-
chen untereinander: waruͤm hat uns Gott das getahn?

Als ſie nun heim/ ins land Kanaan/ kahmen; da
erzehleten ſie ihrem Vater Jakob alles/ was ihnen in
Egipten begegnet war. Der man/ ſagten ſie/ der des
Koͤniges Verweſer/ und Herſcher des Reichs iſt/ redete
ſehr hart mit uns. Er hielt uns vor Kundſchaffer und
verraͤhter des landes. Wir aber antworteten ihm: daß

wir
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[270/0294] Der Aſſenat ich euren worten gleuben/ und euch frei kennen/ daß ihr nicht ſterben muͤſſet. Sie aber ſprachen untereinander auf Ebreiſch/ damit es der Schaltkoͤnig/ und Muſai nicht verſtehen ſolten: das haben wir verſchuldet an unſrem Bruder. Wir ſahen die angſt ſeiner ſeelen/ da er uns floͤhete; und wir wolten ihn nicht erhoͤren. Dar- uͤm komt nun dieſe truͤbſaal uͤber uns. Ja Ruben fuͤgte hinzu: ich ſagte es euch wohl/ ſprach er: verſuͤn- diget euch nicht an dem Knaben. Aber ihr woltet nicht hoͤren. Nun wird ſein bluht gefordert. Ach! ich be- jammere unſern lieben alten Vater/ der durch ſeiner kinder boßheit ſo gar ſehr betruͤbet wird. Sie bildeten ihnen ein/ daß ſie der Schaltkoͤnig nicht verſtuͤnde; weil er/ durch einen Tahlmetſcher/ auf Kaldeiſch mit ihnen redete. Aber er verſtund es alles. Und daruͤm wendete er ſich von ihnen weg/ und weinete bitterlich. Da er nun ausgeweinet hatte/ und das wehleiden vorbei war; nahm er den Simeon/ weil er die meiſte ſchuld hatte/ mitten aus ihnen her- aus/ und lies ihn vor ihren augen feſſeln. Hierauf taͤht er befehl/ daß man ihre ſaͤkke mit Korne fuͤllete/ und ihr geld darzu ſtekte/ einem ieden ſein teil in ſeinen ſak. Auch lies er ſie mit zehrung wohl verſorgen. Und ſie luden das getreidich auf die eſel/ und zogen von dan- nen. Unterwegens taͤht einer ſeinen ſak auf/ ſeinem eſel futter zu geben. Da ward er oben im ſakke ſeines geldes gewahr. Sobald die Bruͤder ſolches ſahen/ entfiel ih- nen der muht. Sie zitterten vor ſchroͤkken; und ſpra- chen untereinander: waruͤm hat uns Gott das getahn? Als ſie nun heim/ ins land Kanaan/ kahmen; da erzehleten ſie ihrem Vater Jakob alles/ was ihnen in Egipten begegnet war. Der man/ ſagten ſie/ der des Koͤniges Verweſer/ und Herſcher des Reichs iſt/ redete ſehr hart mit uns. Er hielt uns vor Kundſchaffer und verraͤhter des landes. Wir aber antworteten ihm: daß wir

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/294>, abgerufen am 14.05.2024.