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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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sechstes Buch.
verwundert/ daß der König diesem Fremdlinge/ die-
sem neuen Stahtsverpfleger so viel zuliesse. Niemand
konte begreiffen/ wozu dieser unraht dienen solte. Alle
hielten es vor eine tohrheit. Meinet dan dieser Auslän-
der/ sagten etliche/ daß der Niel austruknen wird?
Wähnet er/ daß der Himmel dem lande seine gewöhn-
liche fruchtbarkeit zu entziehen beschlossen? Andere re-
deten was anders. Ja ja/ sagten etliche spotweise/ der
König mus auch leute haben/ die das geld unter den ge-
meinen man bringen. Es möchte sonst in den Schatz-
kammern verschimmeln.

Als nun diese so seltzame reden auf das höchste gekom-
men/ und dem Reiche schon einen schädlichen aufruhr zu
dreuen schienen; da kehrete sich das blat uhrplötzlich üm.
Die fruchtbarkeit blieb aus. Die wohlfeile zeit ver-
schwand. Im einen jahre blieb der Niel zurük; im an-
dern lief er so übermäßig hoch auf/ daß er alles verderbe-
te/ alles verwüstete. Keine felder konten bestellet/ keine äk-
ker besäet/ keine gärte bepflantzet werden. Und also ward
nichts eingeärntet. Der mangel entst und an allen orten.
Die Teurung überfiel das gantze Egipten. Der hunger
nahm zu. Die einwohner verschmachteten. Die noht
zwang sie ihren Schaltkönig üm rettung anzuflehen.
Nunmehr verkehreten sich ihre gedanken. Nun verän-
derten sich ihre reden. Nun sahen sie/ was Josef ge-
tahn. Nun märkten sie/ wie vorsichtig/ wie klüglich er
gehandelt. Die ihn vor diesem beschimpfet/ priesen
nun seine weisheit. Die ihn verspottet/ erhuben seine
so treue vorsorge himmelhoch. Die ihn verlachet/ flö-
heten ihn an üm gnade. Ja sie nenneten ihn ihren Er-
halter/ ihren Heiland/ ihren Reichsvater.

Aber ehe sich diese teure zeit fand/ waren dem Jo-
sef
von seiner lieben Assenat zween Söhne gebohren.
Den ersten hies er Manasse: dan Gott/ sprach er/
hat mich alles meines unglüks/ und meines

gantzen
R v

ſechſtes Buch.
verwundert/ daß der Koͤnig dieſem Fremdlinge/ die-
ſem neuen Stahtsverpfleger ſo viel zulieſſe. Niemand
konte begreiffen/ wozu dieſer unraht dienen ſolte. Alle
hielten es vor eine tohrheit. Meinet dan dieſer Auslaͤn-
der/ ſagten etliche/ daß der Niel austruknen wird?
Waͤhnet er/ daß der Himmel dem lande ſeine gewoͤhn-
liche fruchtbarkeit zu entziehen beſchloſſen? Andere re-
deten was anders. Ja ja/ ſagten etliche ſpotweiſe/ der
Koͤnig mus auch leute haben/ die das geld unter den ge-
meinen man bringen. Es moͤchte ſonſt in den Schatz-
kammern verſchimmeln.

Als nun dieſe ſo ſeltzame reden auf das hoͤchſte gekom-
men/ und dem Reiche ſchon einen ſchaͤdlichen aufruhr zu
dreuen ſchienen; da kehrete ſich das blat uhrploͤtzlich uͤm.
Die fruchtbarkeit blieb aus. Die wohlfeile zeit ver-
ſchwand. Im einen jahre blieb der Niel zuruͤk; im an-
dern lief er ſo uͤbermaͤßig hoch auf/ daß er alles verderbe-
te/ alles verwuͤſtete. Keine felder konten beſtellet/ keine aͤk-
ker beſaͤet/ keine gaͤrte bepflantzet werden. Und alſo ward
nichts eingeaͤrntet. Der mangel entſt und an allen orten.
Die Teurung uͤberfiel das gantze Egipten. Der hunger
nahm zu. Die einwohner verſchmachteten. Die noht
zwang ſie ihren Schaltkoͤnig uͤm rettung anzuflehen.
Nunmehr verkehreten ſich ihre gedanken. Nun veraͤn-
derten ſich ihre reden. Nun ſahen ſie/ was Joſef ge-
tahn. Nun maͤrkten ſie/ wie vorſichtig/ wie kluͤglich er
gehandelt. Die ihn vor dieſem beſchimpfet/ prieſen
nun ſeine weisheit. Die ihn verſpottet/ erhuben ſeine
ſo treue vorſorge himmelhoch. Die ihn verlachet/ floͤ-
heten ihn an uͤm gnade. Ja ſie nenneten ihn ihren Er-
halter/ ihren Heiland/ ihren Reichsvater.

Aber ehe ſich dieſe teure zeit fand/ waren dem Jo-
ſef
von ſeiner lieben Aſſenat zween Soͤhne gebohren.
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[265/0289] ſechſtes Buch. verwundert/ daß der Koͤnig dieſem Fremdlinge/ die- ſem neuen Stahtsverpfleger ſo viel zulieſſe. Niemand konte begreiffen/ wozu dieſer unraht dienen ſolte. Alle hielten es vor eine tohrheit. Meinet dan dieſer Auslaͤn- der/ ſagten etliche/ daß der Niel austruknen wird? Waͤhnet er/ daß der Himmel dem lande ſeine gewoͤhn- liche fruchtbarkeit zu entziehen beſchloſſen? Andere re- deten was anders. Ja ja/ ſagten etliche ſpotweiſe/ der Koͤnig mus auch leute haben/ die das geld unter den ge- meinen man bringen. Es moͤchte ſonſt in den Schatz- kammern verſchimmeln. Als nun dieſe ſo ſeltzame reden auf das hoͤchſte gekom- men/ und dem Reiche ſchon einen ſchaͤdlichen aufruhr zu dreuen ſchienen; da kehrete ſich das blat uhrploͤtzlich uͤm. Die fruchtbarkeit blieb aus. Die wohlfeile zeit ver- ſchwand. Im einen jahre blieb der Niel zuruͤk; im an- dern lief er ſo uͤbermaͤßig hoch auf/ daß er alles verderbe- te/ alles verwuͤſtete. Keine felder konten beſtellet/ keine aͤk- ker beſaͤet/ keine gaͤrte bepflantzet werden. Und alſo ward nichts eingeaͤrntet. Der mangel entſt und an allen orten. Die Teurung uͤberfiel das gantze Egipten. Der hunger nahm zu. Die einwohner verſchmachteten. Die noht zwang ſie ihren Schaltkoͤnig uͤm rettung anzuflehen. Nunmehr verkehreten ſich ihre gedanken. Nun veraͤn- derten ſich ihre reden. Nun ſahen ſie/ was Joſef ge- tahn. Nun maͤrkten ſie/ wie vorſichtig/ wie kluͤglich er gehandelt. Die ihn vor dieſem beſchimpfet/ prieſen nun ſeine weisheit. Die ihn verſpottet/ erhuben ſeine ſo treue vorſorge himmelhoch. Die ihn verlachet/ floͤ- heten ihn an uͤm gnade. Ja ſie nenneten ihn ihren Er- halter/ ihren Heiland/ ihren Reichsvater. Aber ehe ſich dieſe teure zeit fand/ waren dem Jo- ſef von ſeiner lieben Aſſenat zween Soͤhne gebohren. Den erſten hies er Manaſſe: dan Gott/ ſprach er/ hat mich alles meines ungluͤks/ und meines gantzen R v

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/289>, abgerufen am 14.05.2024.