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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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vierdes Buch.
was näher herbei zu trähten. Josef gehorchte: und
jener sprach ihn also an. Lieber Jüngling/ sagte er/
wir haben erfahren/ daß dir die Götter verstand
und weisheit gegeben die Treume zu deuten.
Weil ich nun auch zween Treume gehabt/ derer
bedeutung mir niemand sagen kan; so haben
wir dich hohlen laßen/ solche von dir/ in des Kö-
niges gegenwart/ zu vernehmen. Wirstu recht
zutreffen/ solstu nicht allein deine freiheit/ son-
dern auch sonsten eine sonderliche Königliche
gnade darvontragen. Josef
neugte sich zur erde
nieder/ und antwortete: Das stehet in meiner macht
nicht. Gleichwohl kan mein Herr/ was er getreumet/
erzehlen: und Gott wird ihm guhtes ankündigen.

Hierauf erzehlete der Reichskantzler den ersten
Traum. Mir treumete/ sagte er/ als wan ich an
einem Wasser stünde. Und aus diesem wasser
sahe ich sieben schöne und wohlleibichte Kühe
an das land steigen. Diese blieben alda in der
weide des grases gehen. Darnach sahe ich noch
andere sieben Kühe/ welche gantz häslich und
mager/ aus eben demselben wasser aufsteigen.
Diese trahten neben jene/ an das ufer des was-
sers; und fraßen sie auf: doch blieben sie mager
und dürre/ wie vorhin.
Hierüber entsetzte ich mich
dermaßen/ daß ich erwachte. Aber ich schlief straks wie-
der ein: und da sties mir noch einander traum auf.
Ich sahe sieben dikke und volle Kornahren auf
einem halme wachsen: darnach noch andere sie-
ben dünne und versängte neben jenen aufgehen.
Und diese sieben magere Ahren verschlungen die
ersten sieben.
Das seind meine beiden treume/ derer
auslegung ich zu wissen verlange.

So bald der Reichskantzler ausgeredet/ fing Josef
an. Mein Herr/ sagte er/ ist mir erleubet die wahrheit

zu
L v

vierdes Buch.
was naͤher herbei zu traͤhten. Joſef gehorchte: und
jener ſprach ihn alſo an. Lieber Juͤngling/ ſagte er/
wir haben erfahren/ daß dir die Goͤtter verſtand
und weisheit gegeben die Treume zu deuten.
Weil ich nun auch zween Treume gehabt/ derer
bedeutung mir niemand ſagen kan; ſo haben
wir dich hohlen laßen/ ſolche von dir/ in des Koͤ-
niges gegenwart/ zu vernehmen. Wirſtu recht
zutreffen/ ſolſtu nicht allein deine freiheit/ ſon-
dern auch ſonſten eine ſonderliche Koͤnigliche
gnade darvontragen. Joſef
neugte ſich zur erde
nieder/ und antwortete: Das ſtehet in meiner macht
nicht. Gleichwohl kan mein Herꝛ/ was er getreumet/
erzehlen: und Gott wird ihm guhtes ankuͤndigen.

Hierauf erzehlete der Reichskantzler den erſten
Traum. Mir treumete/ ſagte er/ als wan ich an
einem Waſſer ſtuͤnde. Und aus dieſem waſſer
ſahe ich ſieben ſchoͤne und wohlleibichte Kuͤhe
an das land ſteigen. Dieſe blieben alda in der
weide des graſes gehen. Darnach ſahe ich noch
andere ſieben Kuͤhe/ welche gantz haͤslich und
mager/ aus eben demſelben waſſer aufſteigen.
Dieſe trahten neben jene/ an das ufer des waſ-
ſers; und fraßen ſie auf: doch blieben ſie mager
und duͤrre/ wie vorhin.
Hieruͤber entſetzte ich mich
dermaßen/ daß ich erwachte. Aber ich ſchlief ſtraks wie-
der ein: und da ſties mir noch einander traum auf.
Ich ſahe ſieben dikke und volle Kornahren auf
einem halme wachſen: darnach noch andere ſie-
ben duͤnne und verſaͤngte neben jenen aufgehen.
Und dieſe ſieben magere Ahren verſchlungen die
erſten ſieben.
Das ſeind meine beiden treume/ derer
auslegung ich zu wiſſen verlange.

So bald der Reichskantzler ausgeredet/ fing Joſef
an. Mein Herꝛ/ ſagte er/ iſt mir erleubet die wahrheit

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L v
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[169/0193] vierdes Buch. was naͤher herbei zu traͤhten. Joſef gehorchte: und jener ſprach ihn alſo an. Lieber Juͤngling/ ſagte er/ wir haben erfahren/ daß dir die Goͤtter verſtand und weisheit gegeben die Treume zu deuten. Weil ich nun auch zween Treume gehabt/ derer bedeutung mir niemand ſagen kan; ſo haben wir dich hohlen laßen/ ſolche von dir/ in des Koͤ- niges gegenwart/ zu vernehmen. Wirſtu recht zutreffen/ ſolſtu nicht allein deine freiheit/ ſon- dern auch ſonſten eine ſonderliche Koͤnigliche gnade darvontragen. Joſef neugte ſich zur erde nieder/ und antwortete: Das ſtehet in meiner macht nicht. Gleichwohl kan mein Herꝛ/ was er getreumet/ erzehlen: und Gott wird ihm guhtes ankuͤndigen. Hierauf erzehlete der Reichskantzler den erſten Traum. Mir treumete/ ſagte er/ als wan ich an einem Waſſer ſtuͤnde. Und aus dieſem waſſer ſahe ich ſieben ſchoͤne und wohlleibichte Kuͤhe an das land ſteigen. Dieſe blieben alda in der weide des graſes gehen. Darnach ſahe ich noch andere ſieben Kuͤhe/ welche gantz haͤslich und mager/ aus eben demſelben waſſer aufſteigen. Dieſe trahten neben jene/ an das ufer des waſ- ſers; und fraßen ſie auf: doch blieben ſie mager und duͤrre/ wie vorhin. Hieruͤber entſetzte ich mich dermaßen/ daß ich erwachte. Aber ich ſchlief ſtraks wie- der ein: und da ſties mir noch einander traum auf. Ich ſahe ſieben dikke und volle Kornahren auf einem halme wachſen: darnach noch andere ſie- ben duͤnne und verſaͤngte neben jenen aufgehen. Und dieſe ſieben magere Ahren verſchlungen die erſten ſieben. Das ſeind meine beiden treume/ derer auslegung ich zu wiſſen verlange. So bald der Reichskantzler ausgeredet/ fing Joſef an. Mein Herꝛ/ ſagte er/ iſt mir erleubet die wahrheit zu L v

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/193>, abgerufen am 03.05.2024.