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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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drittes Buch.
schertzen? fiel sie ihm in die rede. Es war mein gantzer
ernst. Um so viel weniger konte ich antworten/ fuhr
Josef fort. Were ihr ansuchen meiner tugend gemäß/
ich hette so lange nicht geschwiegen. Ja mit dem werke
selbst wolte ich straks geantwortet haben. Aber die Tu-
gend geboht mir zu schweigen: weil ich doch nicht ant-
worten konte/ wie meine gnädige Fürstin wündschte.

Sefira schwieg auf diese reden eine guhte weile stil.
Endlich fing sie wieder an. Ist dan der Gehorsam/ sag-
te sie/ nicht auch eine Tugend? Und diesen seid ihr/ als
mein Leibeigner/ mir zu leisten schuldig. Aber eure hals-
starrigkeit verhindert euch solche den Leibeignen so gantz
eigene tugend zu erfüllen. Und weil ihr euch verhindern
laßet/ macht ihr die tugend zum laster/ und das laster
zur tugend. Der Gehohrsam ist freilich eine tugend/
antwortete Josef. Aber er mus zuförderst Gotte ge-
schehen: und dan erst den Menschen. Befielet ein
Mensch etwas/ das wider Gottes gebot ist; so heist es:
man mus Gott mehr gehorchen/ als den Menschen.
Wan meiner gnädigen Gebieterin befehl nicht wider
Gottes gebot lieffe; so were es mir freilich vor eine un-
tugend und vor ein strafbahres laster zu zu rechnen/ wan
ich ihr nicht gehorchte. Aber nun ist es keine untugend;
weil sie begehret und gebietet/ was Gott verbietet. Und
darüm kan sie meine weigerung wider Gottes gebot zu
sündigen/ oder meine halsstarrigkeit/ wie es ihr zu teuf-
fen beliebet/ kein laster nennen. Es ist vielmehr eine tu-
gend/ die den nahmen der Beständigkeit im gehorsame
Gottes verdienet.

Die Fürst in hatte ihr eingebildet/ daß sie den Josef
nunmehr so listiglich und so feste bestrükket/ daß er sich
nicht heraus wükkeln könte. Aber sie befand sich in ih-
rer einbildung gantz betrogen. Der vogel/ den sie gefan-
gen zu haben vermeinte/ ris ihre falstrükke plötzlich in
zwei. Ihr vom eisendrahte gewähnter garnsak ward

zum
J v

drittes Buch.
ſchertzen? fiel ſie ihm in die rede. Es war mein gantzer
ernſt. Um ſo viel weniger konte ich antworten/ fuhr
Joſef fort. Were ihr anſuchen meiner tugend gemaͤß/
ich hette ſo lange nicht geſchwiegen. Ja mit dem werke
ſelbſt wolte ich ſtraks geantwortet haben. Aber die Tu-
gend geboht mir zu ſchweigen: weil ich doch nicht ant-
worten konte/ wie meine gnaͤdige Fuͤrſtin wuͤndſchte.

Sefira ſchwieg auf dieſe reden eine guhte weile ſtil.
Endlich fing ſie wieder an. Iſt dan der Gehorſam/ ſag-
te ſie/ nicht auch eine Tugend? Und dieſen ſeid ihr/ als
mein Leibeigner/ mir zu leiſten ſchuldig. Aber eure hals-
ſtarrigkeit verhindert euch ſolche den Leibeignen ſo gantz
eigene tugend zu erfuͤllen. Und weil ihr euch verhindern
laßet/ macht ihr die tugend zum laſter/ und das laſter
zur tugend. Der Gehohrſam iſt freilich eine tugend/
antwortete Joſef. Aber er mus zufoͤrderſt Gotte ge-
ſchehen: und dan erſt den Menſchen. Befielet ein
Menſch etwas/ das wider Gottes gebot iſt; ſo heiſt es:
man mus Gott mehr gehorchen/ als den Menſchen.
Wan meiner gnaͤdigen Gebieterin befehl nicht wider
Gottes gebot lieffe; ſo were es mir freilich vor eine un-
tugend und vor ein ſtrafbahres laſter zu zu rechnen/ wan
ich ihr nicht gehorchte. Aber nun iſt es keine untugend;
weil ſie begehret und gebietet/ was Gott verbietet. Und
daruͤm kan ſie meine weigerung wider Gottes gebot zu
ſuͤndigen/ oder meine halsſtarrigkeit/ wie es ihr zu teuf-
fen beliebet/ kein laſter nennen. Es iſt vielmehr eine tu-
gend/ die den nahmen der Beſtaͤndigkeit im gehorſame
Gottes verdienet.

Die Fuͤrſt in hatte ihr eingebildet/ daß ſie den Joſef
nunmehr ſo liſtiglich und ſo feſte beſtruͤkket/ daß er ſich
nicht heraus wuͤkkeln koͤnte. Aber ſie befand ſich in ih-
rer einbildung gantz betrogen. Der vogel/ den ſie gefan-
gen zu haben vermeinte/ ris ihre falſtruͤkke ploͤtzlich in
zwei. Ihr vom eiſendrahte gewaͤhnter garnſak ward

zum
J v
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[137/0161] drittes Buch. ſchertzen? fiel ſie ihm in die rede. Es war mein gantzer ernſt. Um ſo viel weniger konte ich antworten/ fuhr Joſef fort. Were ihr anſuchen meiner tugend gemaͤß/ ich hette ſo lange nicht geſchwiegen. Ja mit dem werke ſelbſt wolte ich ſtraks geantwortet haben. Aber die Tu- gend geboht mir zu ſchweigen: weil ich doch nicht ant- worten konte/ wie meine gnaͤdige Fuͤrſtin wuͤndſchte. Sefira ſchwieg auf dieſe reden eine guhte weile ſtil. Endlich fing ſie wieder an. Iſt dan der Gehorſam/ ſag- te ſie/ nicht auch eine Tugend? Und dieſen ſeid ihr/ als mein Leibeigner/ mir zu leiſten ſchuldig. Aber eure hals- ſtarrigkeit verhindert euch ſolche den Leibeignen ſo gantz eigene tugend zu erfuͤllen. Und weil ihr euch verhindern laßet/ macht ihr die tugend zum laſter/ und das laſter zur tugend. Der Gehohrſam iſt freilich eine tugend/ antwortete Joſef. Aber er mus zufoͤrderſt Gotte ge- ſchehen: und dan erſt den Menſchen. Befielet ein Menſch etwas/ das wider Gottes gebot iſt; ſo heiſt es: man mus Gott mehr gehorchen/ als den Menſchen. Wan meiner gnaͤdigen Gebieterin befehl nicht wider Gottes gebot lieffe; ſo were es mir freilich vor eine un- tugend und vor ein ſtrafbahres laſter zu zu rechnen/ wan ich ihr nicht gehorchte. Aber nun iſt es keine untugend; weil ſie begehret und gebietet/ was Gott verbietet. Und daruͤm kan ſie meine weigerung wider Gottes gebot zu ſuͤndigen/ oder meine halsſtarrigkeit/ wie es ihr zu teuf- fen beliebet/ kein laſter nennen. Es iſt vielmehr eine tu- gend/ die den nahmen der Beſtaͤndigkeit im gehorſame Gottes verdienet. Die Fuͤrſt in hatte ihr eingebildet/ daß ſie den Joſef nunmehr ſo liſtiglich und ſo feſte beſtruͤkket/ daß er ſich nicht heraus wuͤkkeln koͤnte. Aber ſie befand ſich in ih- rer einbildung gantz betrogen. Der vogel/ den ſie gefan- gen zu haben vermeinte/ ris ihre falſtruͤkke ploͤtzlich in zwei. Ihr vom eiſendrahte gewaͤhnter garnſak ward zum J v

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/161>, abgerufen am 03.05.2024.