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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Wirkungen des elektrischen Stroms.
beobachtete dauernde Verkürzung der Muskeln, während dieselben von einem con-
stanten Strom durchflossen werden. Während des Durchflossenseins beobachtet man
zugleich, wie Kühne bemerkt hat, eine fortwährende wellenartige Bewegung nach
dem negativen Pole hin, und an diesem, wie schon früher Schiff beobachtete, eine
Vertiefung. Die wellenartige Bewegung hätten wir wohl aus der Strömung der Flüs-
sigkeiten im Muskel, die Vertiefung aus der entgegengesetzt gerichteten Bewegung
der festen Theilchen abzuleiten.

Die Erscheinungen der Elektrolyse konnten bis jetzt noch nicht326
Theorie der
Elektrolyse.

durch eine alle Erscheinungen erklärende Theorie zusammengefasst
werden. Der Erste, der die Grundlage der heutigen Theorie der
Elektrolyse legte, war Grotthuss. Er nahm an, die in einer binären
Verbindung enthaltenen Elemente, z. B. Sauerstoff und Wasserstoff,
seien in ihrem natürlichen Zustand mit gleichen Mengen entgegenge-
setzter Elektricität geladen. Bei ihrer Verbindung trennten sich aber
diese Elektricitäten, so dass der eine Bestandtheil, z. B. der Wasser-
stoff, positiv, der andere, der Sauerstoff, negativ werde. Da nun in
dem Wasser die Atome nach allen Richtungen gelagert sind, so
kommt trotzdem keine freie Elektricität zum Vorschein. Leiten wir
aber einen elektrischen Strom durch das Wasser, so müssen sich, wie
es die Fig 222 vorstellt, der positiven Elektrode alle Sauerstoffatome

[Abbildung] Fig. 222.
und der negativen alle Wasserstoffatome zu-
kehren. Der Strom übt nun eine bewegende
Kraft aus, durch welche er die gegenseitigen
Anziehungskräfte der mit entgegengesetzter
Elektricität versehenen Atome überwindet: es
wird zunächst das unmittelbar an der + E.
liegende Sauerstoffatom und das an der -- E.
liegende Wasserstoffatom frei, indem aber durch die ganze Molecül-
reihe eine Bewegung der H-Atome nach der -- Seite, der O-
Atome nach der + Seite stattfindet, sind in der ganzen übrigen Flüs-
sigkeit ausser an den Berührungsstellen der Elektroden fortan O und
H an einander gebunden. Nach dem Typus des Wassers können wir
uns aber alle Elektrolyte zusammengesetzt denken. Dieselben be-
stehen entweder 1) gleich dem Wasser aus einfach positiven und ne-
gativen Ionen, z. B. KO, Na Cl u. s. w., oder sie bestehen 2) aus
einem einfachen negativen und zusammengesetzten positiven Ion, wie
NH4Cl, oder 3) aus einem einfachen positiven und zusammengesetzten
negativen Ion, z. B. Na SO4, Na NO6, überhaupt gehören hierher
alle Sauerstoffsalze, mit Ausnahme der phosphorsauren, von welchen
wir annehmen müssen, dass sie aus einem Aequivalent positiven Ions
und Bruchtheilen eines Aequivalents von negativem Ion bestehen, also
z. B. 3NaO.PO5 = 3 (Na + [ 1/3 PO5 + O]).

Die Theorie von Grotthuss wurde von Berzelius auf das
ganze Gebiet der chemischen Erscheinungen angewandt. Er nahm

Wirkungen des elektrischen Stroms.
beobachtete dauernde Verkürzung der Muskeln, während dieselben von einem con-
stanten Strom durchflossen werden. Während des Durchflossenseins beobachtet man
zugleich, wie Kühne bemerkt hat, eine fortwährende wellenartige Bewegung nach
dem negativen Pole hin, und an diesem, wie schon früher Schiff beobachtete, eine
Vertiefung. Die wellenartige Bewegung hätten wir wohl aus der Strömung der Flüs-
sigkeiten im Muskel, die Vertiefung aus der entgegengesetzt gerichteten Bewegung
der festen Theilchen abzuleiten.

Die Erscheinungen der Elektrolyse konnten bis jetzt noch nicht326
Theorie der
Elektrolyse.

durch eine alle Erscheinungen erklärende Theorie zusammengefasst
werden. Der Erste, der die Grundlage der heutigen Theorie der
Elektrolyse legte, war Grotthuss. Er nahm an, die in einer binären
Verbindung enthaltenen Elemente, z. B. Sauerstoff und Wasserstoff,
seien in ihrem natürlichen Zustand mit gleichen Mengen entgegenge-
setzter Elektricität geladen. Bei ihrer Verbindung trennten sich aber
diese Elektricitäten, so dass der eine Bestandtheil, z. B. der Wasser-
stoff, positiv, der andere, der Sauerstoff, negativ werde. Da nun in
dem Wasser die Atome nach allen Richtungen gelagert sind, so
kommt trotzdem keine freie Elektricität zum Vorschein. Leiten wir
aber einen elektrischen Strom durch das Wasser, so müssen sich, wie
es die Fig 222 vorstellt, der positiven Elektrode alle Sauerstoffatome

[Abbildung] Fig. 222.
und der negativen alle Wasserstoffatome zu-
kehren. Der Strom übt nun eine bewegende
Kraft aus, durch welche er die gegenseitigen
Anziehungskräfte der mit entgegengesetzter
Elektricität versehenen Atome überwindet: es
wird zunächst das unmittelbar an der + E.
liegende Sauerstoffatom und das an der — E.
liegende Wasserstoffatom frei, indem aber durch die ganze Molecül-
reihe eine Bewegung der H-Atome nach der — Seite, der O-
Atome nach der + Seite stattfindet, sind in der ganzen übrigen Flüs-
sigkeit ausser an den Berührungsstellen der Elektroden fortan O und
H an einander gebunden. Nach dem Typus des Wassers können wir
uns aber alle Elektrolyte zusammengesetzt denken. Dieselben be-
stehen entweder 1) gleich dem Wasser aus einfach positiven und ne-
gativen Ionen, z. B. KO, Na Cl u. s. w., oder sie bestehen 2) aus
einem einfachen negativen und zusammengesetzten positiven Ion, wie
NH4Cl, oder 3) aus einem einfachen positiven und zusammengesetzten
negativen Ion, z. B. Na SO4, Na NO6, überhaupt gehören hierher
alle Sauerstoffsalze, mit Ausnahme der phosphorsauren, von welchen
wir annehmen müssen, dass sie aus einem Aequivalent positiven Ions
und Bruchtheilen eines Aequivalents von negativem Ion bestehen, also
z. B. 3NaO.PO5 = 3 (Na + [⅓ PO5 + O]).

Die Theorie von Grotthuss wurde von Berzelius auf das
ganze Gebiet der chemischen Erscheinungen angewandt. Er nahm

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[495/0517] Wirkungen des elektrischen Stroms. beobachtete dauernde Verkürzung der Muskeln, während dieselben von einem con- stanten Strom durchflossen werden. Während des Durchflossenseins beobachtet man zugleich, wie Kühne bemerkt hat, eine fortwährende wellenartige Bewegung nach dem negativen Pole hin, und an diesem, wie schon früher Schiff beobachtete, eine Vertiefung. Die wellenartige Bewegung hätten wir wohl aus der Strömung der Flüs- sigkeiten im Muskel, die Vertiefung aus der entgegengesetzt gerichteten Bewegung der festen Theilchen abzuleiten. Die Erscheinungen der Elektrolyse konnten bis jetzt noch nicht durch eine alle Erscheinungen erklärende Theorie zusammengefasst werden. Der Erste, der die Grundlage der heutigen Theorie der Elektrolyse legte, war Grotthuss. Er nahm an, die in einer binären Verbindung enthaltenen Elemente, z. B. Sauerstoff und Wasserstoff, seien in ihrem natürlichen Zustand mit gleichen Mengen entgegenge- setzter Elektricität geladen. Bei ihrer Verbindung trennten sich aber diese Elektricitäten, so dass der eine Bestandtheil, z. B. der Wasser- stoff, positiv, der andere, der Sauerstoff, negativ werde. Da nun in dem Wasser die Atome nach allen Richtungen gelagert sind, so kommt trotzdem keine freie Elektricität zum Vorschein. Leiten wir aber einen elektrischen Strom durch das Wasser, so müssen sich, wie es die Fig 222 vorstellt, der positiven Elektrode alle Sauerstoffatome [Abbildung Fig. 222.] und der negativen alle Wasserstoffatome zu- kehren. Der Strom übt nun eine bewegende Kraft aus, durch welche er die gegenseitigen Anziehungskräfte der mit entgegengesetzter Elektricität versehenen Atome überwindet: es wird zunächst das unmittelbar an der + E. liegende Sauerstoffatom und das an der — E. liegende Wasserstoffatom frei, indem aber durch die ganze Molecül- reihe eine Bewegung der H-Atome nach der — Seite, der O- Atome nach der + Seite stattfindet, sind in der ganzen übrigen Flüs- sigkeit ausser an den Berührungsstellen der Elektroden fortan O und H an einander gebunden. Nach dem Typus des Wassers können wir uns aber alle Elektrolyte zusammengesetzt denken. Dieselben be- stehen entweder 1) gleich dem Wasser aus einfach positiven und ne- gativen Ionen, z. B. KO, Na Cl u. s. w., oder sie bestehen 2) aus einem einfachen negativen und zusammengesetzten positiven Ion, wie NH4Cl, oder 3) aus einem einfachen positiven und zusammengesetzten negativen Ion, z. B. Na SO4, Na NO6, überhaupt gehören hierher alle Sauerstoffsalze, mit Ausnahme der phosphorsauren, von welchen wir annehmen müssen, dass sie aus einem Aequivalent positiven Ions und Bruchtheilen eines Aequivalents von negativem Ion bestehen, also z. B. 3NaO.PO5 = 3 (Na + [⅓ PO5 + O]). 326 Theorie der Elektrolyse. Die Theorie von Grotthuss wurde von Berzelius auf das ganze Gebiet der chemischen Erscheinungen angewandt. Er nahm

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/517>, abgerufen am 23.12.2024.