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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Bewegung der Elektricität.
einzelnen Elemente einander gleich sind, bei der Verbindung je zweier Flächenstücke
kein Strom im ableitenden Bogen entstehen. Wenn nun dennoch nach den Versuchen
von du Bois Reymond schwache Ströme bei der Ableitung asymmetrisch gelege-
ner Punkte des Längsschnitts oder des Querschnitts beobachtet werden, so ist dies
wahrscheinlich darauf zu beziehen, dass die elektromotorischen Kräfte jener Gewebs-
elemente sich, namentlich in Folge des Absterbens, nicht vollkommen constant er-
halten.

Einer der verwickeltsten Fälle von Strombewegung ist die Bewe-317
Ausbreitung
des Stromes in
Theilen des
menschlichen
Körpers.

gung des elektrischen Stroms durch Theile des menschlichen oder
thierischen Körpers. Setzen wir an zwei beliebigen Stellen des
letzteren die Pole irgend eines Elektromotors auf, so gehen, da alle
Gewebe bis zu einem gewissen Grad Leiter der Elektricität sind,
Stromzweige durch den gesammten Körper. Die Intensität in die-
sen einzelnen Zweigen ist aber von sehr verschiedener Grösse.
Denken wir uns wieder den ganzen Körper in eine Anzahl linearer
Leiter zerlegt, so ist die Stromstärke in jedem einzelnen dieser Leiter
von der Länge desselben und dem specifischen Widerstand der durch-
flossenen Gewebe abhängig. Unmittelbar an den Berührungsstellen
der Pole ist daher die Dichte der Elektricität am grössten, indem hier
sämmtliche Stromzweige zusammenfliessen. Besässen alle Gewebe
das gleiche Leitungsvermögen, so würde dann auf der die beiden Pole
verbindenden Geraden die grösste Stromstärke bestehen, dagegen
würden in den jene Gerade nach aussen umgebenden Curven immer
mehr die Stromstärken abnehmen und endlich verschwindend werden.
Diese regelmässige Anordnung der Stromescurven wird nun durch das
verschiedene Leitungsvermögen der Gewebe einigermassen gestört.
Setzen wir z. B. die beiden Pole auf zwei von einander entfernte Haut-
stellen auf, so wird wegen des schlechten Leitungsvermögens der Haut
der Strom in seinem kürzesten, durch die Oberhaut gehenden Zweig
nur eine sehr geringe Intensität besitzen, der stärkste Stromzweig
aber wird wegen des beträchtlich besseren Leitungsvermögens der
Muskelsubstanz durch die unmittelbar von der Haut bedeckte Muskel-
schicht gehen.

Aus der allseitigen Verbreitung des Stromes geht hervor, dass
wir streng genommen niemals irgend eine Stelle des Körpers isolirt
zu reizen vermögen. Wohl aber können wir erreichen, dass die Strom-
intensität an irgend einer Stelle sehr gross werde im Vergleich zu
allen andern. Bei der Elektrisirung thierischer Theile handelt es sich
in der Regel um die Reizung von Muskeln oder Nerven, von denen
die ersteren wegen ihres relativ guten Leitungsvermögens dem elek-
trischen Strom leicht den Zutritt gestatten. Anderseits ist es jedoch
bei der anatomischen Beschaffenheit und Anordnung der Muskeln
schwerer einen Muskel isolirt zu erregen. Wegen der beträchtlichen
Länge der Muskeln müssen nämlich zum Zweck directer Muskelreizung

Bewegung der Elektricität.
einzelnen Elemente einander gleich sind, bei der Verbindung je zweier Flächenstücke
kein Strom im ableitenden Bogen entstehen. Wenn nun dennoch nach den Versuchen
von du Bois Reymond schwache Ströme bei der Ableitung asymmetrisch gelege-
ner Punkte des Längsschnitts oder des Querschnitts beobachtet werden, so ist dies
wahrscheinlich darauf zu beziehen, dass die elektromotorischen Kräfte jener Gewebs-
elemente sich, namentlich in Folge des Absterbens, nicht vollkommen constant er-
halten.

Einer der verwickeltsten Fälle von Strombewegung ist die Bewe-317
Ausbreitung
des Stromes in
Theilen des
menschlichen
Körpers.

gung des elektrischen Stroms durch Theile des menschlichen oder
thierischen Körpers. Setzen wir an zwei beliebigen Stellen des
letzteren die Pole irgend eines Elektromotors auf, so gehen, da alle
Gewebe bis zu einem gewissen Grad Leiter der Elektricität sind,
Stromzweige durch den gesammten Körper. Die Intensität in die-
sen einzelnen Zweigen ist aber von sehr verschiedener Grösse.
Denken wir uns wieder den ganzen Körper in eine Anzahl linearer
Leiter zerlegt, so ist die Stromstärke in jedem einzelnen dieser Leiter
von der Länge desselben und dem specifischen Widerstand der durch-
flossenen Gewebe abhängig. Unmittelbar an den Berührungsstellen
der Pole ist daher die Dichte der Elektricität am grössten, indem hier
sämmtliche Stromzweige zusammenfliessen. Besässen alle Gewebe
das gleiche Leitungsvermögen, so würde dann auf der die beiden Pole
verbindenden Geraden die grösste Stromstärke bestehen, dagegen
würden in den jene Gerade nach aussen umgebenden Curven immer
mehr die Stromstärken abnehmen und endlich verschwindend werden.
Diese regelmässige Anordnung der Stromescurven wird nun durch das
verschiedene Leitungsvermögen der Gewebe einigermassen gestört.
Setzen wir z. B. die beiden Pole auf zwei von einander entfernte Haut-
stellen auf, so wird wegen des schlechten Leitungsvermögens der Haut
der Strom in seinem kürzesten, durch die Oberhaut gehenden Zweig
nur eine sehr geringe Intensität besitzen, der stärkste Stromzweig
aber wird wegen des beträchtlich besseren Leitungsvermögens der
Muskelsubstanz durch die unmittelbar von der Haut bedeckte Muskel-
schicht gehen.

Aus der allseitigen Verbreitung des Stromes geht hervor, dass
wir streng genommen niemals irgend eine Stelle des Körpers isolirt
zu reizen vermögen. Wohl aber können wir erreichen, dass die Strom-
intensität an irgend einer Stelle sehr gross werde im Vergleich zu
allen andern. Bei der Elektrisirung thierischer Theile handelt es sich
in der Regel um die Reizung von Muskeln oder Nerven, von denen
die ersteren wegen ihres relativ guten Leitungsvermögens dem elek-
trischen Strom leicht den Zutritt gestatten. Anderseits ist es jedoch
bei der anatomischen Beschaffenheit und Anordnung der Muskeln
schwerer einen Muskel isolirt zu erregen. Wegen der beträchtlichen
Länge der Muskeln müssen nämlich zum Zweck directer Muskelreizung

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[475/0497] Bewegung der Elektricität. einzelnen Elemente einander gleich sind, bei der Verbindung je zweier Flächenstücke kein Strom im ableitenden Bogen entstehen. Wenn nun dennoch nach den Versuchen von du Bois Reymond schwache Ströme bei der Ableitung asymmetrisch gelege- ner Punkte des Längsschnitts oder des Querschnitts beobachtet werden, so ist dies wahrscheinlich darauf zu beziehen, dass die elektromotorischen Kräfte jener Gewebs- elemente sich, namentlich in Folge des Absterbens, nicht vollkommen constant er- halten. Einer der verwickeltsten Fälle von Strombewegung ist die Bewe- gung des elektrischen Stroms durch Theile des menschlichen oder thierischen Körpers. Setzen wir an zwei beliebigen Stellen des letzteren die Pole irgend eines Elektromotors auf, so gehen, da alle Gewebe bis zu einem gewissen Grad Leiter der Elektricität sind, Stromzweige durch den gesammten Körper. Die Intensität in die- sen einzelnen Zweigen ist aber von sehr verschiedener Grösse. Denken wir uns wieder den ganzen Körper in eine Anzahl linearer Leiter zerlegt, so ist die Stromstärke in jedem einzelnen dieser Leiter von der Länge desselben und dem specifischen Widerstand der durch- flossenen Gewebe abhängig. Unmittelbar an den Berührungsstellen der Pole ist daher die Dichte der Elektricität am grössten, indem hier sämmtliche Stromzweige zusammenfliessen. Besässen alle Gewebe das gleiche Leitungsvermögen, so würde dann auf der die beiden Pole verbindenden Geraden die grösste Stromstärke bestehen, dagegen würden in den jene Gerade nach aussen umgebenden Curven immer mehr die Stromstärken abnehmen und endlich verschwindend werden. Diese regelmässige Anordnung der Stromescurven wird nun durch das verschiedene Leitungsvermögen der Gewebe einigermassen gestört. Setzen wir z. B. die beiden Pole auf zwei von einander entfernte Haut- stellen auf, so wird wegen des schlechten Leitungsvermögens der Haut der Strom in seinem kürzesten, durch die Oberhaut gehenden Zweig nur eine sehr geringe Intensität besitzen, der stärkste Stromzweig aber wird wegen des beträchtlich besseren Leitungsvermögens der Muskelsubstanz durch die unmittelbar von der Haut bedeckte Muskel- schicht gehen. 317 Ausbreitung des Stromes in Theilen des menschlichen Körpers. Aus der allseitigen Verbreitung des Stromes geht hervor, dass wir streng genommen niemals irgend eine Stelle des Körpers isolirt zu reizen vermögen. Wohl aber können wir erreichen, dass die Strom- intensität an irgend einer Stelle sehr gross werde im Vergleich zu allen andern. Bei der Elektrisirung thierischer Theile handelt es sich in der Regel um die Reizung von Muskeln oder Nerven, von denen die ersteren wegen ihres relativ guten Leitungsvermögens dem elek- trischen Strom leicht den Zutritt gestatten. Anderseits ist es jedoch bei der anatomischen Beschaffenheit und Anordnung der Muskeln schwerer einen Muskel isolirt zu erregen. Wegen der beträchtlichen Länge der Muskeln müssen nämlich zum Zweck directer Muskelreizung

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/497>, abgerufen am 04.05.2024.