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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von der Elektricität.
die Pole der galvanischen Kette in ziemlich grosser Entfernung von
einander aufgesetzt werden, wobei immer noch auf benachbarte Ge-
webe beträchtliche Stromesschleifen übergehen. Weit mehr lässt sich
die Erregung beschränken, wenn man den überwiegenden Stromzweig
durch den Nerven zu leiten beabsichtigt. Die Nervensubstanz besitzt
zwar einen viel grösseren Widerstand als der Muskel, dagegen ver-
mag schon ein Strom von relativ geringer Dichte, der eine nur kleine
Strecke eines Nerven durchfliesst, in der ganzen Länge desselben so-
wie in seinen Endorganen eine beträchtliche Erregung hervorzurufen.
Sucht man daher eine solche Stelle der Körperoberfläche auf, unter
der in nicht zu grosser Tiefe ein Nerv verläuft, und setzt man an
derselben in kleiner Distanz die Pole auf, so trifft den Nerven eine
hinreichend starke Erregung, um entweder, wenn es ein Empfindungs-
nerv ist, intensive Empfindungen, oder, wenn es ein Muskelnerv ist,
eine energische Contraction des zugehörigen Muskels zu verursachen.

Hülfsmittel den Verlauf des Stroms zu modificiren besitzen wir
ferner noch in der Applicationsweise der Elektroden (der Zuleiter
des elektrischen Stroms, s. §. 324). Schon die Form, welche man
den Elektroden giebt, ist von bedeutendem Einflusse. Die Dichte der
Elektricität ist an der Berührungsstelle der Elektrode am grössten,
wenn die letztere in eine Spitze ausläuft. Will man daher eine punk-
tuelle Reizung ausführen, so lässt man die eine Elektrode in eine Spitze,
die andere in eine breite Platte enden; es hat dann die Stromintensi-
tät an der Berührungsstelle der spitzen Elektrode ihr Maximum. So-
bald man tiefer gelegene Theile zu reizen beabsichtigt, muss man hin-
gegen die Elektroden in solcher Weise appliciren, dass die Strom-
dichte an den Berührungsstellen nicht merklich grösser wird als im
Verlauf der kürzeren Stromescurven. Die Elektroden müssen daher
in diesem Fall mit breiten Berührungsflächen an die Haut angelegt
werden. Dies genügt aber noch nicht. Da die trockene Oberhaut
fast einen Isolator bildet, in welchem sich nur kleine Lücken und bes-
ser leitende Canälchen (die Schweissporen und Schweisscanäle) be-
finden, so werden, wenn man etwa zwei Metallplatten als Elektroden
wählt, diese sich wesentlich ebenso verhalten wie mehrere punktförmige
Berührungen: es wird der Strom fast nur durch die Lücken und Ca-
nälchen der Oberhaut in das darunter liegende feuchtere Gewebe
fliessen, so dass die sich oberflächlich in der Haut verbreitenden Ner-
ven durch Stromzweige von bedeutender Dichte getroffen werden, wäh-
rend in dem weiteren Verlauf der Stromescurven die Stromdichte sehr
gering geworden ist. So bestätigt es denn auch die Erfahrung, dass
durch die Anlegung metallischer Elektroden an die Haut eine energische
Reizung der Hautnerven, aber nur eine relativ sehr schwache Erregung
der tiefer liegenden Gewebe, namentlich der Muskeln, bewirkt werden
kann. Soll in der Tiefe die Stromesdichte eine grössere Intensität er-

Von der Elektricität.
die Pole der galvanischen Kette in ziemlich grosser Entfernung von
einander aufgesetzt werden, wobei immer noch auf benachbarte Ge-
webe beträchtliche Stromesschleifen übergehen. Weit mehr lässt sich
die Erregung beschränken, wenn man den überwiegenden Stromzweig
durch den Nerven zu leiten beabsichtigt. Die Nervensubstanz besitzt
zwar einen viel grösseren Widerstand als der Muskel, dagegen ver-
mag schon ein Strom von relativ geringer Dichte, der eine nur kleine
Strecke eines Nerven durchfliesst, in der ganzen Länge desselben so-
wie in seinen Endorganen eine beträchtliche Erregung hervorzurufen.
Sucht man daher eine solche Stelle der Körperoberfläche auf, unter
der in nicht zu grosser Tiefe ein Nerv verläuft, und setzt man an
derselben in kleiner Distanz die Pole auf, so trifft den Nerven eine
hinreichend starke Erregung, um entweder, wenn es ein Empfindungs-
nerv ist, intensive Empfindungen, oder, wenn es ein Muskelnerv ist,
eine energische Contraction des zugehörigen Muskels zu verursachen.

Hülfsmittel den Verlauf des Stroms zu modificiren besitzen wir
ferner noch in der Applicationsweise der Elektroden (der Zuleiter
des elektrischen Stroms, s. §. 324). Schon die Form, welche man
den Elektroden giebt, ist von bedeutendem Einflusse. Die Dichte der
Elektricität ist an der Berührungsstelle der Elektrode am grössten,
wenn die letztere in eine Spitze ausläuft. Will man daher eine punk-
tuelle Reizung ausführen, so lässt man die eine Elektrode in eine Spitze,
die andere in eine breite Platte enden; es hat dann die Stromintensi-
tät an der Berührungsstelle der spitzen Elektrode ihr Maximum. So-
bald man tiefer gelegene Theile zu reizen beabsichtigt, muss man hin-
gegen die Elektroden in solcher Weise appliciren, dass die Strom-
dichte an den Berührungsstellen nicht merklich grösser wird als im
Verlauf der kürzeren Stromescurven. Die Elektroden müssen daher
in diesem Fall mit breiten Berührungsflächen an die Haut angelegt
werden. Dies genügt aber noch nicht. Da die trockene Oberhaut
fast einen Isolator bildet, in welchem sich nur kleine Lücken und bes-
ser leitende Canälchen (die Schweissporen und Schweisscanäle) be-
finden, so werden, wenn man etwa zwei Metallplatten als Elektroden
wählt, diese sich wesentlich ebenso verhalten wie mehrere punktförmige
Berührungen: es wird der Strom fast nur durch die Lücken und Ca-
nälchen der Oberhaut in das darunter liegende feuchtere Gewebe
fliessen, so dass die sich oberflächlich in der Haut verbreitenden Ner-
ven durch Stromzweige von bedeutender Dichte getroffen werden, wäh-
rend in dem weiteren Verlauf der Stromescurven die Stromdichte sehr
gering geworden ist. So bestätigt es denn auch die Erfahrung, dass
durch die Anlegung metallischer Elektroden an die Haut eine energische
Reizung der Hautnerven, aber nur eine relativ sehr schwache Erregung
der tiefer liegenden Gewebe, namentlich der Muskeln, bewirkt werden
kann. Soll in der Tiefe die Stromesdichte eine grössere Intensität er-

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[476/0498] Von der Elektricität. die Pole der galvanischen Kette in ziemlich grosser Entfernung von einander aufgesetzt werden, wobei immer noch auf benachbarte Ge- webe beträchtliche Stromesschleifen übergehen. Weit mehr lässt sich die Erregung beschränken, wenn man den überwiegenden Stromzweig durch den Nerven zu leiten beabsichtigt. Die Nervensubstanz besitzt zwar einen viel grösseren Widerstand als der Muskel, dagegen ver- mag schon ein Strom von relativ geringer Dichte, der eine nur kleine Strecke eines Nerven durchfliesst, in der ganzen Länge desselben so- wie in seinen Endorganen eine beträchtliche Erregung hervorzurufen. Sucht man daher eine solche Stelle der Körperoberfläche auf, unter der in nicht zu grosser Tiefe ein Nerv verläuft, und setzt man an derselben in kleiner Distanz die Pole auf, so trifft den Nerven eine hinreichend starke Erregung, um entweder, wenn es ein Empfindungs- nerv ist, intensive Empfindungen, oder, wenn es ein Muskelnerv ist, eine energische Contraction des zugehörigen Muskels zu verursachen. Hülfsmittel den Verlauf des Stroms zu modificiren besitzen wir ferner noch in der Applicationsweise der Elektroden (der Zuleiter des elektrischen Stroms, s. §. 324). Schon die Form, welche man den Elektroden giebt, ist von bedeutendem Einflusse. Die Dichte der Elektricität ist an der Berührungsstelle der Elektrode am grössten, wenn die letztere in eine Spitze ausläuft. Will man daher eine punk- tuelle Reizung ausführen, so lässt man die eine Elektrode in eine Spitze, die andere in eine breite Platte enden; es hat dann die Stromintensi- tät an der Berührungsstelle der spitzen Elektrode ihr Maximum. So- bald man tiefer gelegene Theile zu reizen beabsichtigt, muss man hin- gegen die Elektroden in solcher Weise appliciren, dass die Strom- dichte an den Berührungsstellen nicht merklich grösser wird als im Verlauf der kürzeren Stromescurven. Die Elektroden müssen daher in diesem Fall mit breiten Berührungsflächen an die Haut angelegt werden. Dies genügt aber noch nicht. Da die trockene Oberhaut fast einen Isolator bildet, in welchem sich nur kleine Lücken und bes- ser leitende Canälchen (die Schweissporen und Schweisscanäle) be- finden, so werden, wenn man etwa zwei Metallplatten als Elektroden wählt, diese sich wesentlich ebenso verhalten wie mehrere punktförmige Berührungen: es wird der Strom fast nur durch die Lücken und Ca- nälchen der Oberhaut in das darunter liegende feuchtere Gewebe fliessen, so dass die sich oberflächlich in der Haut verbreitenden Ner- ven durch Stromzweige von bedeutender Dichte getroffen werden, wäh- rend in dem weiteren Verlauf der Stromescurven die Stromdichte sehr gering geworden ist. So bestätigt es denn auch die Erfahrung, dass durch die Anlegung metallischer Elektroden an die Haut eine energische Reizung der Hautnerven, aber nur eine relativ sehr schwache Erregung der tiefer liegenden Gewebe, namentlich der Muskeln, bewirkt werden kann. Soll in der Tiefe die Stromesdichte eine grössere Intensität er-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/498>, abgerufen am 04.05.2024.