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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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auf die bleibenden Distanzverhältnisse der Atome zurück: hier erscheinen sie uns als
Resultat der den Atomen eigenthümlichen Bewegungen. Beide Betrachtungen schlies-
sen sich nicht aus. In der That gilt alles was wir in §. 15 bemerkt haben in Bezug
auf die mittleren Distanzen der Atome: die mechanische Wärmetheorie lehrt
uns aber, dass von diesen Distanzen ihre Bewegungsweisen nothwendig abhängig sein
müssen. Die Erklärung der Grundeigenschaften der Aggregatzustände, die wir in
Cap. 1, 5 und 11 des II. Abschn. ausführlicher erörtert haben, findet daher eine
wesentliche Ergänzung in den hier entwickelten Vorstellungen, welche zu der An-
nahme hinführen, dass die Atome nur insofern sie bewegt sind Kräfte ausüben, eine
Annahme, die schon in dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten (§. 21) ange-
deutet liegt, und von der aus die theoretische Physik bedeutsamen Umwandlungen
entgegenzugehen scheint.


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Wärmeentwick-
lung im Thier-
körper.

Das Uebergehen chemischer Spannkräfte in Wärme und der
Wärme in mechanische Arbeit ist das wichtigste Hülfsmittel der Tech-
nik zur Gewinnung von Arbeitskräften. Der technischen Physik liegt
es ob die Construction der verschiedenen künstlichen Maschinen zu
erörtern, welche jene Uebertragung der Kräfte zur Anwendung brin-
gen. Die physiologische Physik hingegen muss als Beispiel, an wel-
chem sie die Grundlehren der Wärmetheorie erläutert, die natürliche
Maschine des Thierleibes in's Auge fassen. Alle Thiere entwickeln
Wärme; in der Regel giebt sich diese Wärmeentwicklung daran zu
erkennen, dass ihre Temperatur, namentlich die Temperatur ihrer
innern Organe, diejenige der Umgebung mehr oder weniger über-
trifft. Man hat schon lange erkannt, dass die thierische Wärme
als Verbrennungswärme zu deuten sei. Aber man pflegte sich den
Zusammenhang zwischen den langsamen Verbrennungsprocessen im
Thierkörper und der Wärmeentwicklung desselben viel einfacher
vorzustellen, als er bei dem heutigen Stand der physikalischen
Wärmelehre erscheinen kann. Man dachte sich nämlich, alle Ver-
brennungen im Thierkörper würden zur Wärmeerzeugung aufgebraucht,
und indem man ausserdem der Ansicht huldigte, die oxydabeln Be-
standtheile des Thierleibes und seiner Nahrungsmittel, namentlich der
Kohlenstoff und Wasserstoff, entwickelten bei ihrer Verbrennung in
Gestalt zusammengesetzter Verbindungen ebenso viel Wärme, als wenn
sie in Gestalt von Elementen verbrennen, stellte man sich den Wärme-
bildungsprocess als eine Art Heizung des Thierkörpers vor, deren
Effect auch durch die blosse Verbrennung derjenigen Quantität Koh-
lenstoff und Wasserstoff, die in den oxydirten Secreten vorkommt,
ersetzt gedacht werden könne. Dass die eine dieser Voraussetzun-
gen unrichtig ist, ergiebt sich aus den in §. 283 ermittelten That-
sachen, wornach der Kohlenstoff und Wasserstoff in Verbindungen
eine andere, und zwar in der Regel eine kleinere, Verbrennungs-
wärme besitzen, als im freien Zustand. Aber auch die andere
Voraussetzung, nach welcher der ganze Verbrennungsprocess im

Von der Wärme.
auf die bleibenden Distanzverhältnisse der Atome zurück: hier erscheinen sie uns als
Resultat der den Atomen eigenthümlichen Bewegungen. Beide Betrachtungen schlies-
sen sich nicht aus. In der That gilt alles was wir in §. 15 bemerkt haben in Bezug
auf die mittleren Distanzen der Atome: die mechanische Wärmetheorie lehrt
uns aber, dass von diesen Distanzen ihre Bewegungsweisen nothwendig abhängig sein
müssen. Die Erklärung der Grundeigenschaften der Aggregatzustände, die wir in
Cap. 1, 5 und 11 des II. Abschn. ausführlicher erörtert haben, findet daher eine
wesentliche Ergänzung in den hier entwickelten Vorstellungen, welche zu der An-
nahme hinführen, dass die Atome nur insofern sie bewegt sind Kräfte ausüben, eine
Annahme, die schon in dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten (§. 21) ange-
deutet liegt, und von der aus die theoretische Physik bedeutsamen Umwandlungen
entgegenzugehen scheint.


285
Wärmeentwick-
lung im Thier-
körper.

Das Uebergehen chemischer Spannkräfte in Wärme und der
Wärme in mechanische Arbeit ist das wichtigste Hülfsmittel der Tech-
nik zur Gewinnung von Arbeitskräften. Der technischen Physik liegt
es ob die Construction der verschiedenen künstlichen Maschinen zu
erörtern, welche jene Uebertragung der Kräfte zur Anwendung brin-
gen. Die physiologische Physik hingegen muss als Beispiel, an wel-
chem sie die Grundlehren der Wärmetheorie erläutert, die natürliche
Maschine des Thierleibes in’s Auge fassen. Alle Thiere entwickeln
Wärme; in der Regel giebt sich diese Wärmeentwicklung daran zu
erkennen, dass ihre Temperatur, namentlich die Temperatur ihrer
innern Organe, diejenige der Umgebung mehr oder weniger über-
trifft. Man hat schon lange erkannt, dass die thierische Wärme
als Verbrennungswärme zu deuten sei. Aber man pflegte sich den
Zusammenhang zwischen den langsamen Verbrennungsprocessen im
Thierkörper und der Wärmeentwicklung desselben viel einfacher
vorzustellen, als er bei dem heutigen Stand der physikalischen
Wärmelehre erscheinen kann. Man dachte sich nämlich, alle Ver-
brennungen im Thierkörper würden zur Wärmeerzeugung aufgebraucht,
und indem man ausserdem der Ansicht huldigte, die oxydabeln Be-
standtheile des Thierleibes und seiner Nahrungsmittel, namentlich der
Kohlenstoff und Wasserstoff, entwickelten bei ihrer Verbrennung in
Gestalt zusammengesetzter Verbindungen ebenso viel Wärme, als wenn
sie in Gestalt von Elementen verbrennen, stellte man sich den Wärme-
bildungsprocess als eine Art Heizung des Thierkörpers vor, deren
Effect auch durch die blosse Verbrennung derjenigen Quantität Koh-
lenstoff und Wasserstoff, die in den oxydirten Secreten vorkommt,
ersetzt gedacht werden könne. Dass die eine dieser Voraussetzun-
gen unrichtig ist, ergiebt sich aus den in §. 283 ermittelten That-
sachen, wornach der Kohlenstoff und Wasserstoff in Verbindungen
eine andere, und zwar in der Regel eine kleinere, Verbrennungs-
wärme besitzen, als im freien Zustand. Aber auch die andere
Voraussetzung, nach welcher der ganze Verbrennungsprocess im

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[426/0448] Von der Wärme. auf die bleibenden Distanzverhältnisse der Atome zurück: hier erscheinen sie uns als Resultat der den Atomen eigenthümlichen Bewegungen. Beide Betrachtungen schlies- sen sich nicht aus. In der That gilt alles was wir in §. 15 bemerkt haben in Bezug auf die mittleren Distanzen der Atome: die mechanische Wärmetheorie lehrt uns aber, dass von diesen Distanzen ihre Bewegungsweisen nothwendig abhängig sein müssen. Die Erklärung der Grundeigenschaften der Aggregatzustände, die wir in Cap. 1, 5 und 11 des II. Abschn. ausführlicher erörtert haben, findet daher eine wesentliche Ergänzung in den hier entwickelten Vorstellungen, welche zu der An- nahme hinführen, dass die Atome nur insofern sie bewegt sind Kräfte ausüben, eine Annahme, die schon in dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten (§. 21) ange- deutet liegt, und von der aus die theoretische Physik bedeutsamen Umwandlungen entgegenzugehen scheint. Das Uebergehen chemischer Spannkräfte in Wärme und der Wärme in mechanische Arbeit ist das wichtigste Hülfsmittel der Tech- nik zur Gewinnung von Arbeitskräften. Der technischen Physik liegt es ob die Construction der verschiedenen künstlichen Maschinen zu erörtern, welche jene Uebertragung der Kräfte zur Anwendung brin- gen. Die physiologische Physik hingegen muss als Beispiel, an wel- chem sie die Grundlehren der Wärmetheorie erläutert, die natürliche Maschine des Thierleibes in’s Auge fassen. Alle Thiere entwickeln Wärme; in der Regel giebt sich diese Wärmeentwicklung daran zu erkennen, dass ihre Temperatur, namentlich die Temperatur ihrer innern Organe, diejenige der Umgebung mehr oder weniger über- trifft. Man hat schon lange erkannt, dass die thierische Wärme als Verbrennungswärme zu deuten sei. Aber man pflegte sich den Zusammenhang zwischen den langsamen Verbrennungsprocessen im Thierkörper und der Wärmeentwicklung desselben viel einfacher vorzustellen, als er bei dem heutigen Stand der physikalischen Wärmelehre erscheinen kann. Man dachte sich nämlich, alle Ver- brennungen im Thierkörper würden zur Wärmeerzeugung aufgebraucht, und indem man ausserdem der Ansicht huldigte, die oxydabeln Be- standtheile des Thierleibes und seiner Nahrungsmittel, namentlich der Kohlenstoff und Wasserstoff, entwickelten bei ihrer Verbrennung in Gestalt zusammengesetzter Verbindungen ebenso viel Wärme, als wenn sie in Gestalt von Elementen verbrennen, stellte man sich den Wärme- bildungsprocess als eine Art Heizung des Thierkörpers vor, deren Effect auch durch die blosse Verbrennung derjenigen Quantität Koh- lenstoff und Wasserstoff, die in den oxydirten Secreten vorkommt, ersetzt gedacht werden könne. Dass die eine dieser Voraussetzun- gen unrichtig ist, ergiebt sich aus den in §. 283 ermittelten That- sachen, wornach der Kohlenstoff und Wasserstoff in Verbindungen eine andere, und zwar in der Regel eine kleinere, Verbrennungs- wärme besitzen, als im freien Zustand. Aber auch die andere Voraussetzung, nach welcher der ganze Verbrennungsprocess im

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/448>, abgerufen am 04.05.2024.