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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.
so kann dies ebenso auf Kosten theils der Schwingungs-, theils der
Disgregationsarbeit desselben geschehen. Die Wärmemenge, welche
man einem Körper zuführt oder entzieht, ist hierbei stets der Summe
der gleichzeitig stattfindenden Aenderungen seiner Schwingungs- und
Disgregationsarbeit proportional. Nun kann jeder Körper bei seiner
Volumzunahme oder Verdampfung eine gewisse äussere Arbeit leisten,
seine Disgregationsarbeit kann also in äussere Arbeit umgewandelt
werden; umgekehrt geht, wenn man einen Druck auf den Körper
ausübt, äussere Arbeit in Disgregationsarbeit über. Verwandeln wir
also Wärme in Arbeit oder Arbeit in Wärme, so geschieht dies immer
dadurch, dass wir die Schwingungs- in Disgregations- oder Disgrega-
tions- in Schwingungsarbeit überführen. Das Gesetz der Aequivalenz
zwischen Wärme und Arbeit ist daher nur ein specieller Fall des all-
gemeineren Gesetzes, dass in jedem Körper die Summe der
Disgregations- und Schwingungsarbeit zusammengenom-
men constant ist, so lange sie nicht durch Zufuhr äusse-
rer Wärme oder Arbeit vermehrt wird, und dass im letz-
teren Fall jene Summe sich proportional dieser Zufuhr
vergrössert
. Wärme und Arbeit sind einander äquivalent, weil die
Wärme selbst nur eine besondere Form der Bewegung ist.

Ebenso wie einer gewissen Quantität von mechanischer Arbeit,
ist auch der Schliessung einer chemischen Verbindung eine gewisse
Wärmemenge äquivalent. Offenbar steht die physikalische Verän-
derung, die mit zwei chemisch sich verbindenden Körpern vor sich
geht, jener "Disgregationsarbeit," die wir beim Wechsel der Aggre-
gatzustände beobachten, am nächsten. Wie beim Gefrieren einer
Flüssigkeit oder bei der Verdichtung eines Gases, so muss auch bei
jenen bleibenden Molecularverschiebungen, welche die Elemente er-
fahren, indem sie sich chemisch verbinden, Wärme frei werden, d. h.
es muss ein Theil der Disgregationsarbeit, die in den unverbundenen
Elementen als Spannkraft enthalten war, nun in der Form von Schwin-
gungsarbeit zum Vorschein kommen. Die Gesammtmenge der frei
werdenden Wärme hängt hierbei bloss vom Anfangs- und Endzustand
der Körper ab: sie ist unabhängig von den Zwischenstufen, welche
sie durchlaufen; denn einer gewissen Distanzveränderung der Molecüle
entspricht eine unveränderliche Summe lebendiger Kraft. Das Gesetz
der Constanz der Verbrennungswärme entspricht daher vollständig
dem Gesetz der Mechanik, dass ein Körper, der von einer bestimmten
Höhe herabfällt, dieselbe lebendige Kraft erlangt, ob er jene Höhe in
verticaler Richtung oder auf einer schiefen Ebene oder in irgend einer
gekrümmten Bahn herabfiel. (S. §. 54.)

Die Auffassung über das Wesen der Aggregatzustände, zu welcher uns
die Theorie der Wärmeerscheinungen geführt hat, bildet eine wichtige Ergänzung
zu den allgemeinen Erörterungen des §. 15. Dort führten wir die Aggregatzustände

Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.
so kann dies ebenso auf Kosten theils der Schwingungs-, theils der
Disgregationsarbeit desselben geschehen. Die Wärmemenge, welche
man einem Körper zuführt oder entzieht, ist hierbei stets der Summe
der gleichzeitig stattfindenden Aenderungen seiner Schwingungs- und
Disgregationsarbeit proportional. Nun kann jeder Körper bei seiner
Volumzunahme oder Verdampfung eine gewisse äussere Arbeit leisten,
seine Disgregationsarbeit kann also in äussere Arbeit umgewandelt
werden; umgekehrt geht, wenn man einen Druck auf den Körper
ausübt, äussere Arbeit in Disgregationsarbeit über. Verwandeln wir
also Wärme in Arbeit oder Arbeit in Wärme, so geschieht dies immer
dadurch, dass wir die Schwingungs- in Disgregations- oder Disgrega-
tions- in Schwingungsarbeit überführen. Das Gesetz der Aequivalenz
zwischen Wärme und Arbeit ist daher nur ein specieller Fall des all-
gemeineren Gesetzes, dass in jedem Körper die Summe der
Disgregations- und Schwingungsarbeit zusammengenom-
men constant ist, so lange sie nicht durch Zufuhr äusse-
rer Wärme oder Arbeit vermehrt wird, und dass im letz-
teren Fall jene Summe sich proportional dieser Zufuhr
vergrössert
. Wärme und Arbeit sind einander äquivalent, weil die
Wärme selbst nur eine besondere Form der Bewegung ist.

Ebenso wie einer gewissen Quantität von mechanischer Arbeit,
ist auch der Schliessung einer chemischen Verbindung eine gewisse
Wärmemenge äquivalent. Offenbar steht die physikalische Verän-
derung, die mit zwei chemisch sich verbindenden Körpern vor sich
geht, jener „Disgregationsarbeit,“ die wir beim Wechsel der Aggre-
gatzustände beobachten, am nächsten. Wie beim Gefrieren einer
Flüssigkeit oder bei der Verdichtung eines Gases, so muss auch bei
jenen bleibenden Molecularverschiebungen, welche die Elemente er-
fahren, indem sie sich chemisch verbinden, Wärme frei werden, d. h.
es muss ein Theil der Disgregationsarbeit, die in den unverbundenen
Elementen als Spannkraft enthalten war, nun in der Form von Schwin-
gungsarbeit zum Vorschein kommen. Die Gesammtmenge der frei
werdenden Wärme hängt hierbei bloss vom Anfangs- und Endzustand
der Körper ab: sie ist unabhängig von den Zwischenstufen, welche
sie durchlaufen; denn einer gewissen Distanzveränderung der Molecüle
entspricht eine unveränderliche Summe lebendiger Kraft. Das Gesetz
der Constanz der Verbrennungswärme entspricht daher vollständig
dem Gesetz der Mechanik, dass ein Körper, der von einer bestimmten
Höhe herabfällt, dieselbe lebendige Kraft erlangt, ob er jene Höhe in
verticaler Richtung oder auf einer schiefen Ebene oder in irgend einer
gekrümmten Bahn herabfiel. (S. §. 54.)

Die Auffassung über das Wesen der Aggregatzustände, zu welcher uns
die Theorie der Wärmeerscheinungen geführt hat, bildet eine wichtige Ergänzung
zu den allgemeinen Erörterungen des §. 15. Dort führten wir die Aggregatzustände

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[425/0447] Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. so kann dies ebenso auf Kosten theils der Schwingungs-, theils der Disgregationsarbeit desselben geschehen. Die Wärmemenge, welche man einem Körper zuführt oder entzieht, ist hierbei stets der Summe der gleichzeitig stattfindenden Aenderungen seiner Schwingungs- und Disgregationsarbeit proportional. Nun kann jeder Körper bei seiner Volumzunahme oder Verdampfung eine gewisse äussere Arbeit leisten, seine Disgregationsarbeit kann also in äussere Arbeit umgewandelt werden; umgekehrt geht, wenn man einen Druck auf den Körper ausübt, äussere Arbeit in Disgregationsarbeit über. Verwandeln wir also Wärme in Arbeit oder Arbeit in Wärme, so geschieht dies immer dadurch, dass wir die Schwingungs- in Disgregations- oder Disgrega- tions- in Schwingungsarbeit überführen. Das Gesetz der Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit ist daher nur ein specieller Fall des all- gemeineren Gesetzes, dass in jedem Körper die Summe der Disgregations- und Schwingungsarbeit zusammengenom- men constant ist, so lange sie nicht durch Zufuhr äusse- rer Wärme oder Arbeit vermehrt wird, und dass im letz- teren Fall jene Summe sich proportional dieser Zufuhr vergrössert. Wärme und Arbeit sind einander äquivalent, weil die Wärme selbst nur eine besondere Form der Bewegung ist. Ebenso wie einer gewissen Quantität von mechanischer Arbeit, ist auch der Schliessung einer chemischen Verbindung eine gewisse Wärmemenge äquivalent. Offenbar steht die physikalische Verän- derung, die mit zwei chemisch sich verbindenden Körpern vor sich geht, jener „Disgregationsarbeit,“ die wir beim Wechsel der Aggre- gatzustände beobachten, am nächsten. Wie beim Gefrieren einer Flüssigkeit oder bei der Verdichtung eines Gases, so muss auch bei jenen bleibenden Molecularverschiebungen, welche die Elemente er- fahren, indem sie sich chemisch verbinden, Wärme frei werden, d. h. es muss ein Theil der Disgregationsarbeit, die in den unverbundenen Elementen als Spannkraft enthalten war, nun in der Form von Schwin- gungsarbeit zum Vorschein kommen. Die Gesammtmenge der frei werdenden Wärme hängt hierbei bloss vom Anfangs- und Endzustand der Körper ab: sie ist unabhängig von den Zwischenstufen, welche sie durchlaufen; denn einer gewissen Distanzveränderung der Molecüle entspricht eine unveränderliche Summe lebendiger Kraft. Das Gesetz der Constanz der Verbrennungswärme entspricht daher vollständig dem Gesetz der Mechanik, dass ein Körper, der von einer bestimmten Höhe herabfällt, dieselbe lebendige Kraft erlangt, ob er jene Höhe in verticaler Richtung oder auf einer schiefen Ebene oder in irgend einer gekrümmten Bahn herabfiel. (S. §. 54.) Die Auffassung über das Wesen der Aggregatzustände, zu welcher uns die Theorie der Wärmeerscheinungen geführt hat, bildet eine wichtige Ergänzung zu den allgemeinen Erörterungen des §. 15. Dort führten wir die Aggregatzustände

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/447>, abgerufen am 23.12.2024.