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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Latente und specifische Wärme.
Anwachsen der ersteren durch eine Gerade c g dargestellt werden, die unter einem
um so grösseren Winkel zur Abscissenaxe geneigt ist, je kleiner die der Grösse d e
= 1°C. entsprechende specifische Wärme a b ist. Liegt bei der Temperatur f g der
Schmelzpunkt, so wird nun die weiter zugeführte Wärme gebunden, bis der Körper
vollständig vesflüssigt ist, die Linie der Ordinaten g h bleibt also der Abscissenaxe
parallel, und der Abschnitt f i der letzteren bezeichnet die latent gewordene Wärme
des flüssigen Körpers. Von dem Punkte i an steigt dann wieder die Temperatur pro-
portional den Abscissen, aber, da die specifische Wärme im flüssigen Zustand grösser
ist als im festen, da also die einem Zuwachs m n = e d der Ordinate entsprechende
Abscisse = i k ist, so sehen wir nun die ansteigende Gerade weniger gegen die
Abscissenlinie geneigt als vorher. Bei l tritt endlich Verdampfung ein, die Abscis-
senlänge l r, der die Gerade o p parallel bleibt, entspricht der latenten Dampfwärme
des Körpers. Im gasförmigen Zustand verkleinert sich wieder die specifische Wärme
und verläuft also die Linie p q wieder steiler: beim Wasser z. B. ist p q nahehin
parallel c g. Vergleicht man diese Curve mit der in Fig. 190 dargestellten Curve
der Ausdehnungen durch die Wärme, so sieht man, dass die Wärme so lange stetig
zunimmt, als das Volum stetig wächst, dass dagegen den steil aufwärts gerichteten
Wendepunkten der ersteren Curve hier die der Abscisse parallel bleibenden Linien g h,
o p entsprechen. Auch darin correspondiren beide Curven, dass, so lange die Aus-
dehnungen und Temperaturen stetig wachsen, sie beide den Urveränderlichen, von de-
nen sie abhängen, proportional bleiben, also dort die Ausdehnung proportional der
Temperatursteigerung, hier die Temperatursteigerung proportional der zugeführten
Wärmemenge.

Wir haben früher (§. 243 u. f.) gesehen, dass die Proportionali-263
Abweichungen
vom Gesetz der
Proportionalität
im festen und
flüssigen Aggre-
gatzustand.

tät der Ausdehnung mit der Temperatur nur annähernd verwirklicht
ist. Wenn man die Ausdehnung der Gase durch die Wärme zum Ver-
gleich nimmt, so wächst bei höheren Temperaturgraden sowohl die
Ausdehnung der festen Körper als der Flüssigkeiten. Aehnliche Ab-
weichungen findet man nun hinsichtlich der Zunahme der Temperatur

[Abbildung] Fig. 192.
bei steigender Wärmezufuhr. Die
specifische Wärme sowohl der fe-
sten Körper wie der Flüssigkeiten
wächst allgemein bei steigender
Temperatur. Am geringsten ist die
Veränderung der specifischen Wärme
des Wassers. Sie wächst nach den
genauen Versuchen von Regnault
von 0 bis 100° erst von 1 auf 1,005.

Tragen wir auf eine Abscissenlinie
a d deren Theile die Temperaturen bedeu-
ten, sowohl die Ausdehnungen der Körper
wie die zur Erwärmung auf bestimmte Tem-
peraturen erforderlichen Wärmemengen auf
(Fig. 192), so hat hiernach die genauere
Curve A A der Ausdehnungen wie die Curve s s der specifischen Wärmen eine über-

Latente und specifische Wärme.
Anwachsen der ersteren durch eine Gerade c g dargestellt werden, die unter einem
um so grösseren Winkel zur Abscissenaxe geneigt ist, je kleiner die der Grösse d e
= 1°C. entsprechende specifische Wärme a b ist. Liegt bei der Temperatur f g der
Schmelzpunkt, so wird nun die weiter zugeführte Wärme gebunden, bis der Körper
vollständig vesflüssigt ist, die Linie der Ordinaten g h bleibt also der Abscissenaxe
parallel, und der Abschnitt f i der letzteren bezeichnet die latent gewordene Wärme
des flüssigen Körpers. Von dem Punkte i an steigt dann wieder die Temperatur pro-
portional den Abscissen, aber, da die specifische Wärme im flüssigen Zustand grösser
ist als im festen, da also die einem Zuwachs m n = e d der Ordinate entsprechende
Abscisse = i k ist, so sehen wir nun die ansteigende Gerade weniger gegen die
Abscissenlinie geneigt als vorher. Bei l tritt endlich Verdampfung ein, die Abscis-
senlänge l r, der die Gerade o p parallel bleibt, entspricht der latenten Dampfwärme
des Körpers. Im gasförmigen Zustand verkleinert sich wieder die specifische Wärme
und verläuft also die Linie p q wieder steiler: beim Wasser z. B. ist p q nahehin
parallel c g. Vergleicht man diese Curve mit der in Fig. 190 dargestellten Curve
der Ausdehnungen durch die Wärme, so sieht man, dass die Wärme so lange stetig
zunimmt, als das Volum stetig wächst, dass dagegen den steil aufwärts gerichteten
Wendepunkten der ersteren Curve hier die der Abscisse parallel bleibenden Linien g h,
o p entsprechen. Auch darin correspondiren beide Curven, dass, so lange die Aus-
dehnungen und Temperaturen stetig wachsen, sie beide den Urveränderlichen, von de-
nen sie abhängen, proportional bleiben, also dort die Ausdehnung proportional der
Temperatursteigerung, hier die Temperatursteigerung proportional der zugeführten
Wärmemenge.

Wir haben früher (§. 243 u. f.) gesehen, dass die Proportionali-263
Abweichungen
vom Gesetz der
Proportionalität
im festen und
flüssigen Aggre-
gatzustand.

tät der Ausdehnung mit der Temperatur nur annähernd verwirklicht
ist. Wenn man die Ausdehnung der Gase durch die Wärme zum Ver-
gleich nimmt, so wächst bei höheren Temperaturgraden sowohl die
Ausdehnung der festen Körper als der Flüssigkeiten. Aehnliche Ab-
weichungen findet man nun hinsichtlich der Zunahme der Temperatur

[Abbildung] Fig. 192.
bei steigender Wärmezufuhr. Die
specifische Wärme sowohl der fe-
sten Körper wie der Flüssigkeiten
wächst allgemein bei steigender
Temperatur. Am geringsten ist die
Veränderung der specifischen Wärme
des Wassers. Sie wächst nach den
genauen Versuchen von Regnault
von 0 bis 100° erst von 1 auf 1,005.

Tragen wir auf eine Abscissenlinie
a d deren Theile die Temperaturen bedeu-
ten, sowohl die Ausdehnungen der Körper
wie die zur Erwärmung auf bestimmte Tem-
peraturen erforderlichen Wärmemengen auf
(Fig. 192), so hat hiernach die genauere
Curve A A der Ausdehnungen wie die Curve s s der specifischen Wärmen eine über-

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[397/0419] Latente und specifische Wärme. Anwachsen der ersteren durch eine Gerade c g dargestellt werden, die unter einem um so grösseren Winkel zur Abscissenaxe geneigt ist, je kleiner die der Grösse d e = 1°C. entsprechende specifische Wärme a b ist. Liegt bei der Temperatur f g der Schmelzpunkt, so wird nun die weiter zugeführte Wärme gebunden, bis der Körper vollständig vesflüssigt ist, die Linie der Ordinaten g h bleibt also der Abscissenaxe parallel, und der Abschnitt f i der letzteren bezeichnet die latent gewordene Wärme des flüssigen Körpers. Von dem Punkte i an steigt dann wieder die Temperatur pro- portional den Abscissen, aber, da die specifische Wärme im flüssigen Zustand grösser ist als im festen, da also die einem Zuwachs m n = e d der Ordinate entsprechende Abscisse = i k ist, so sehen wir nun die ansteigende Gerade weniger gegen die Abscissenlinie geneigt als vorher. Bei l tritt endlich Verdampfung ein, die Abscis- senlänge l r, der die Gerade o p parallel bleibt, entspricht der latenten Dampfwärme des Körpers. Im gasförmigen Zustand verkleinert sich wieder die specifische Wärme und verläuft also die Linie p q wieder steiler: beim Wasser z. B. ist p q nahehin parallel c g. Vergleicht man diese Curve mit der in Fig. 190 dargestellten Curve der Ausdehnungen durch die Wärme, so sieht man, dass die Wärme so lange stetig zunimmt, als das Volum stetig wächst, dass dagegen den steil aufwärts gerichteten Wendepunkten der ersteren Curve hier die der Abscisse parallel bleibenden Linien g h, o p entsprechen. Auch darin correspondiren beide Curven, dass, so lange die Aus- dehnungen und Temperaturen stetig wachsen, sie beide den Urveränderlichen, von de- nen sie abhängen, proportional bleiben, also dort die Ausdehnung proportional der Temperatursteigerung, hier die Temperatursteigerung proportional der zugeführten Wärmemenge. Wir haben früher (§. 243 u. f.) gesehen, dass die Proportionali- tät der Ausdehnung mit der Temperatur nur annähernd verwirklicht ist. Wenn man die Ausdehnung der Gase durch die Wärme zum Ver- gleich nimmt, so wächst bei höheren Temperaturgraden sowohl die Ausdehnung der festen Körper als der Flüssigkeiten. Aehnliche Ab- weichungen findet man nun hinsichtlich der Zunahme der Temperatur [Abbildung Fig. 192.] bei steigender Wärmezufuhr. Die specifische Wärme sowohl der fe- sten Körper wie der Flüssigkeiten wächst allgemein bei steigender Temperatur. Am geringsten ist die Veränderung der specifischen Wärme des Wassers. Sie wächst nach den genauen Versuchen von Regnault von 0 bis 100° erst von 1 auf 1,005. 263 Abweichungen vom Gesetz der Proportionalität im festen und flüssigen Aggre- gatzustand. Tragen wir auf eine Abscissenlinie a d deren Theile die Temperaturen bedeu- ten, sowohl die Ausdehnungen der Körper wie die zur Erwärmung auf bestimmte Tem- peraturen erforderlichen Wärmemengen auf (Fig. 192), so hat hiernach die genauere Curve A A der Ausdehnungen wie die Curve s s der specifischen Wärmen eine über-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/419>, abgerufen am 04.05.2024.