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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Veränderungen des Aggregatzustandes.
[Abbildung] Fig. 189.
Atmosphäre der Druck einer Quecksilbersäule von
der Höhe a b, auf dem Raum des Barometers B
dagegen ausser dem Atmosphärendruck nur der
Druck einer Quecksilbersäule von der Höhe c d.
Man findet nun, dass, wenn man in zwei solche
Barometer anfangs die gleiche Dampfmenge ge-
bracht hat, was sich leicht aus der Depression
der Quecksilbersäule ermitteln lässt, die Volu-
mina dieser Dampfmengen sich umgekehrt ver-
halten wie die Druckgrössen a b und c d. Die-
ses Gesetz ist um so näher verwirklicht, je ge-
ringer der Druck ist. Nähert man sich einem
Druck, bei welchem der Dampf flüssig wird, so nimmt das Volum
viel langsamer ab, als der Druck wächst, und bei demjenigen Druck,
bei welchem der Dampf in den flüssigen Zustand überzugehen beginnt,
findet gar keine Volumverminderung mehr statt. Hat man nun inner-
halb jener Grenzen, zwischen denen das Mariotte'sche Gesetz gültig
ist, durch eine Drucksteigerung eine gewisse Volumverminderung be-
wirkt, so kann man die letztere wieder aufheben, wenn man den
Raum, in welchem sich der zusammengedrückte Dampf befindet, um
eine bestimmte Zahl von Temperaturgraden erwärmt. Um die Volum-
verminderung, die der doppelte Druck erzeugt hat, wieder auszuglei-
chen, muss man dann auch die doppelte Temperaturerhöhung anwen-
den, u. s. w.

Da die Gase sich in einander wie im luftleeren Raume verbrei-253
Abhängigkeit
der Verdam-
pfung von Co-
häsion und
Adhäsion.

ten, so kann die Verdampfung an der Oberfläche einer Flüssigkeit
durch den Druck der Atmosphäre oder durch einen noch so starken
Druck eines andern Gases nicht aufgehoben werden. Anders ist es
dagegen für die Theilchen im Innern der Flüssigkeit. Auf ihnen lastet
der Atmosphärendruck gerade so wie der Druck eines festen Körpers,
indem die oberste Schichte der Flüssigkeit wie ein Stempel die an-
dern Schichten bedeckt. In diesen andern Schichten kann daher erst
dann Verdampfung eintreten, wenn entweder durch Verminderung des
äusseren Drucks oder durch Erhöhung der Temperatur das Ausdeh-
nungsbestreben der Theilchen so gross wird, dass es jenen Stempel
zu heben vermag. Bei einem gegebenen äusseren Druck wird also
der Siedepunkt bei derjenigen Temperatur liegen, bei welcher das
Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeitstheilchen etwas grösser als der
äussere Druck nebst den durch die Cohäsion und Adhäsion ausgeübten
Kräften geworden ist. Im vollständig luftleeren Raum wird der Siedepunkt
jener Temperatur entsprechen, bei welcher das Ausdehnungsbestreben
der Theilchen gerade über die Kräfte der Cohäsion und Adhäsion
überwiegt. Die Kräfte der Cohäsion sind für eine und dieselbe Flüs-

Wundt, medicin. Physik. 25

Veränderungen des Aggregatzustandes.
[Abbildung] Fig. 189.
Atmosphäre der Druck einer Quecksilbersäule von
der Höhe a b, auf dem Raum des Barometers B
dagegen ausser dem Atmosphärendruck nur der
Druck einer Quecksilbersäule von der Höhe c d.
Man findet nun, dass, wenn man in zwei solche
Barometer anfangs die gleiche Dampfmenge ge-
bracht hat, was sich leicht aus der Depression
der Quecksilbersäule ermitteln lässt, die Volu-
mina dieser Dampfmengen sich umgekehrt ver-
halten wie die Druckgrössen a b und c d. Die-
ses Gesetz ist um so näher verwirklicht, je ge-
ringer der Druck ist. Nähert man sich einem
Druck, bei welchem der Dampf flüssig wird, so nimmt das Volum
viel langsamer ab, als der Druck wächst, und bei demjenigen Druck,
bei welchem der Dampf in den flüssigen Zustand überzugehen beginnt,
findet gar keine Volumverminderung mehr statt. Hat man nun inner-
halb jener Grenzen, zwischen denen das Mariotte’sche Gesetz gültig
ist, durch eine Drucksteigerung eine gewisse Volumverminderung be-
wirkt, so kann man die letztere wieder aufheben, wenn man den
Raum, in welchem sich der zusammengedrückte Dampf befindet, um
eine bestimmte Zahl von Temperaturgraden erwärmt. Um die Volum-
verminderung, die der doppelte Druck erzeugt hat, wieder auszuglei-
chen, muss man dann auch die doppelte Temperaturerhöhung anwen-
den, u. s. w.

Da die Gase sich in einander wie im luftleeren Raume verbrei-253
Abhängigkeit
der Verdam-
pfung von Co-
häsion und
Adhäsion.

ten, so kann die Verdampfung an der Oberfläche einer Flüssigkeit
durch den Druck der Atmosphäre oder durch einen noch so starken
Druck eines andern Gases nicht aufgehoben werden. Anders ist es
dagegen für die Theilchen im Innern der Flüssigkeit. Auf ihnen lastet
der Atmosphärendruck gerade so wie der Druck eines festen Körpers,
indem die oberste Schichte der Flüssigkeit wie ein Stempel die an-
dern Schichten bedeckt. In diesen andern Schichten kann daher erst
dann Verdampfung eintreten, wenn entweder durch Verminderung des
äusseren Drucks oder durch Erhöhung der Temperatur das Ausdeh-
nungsbestreben der Theilchen so gross wird, dass es jenen Stempel
zu heben vermag. Bei einem gegebenen äusseren Druck wird also
der Siedepunkt bei derjenigen Temperatur liegen, bei welcher das
Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeitstheilchen etwas grösser als der
äussere Druck nebst den durch die Cohäsion und Adhäsion ausgeübten
Kräften geworden ist. Im vollständig luftleeren Raum wird der Siedepunkt
jener Temperatur entsprechen, bei welcher das Ausdehnungsbestreben
der Theilchen gerade über die Kräfte der Cohäsion und Adhäsion
überwiegt. Die Kräfte der Cohäsion sind für eine und dieselbe Flüs-

Wundt, medicin. Physik. 25
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[385/0407] Veränderungen des Aggregatzustandes. [Abbildung Fig. 189.] Atmosphäre der Druck einer Quecksilbersäule von der Höhe a b, auf dem Raum des Barometers B dagegen ausser dem Atmosphärendruck nur der Druck einer Quecksilbersäule von der Höhe c d. Man findet nun, dass, wenn man in zwei solche Barometer anfangs die gleiche Dampfmenge ge- bracht hat, was sich leicht aus der Depression der Quecksilbersäule ermitteln lässt, die Volu- mina dieser Dampfmengen sich umgekehrt ver- halten wie die Druckgrössen a b und c d. Die- ses Gesetz ist um so näher verwirklicht, je ge- ringer der Druck ist. Nähert man sich einem Druck, bei welchem der Dampf flüssig wird, so nimmt das Volum viel langsamer ab, als der Druck wächst, und bei demjenigen Druck, bei welchem der Dampf in den flüssigen Zustand überzugehen beginnt, findet gar keine Volumverminderung mehr statt. Hat man nun inner- halb jener Grenzen, zwischen denen das Mariotte’sche Gesetz gültig ist, durch eine Drucksteigerung eine gewisse Volumverminderung be- wirkt, so kann man die letztere wieder aufheben, wenn man den Raum, in welchem sich der zusammengedrückte Dampf befindet, um eine bestimmte Zahl von Temperaturgraden erwärmt. Um die Volum- verminderung, die der doppelte Druck erzeugt hat, wieder auszuglei- chen, muss man dann auch die doppelte Temperaturerhöhung anwen- den, u. s. w. Da die Gase sich in einander wie im luftleeren Raume verbrei- ten, so kann die Verdampfung an der Oberfläche einer Flüssigkeit durch den Druck der Atmosphäre oder durch einen noch so starken Druck eines andern Gases nicht aufgehoben werden. Anders ist es dagegen für die Theilchen im Innern der Flüssigkeit. Auf ihnen lastet der Atmosphärendruck gerade so wie der Druck eines festen Körpers, indem die oberste Schichte der Flüssigkeit wie ein Stempel die an- dern Schichten bedeckt. In diesen andern Schichten kann daher erst dann Verdampfung eintreten, wenn entweder durch Verminderung des äusseren Drucks oder durch Erhöhung der Temperatur das Ausdeh- nungsbestreben der Theilchen so gross wird, dass es jenen Stempel zu heben vermag. Bei einem gegebenen äusseren Druck wird also der Siedepunkt bei derjenigen Temperatur liegen, bei welcher das Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeitstheilchen etwas grösser als der äussere Druck nebst den durch die Cohäsion und Adhäsion ausgeübten Kräften geworden ist. Im vollständig luftleeren Raum wird der Siedepunkt jener Temperatur entsprechen, bei welcher das Ausdehnungsbestreben der Theilchen gerade über die Kräfte der Cohäsion und Adhäsion überwiegt. Die Kräfte der Cohäsion sind für eine und dieselbe Flüs- 253 Abhängigkeit der Verdam- pfung von Co- häsion und Adhäsion. Wundt, medicin. Physik. 25

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/407>, abgerufen am 23.12.2024.