Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Wärme.
sigkeit natürlich immer die nämlichen. Diejenigen der Adhäsion wech-
seln dagegen je nach dem Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit
befindet, oder nach der Berührung mit sonstigen festen Körpern. Die
Theorie der Adhäsionserscheinungen (§. 73) lässt erwarten, dass, je stär-
ker die Adhäsion ist, um so weniger der Siedepunkt, den die Flüssigkeit
an und für sich hat, dadurch verändert werden kann. Denn bei voll-
kommener Adhäsion findet sich kein Zwischenraum zwischen der
Flüssigkeit und der Gefässwand, und ein solcher kann auch erst bei
einem Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeit eintreten, bei welchem
die Cohäsion überwunden wird. Wo dagegen die Adhäsion schwächer
als die Cohäsion ist, werden sich bei einer Temperatur, die dem Siede-
punkt der Flüssigkeit selbst noch nicht vollständig entspricht, schon
Dampfblasen an den Gefässwänden bilden, und es wird also die
Flüssigkeit in der That in's Sieden gerathen. Das Wasser adhärirt
jedenfalls sehr vollkommen an Glasgefässen, namentlich an solchen,
die zuvor mit Schwefelsäure gereinigt wurden. Der in diesen Ge-
fässen beobachtete Siedepunkt kommt daher wahrscheinlich dem wah-
ren Siedepunkt am nächsten; er liegt aber, wie wir gesehen haben,
etwas höher als 100o. Die Temperatur von 100°, die man constant
bei 760 mm. Barometerstand in dem Dampf des siedendenden Was-
sers beobachtet, ist desshalb vermuthlich erst durch eine geringe Ab-
kühlung des Dampfes entstanden.


254
Spannkraft der
Dämpfe.

Wenn man in dem im §. 252 (Fig. 189) angegebenen Versuch
in den luftleeren Raum der Barometerröhre bei gleicher Temperatur
verschiedene verdampfbare Flüssigkeiten, z. B. zuerst Aether, dann
Alkohol, dann Wasser bringt, so beobachtet man, dass die Queck-
silbersäule in verschiedenem Grade herabgedrückt wird. Der Aether
hat ein grösseres Ausdehnungsbestreben als der Alkohol, dieser ein
grösseres als das Wasser. Man bezeichnet dieses Ausdehnungsbe-
streben, durch welches der Dampf bei einer bestimmten Temperatur
einer bestimmten Quecksilbersäule das Gleichgewicht hält, als die
Spannkraft des Dampfes. Man kann die Spannkraft der Dämpfe
messen, indem man, wie in dem hier beschriebenen Versuch, in einem
abgeschlossenen Raum Dämpfe erzeugt und den Druck misst, welchen
dieselben bei verschiedenen Temperaturen ausüben. Statt dessen
lässt sich auch das im vorigen §. gefundene Gesetz benützen, wornach
jede Flüssigkeit bei derjenigen Temperatur siedet, bei welcher die
Spannung ihrer Dämpfe dem auf ihr lastenden Drucke gleich ist.
Bringt man also die Flüssigkeit unter einem bestimmten Druck zum
Sieden, und misst man die Temperatur, welche hierbei ihre Dämpfe
annehmen, so ist der vorhandene Druck die der gemessenen Tempera-
tur entsprechende Spannkraft der Dämpfe. Man kann z. B. für die-
sen Zweck den in §. 250 beschriebenen Papinianischen Topf benützen.

Von der Wärme.
sigkeit natürlich immer die nämlichen. Diejenigen der Adhäsion wech-
seln dagegen je nach dem Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit
befindet, oder nach der Berührung mit sonstigen festen Körpern. Die
Theorie der Adhäsionserscheinungen (§. 73) lässt erwarten, dass, je stär-
ker die Adhäsion ist, um so weniger der Siedepunkt, den die Flüssigkeit
an und für sich hat, dadurch verändert werden kann. Denn bei voll-
kommener Adhäsion findet sich kein Zwischenraum zwischen der
Flüssigkeit und der Gefässwand, und ein solcher kann auch erst bei
einem Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeit eintreten, bei welchem
die Cohäsion überwunden wird. Wo dagegen die Adhäsion schwächer
als die Cohäsion ist, werden sich bei einer Temperatur, die dem Siede-
punkt der Flüssigkeit selbst noch nicht vollständig entspricht, schon
Dampfblasen an den Gefässwänden bilden, und es wird also die
Flüssigkeit in der That in’s Sieden gerathen. Das Wasser adhärirt
jedenfalls sehr vollkommen an Glasgefässen, namentlich an solchen,
die zuvor mit Schwefelsäure gereinigt wurden. Der in diesen Ge-
fässen beobachtete Siedepunkt kommt daher wahrscheinlich dem wah-
ren Siedepunkt am nächsten; er liegt aber, wie wir gesehen haben,
etwas höher als 100º. Die Temperatur von 100°, die man constant
bei 760 mm. Barometerstand in dem Dampf des siedendenden Was-
sers beobachtet, ist desshalb vermuthlich erst durch eine geringe Ab-
kühlung des Dampfes entstanden.


254
Spannkraft der
Dämpfe.

Wenn man in dem im §. 252 (Fig. 189) angegebenen Versuch
in den luftleeren Raum der Barometerröhre bei gleicher Temperatur
verschiedene verdampfbare Flüssigkeiten, z. B. zuerst Aether, dann
Alkohol, dann Wasser bringt, so beobachtet man, dass die Queck-
silbersäule in verschiedenem Grade herabgedrückt wird. Der Aether
hat ein grösseres Ausdehnungsbestreben als der Alkohol, dieser ein
grösseres als das Wasser. Man bezeichnet dieses Ausdehnungsbe-
streben, durch welches der Dampf bei einer bestimmten Temperatur
einer bestimmten Quecksilbersäule das Gleichgewicht hält, als die
Spannkraft des Dampfes. Man kann die Spannkraft der Dämpfe
messen, indem man, wie in dem hier beschriebenen Versuch, in einem
abgeschlossenen Raum Dämpfe erzeugt und den Druck misst, welchen
dieselben bei verschiedenen Temperaturen ausüben. Statt dessen
lässt sich auch das im vorigen §. gefundene Gesetz benützen, wornach
jede Flüssigkeit bei derjenigen Temperatur siedet, bei welcher die
Spannung ihrer Dämpfe dem auf ihr lastenden Drucke gleich ist.
Bringt man also die Flüssigkeit unter einem bestimmten Druck zum
Sieden, und misst man die Temperatur, welche hierbei ihre Dämpfe
annehmen, so ist der vorhandene Druck die der gemessenen Tempera-
tur entsprechende Spannkraft der Dämpfe. Man kann z. B. für die-
sen Zweck den in §. 250 beschriebenen Papinianischen Topf benützen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0408" n="386"/><fw place="top" type="header">Von der Wärme.</fw><lb/>
sigkeit natürlich immer die nämlichen. Diejenigen der Adhäsion wech-<lb/>
seln dagegen je nach dem Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit<lb/>
befindet, oder nach der Berührung mit sonstigen festen Körpern. Die<lb/>
Theorie der Adhäsionserscheinungen (§. 73) lässt erwarten, dass, je stär-<lb/>
ker die Adhäsion ist, um so weniger der Siedepunkt, den die Flüssigkeit<lb/>
an und für sich hat, dadurch verändert werden kann. Denn bei voll-<lb/>
kommener Adhäsion findet sich kein Zwischenraum zwischen der<lb/>
Flüssigkeit und der Gefässwand, und ein solcher kann auch erst bei<lb/>
einem Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeit eintreten, bei welchem<lb/>
die Cohäsion überwunden wird. Wo dagegen die Adhäsion schwächer<lb/>
als die Cohäsion ist, werden sich bei einer Temperatur, die dem Siede-<lb/>
punkt der Flüssigkeit selbst noch nicht vollständig entspricht, schon<lb/>
Dampfblasen an den Gefässwänden bilden, und es wird also die<lb/>
Flüssigkeit in der That in&#x2019;s Sieden gerathen. Das Wasser adhärirt<lb/>
jedenfalls sehr vollkommen an Glasgefässen, namentlich an solchen,<lb/>
die zuvor mit Schwefelsäure gereinigt wurden. Der in diesen Ge-<lb/>
fässen beobachtete Siedepunkt kommt daher wahrscheinlich dem wah-<lb/>
ren Siedepunkt am nächsten; er liegt aber, wie wir gesehen haben,<lb/>
etwas höher als 100º. Die Temperatur von 100°, die man constant<lb/>
bei 760 mm. Barometerstand in dem Dampf des siedendenden Was-<lb/>
sers beobachtet, ist desshalb vermuthlich erst durch eine geringe Ab-<lb/>
kühlung des Dampfes entstanden.</p><lb/>
          <note place="left">254<lb/>
Spannkraft der<lb/>
Dämpfe.</note>
          <p>Wenn man in dem im §. 252 (Fig. 189) angegebenen Versuch<lb/>
in den luftleeren Raum der Barometerröhre bei gleicher Temperatur<lb/>
verschiedene verdampfbare Flüssigkeiten, z. B. zuerst Aether, dann<lb/>
Alkohol, dann Wasser bringt, so beobachtet man, dass die Queck-<lb/>
silbersäule in verschiedenem Grade herabgedrückt wird. Der Aether<lb/>
hat ein grösseres Ausdehnungsbestreben als der Alkohol, dieser ein<lb/>
grösseres als das Wasser. Man bezeichnet dieses Ausdehnungsbe-<lb/>
streben, durch welches der Dampf bei einer bestimmten Temperatur<lb/>
einer bestimmten Quecksilbersäule das Gleichgewicht hält, als die<lb/><hi rendition="#g">Spannkraft des Dampfes</hi>. Man kann die Spannkraft der Dämpfe<lb/>
messen, indem man, wie in dem hier beschriebenen Versuch, in einem<lb/>
abgeschlossenen Raum Dämpfe erzeugt und den Druck misst, welchen<lb/>
dieselben bei verschiedenen Temperaturen ausüben. Statt dessen<lb/>
lässt sich auch das im vorigen §. gefundene Gesetz benützen, wornach<lb/>
jede Flüssigkeit bei derjenigen Temperatur siedet, bei welcher die<lb/>
Spannung ihrer Dämpfe dem auf ihr lastenden Drucke gleich ist.<lb/>
Bringt man also die Flüssigkeit unter einem bestimmten Druck zum<lb/>
Sieden, und misst man die Temperatur, welche hierbei ihre Dämpfe<lb/>
annehmen, so ist der vorhandene Druck die der gemessenen Tempera-<lb/>
tur entsprechende Spannkraft der Dämpfe. Man kann z. B. für die-<lb/>
sen Zweck den in §. 250 beschriebenen Papinianischen Topf benützen.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0408] Von der Wärme. sigkeit natürlich immer die nämlichen. Diejenigen der Adhäsion wech- seln dagegen je nach dem Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit befindet, oder nach der Berührung mit sonstigen festen Körpern. Die Theorie der Adhäsionserscheinungen (§. 73) lässt erwarten, dass, je stär- ker die Adhäsion ist, um so weniger der Siedepunkt, den die Flüssigkeit an und für sich hat, dadurch verändert werden kann. Denn bei voll- kommener Adhäsion findet sich kein Zwischenraum zwischen der Flüssigkeit und der Gefässwand, und ein solcher kann auch erst bei einem Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeit eintreten, bei welchem die Cohäsion überwunden wird. Wo dagegen die Adhäsion schwächer als die Cohäsion ist, werden sich bei einer Temperatur, die dem Siede- punkt der Flüssigkeit selbst noch nicht vollständig entspricht, schon Dampfblasen an den Gefässwänden bilden, und es wird also die Flüssigkeit in der That in’s Sieden gerathen. Das Wasser adhärirt jedenfalls sehr vollkommen an Glasgefässen, namentlich an solchen, die zuvor mit Schwefelsäure gereinigt wurden. Der in diesen Ge- fässen beobachtete Siedepunkt kommt daher wahrscheinlich dem wah- ren Siedepunkt am nächsten; er liegt aber, wie wir gesehen haben, etwas höher als 100º. Die Temperatur von 100°, die man constant bei 760 mm. Barometerstand in dem Dampf des siedendenden Was- sers beobachtet, ist desshalb vermuthlich erst durch eine geringe Ab- kühlung des Dampfes entstanden. Wenn man in dem im §. 252 (Fig. 189) angegebenen Versuch in den luftleeren Raum der Barometerröhre bei gleicher Temperatur verschiedene verdampfbare Flüssigkeiten, z. B. zuerst Aether, dann Alkohol, dann Wasser bringt, so beobachtet man, dass die Queck- silbersäule in verschiedenem Grade herabgedrückt wird. Der Aether hat ein grösseres Ausdehnungsbestreben als der Alkohol, dieser ein grösseres als das Wasser. Man bezeichnet dieses Ausdehnungsbe- streben, durch welches der Dampf bei einer bestimmten Temperatur einer bestimmten Quecksilbersäule das Gleichgewicht hält, als die Spannkraft des Dampfes. Man kann die Spannkraft der Dämpfe messen, indem man, wie in dem hier beschriebenen Versuch, in einem abgeschlossenen Raum Dämpfe erzeugt und den Druck misst, welchen dieselben bei verschiedenen Temperaturen ausüben. Statt dessen lässt sich auch das im vorigen §. gefundene Gesetz benützen, wornach jede Flüssigkeit bei derjenigen Temperatur siedet, bei welcher die Spannung ihrer Dämpfe dem auf ihr lastenden Drucke gleich ist. Bringt man also die Flüssigkeit unter einem bestimmten Druck zum Sieden, und misst man die Temperatur, welche hierbei ihre Dämpfe annehmen, so ist der vorhandene Druck die der gemessenen Tempera- tur entsprechende Spannkraft der Dämpfe. Man kann z. B. für die- sen Zweck den in §. 250 beschriebenen Papinianischen Topf benützen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/408
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/408>, abgerufen am 23.12.2024.