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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von dem Lichte.
sich nunmehr die zuvor hellen Linien in dunkle Linien
verwandelt haben
. Befinden sich also hinter einander zwei Flam-
men, deren Spektren übereinstimmende helle Linien enthalten, so
schwächt, vorausgesetzt dass die hintere Flamme eine beträchtlich
grössere Lichtintensität besitzt, das Licht der hellen Linien der vor-
dern Flamme das Licht der hellen Linien der hintern Flamme so sehr,
dass an Stelle der hellen Linien dunkle erscheinen. Es ergiebt somit
dieser Fall die merkwürdige Thatsache, dass die hellsten Strahlen der
beiden directen Spektren zu den dunkelsten Stellen desjenigen Spek-
trums werden, welches entsteht, indem die hellere Flamme durch die
dunklere hindurchtritt und so theilweise von ihr absorbirt wird. Diese
Thatsache lässt sich nur auf eine Weise erklären, nämlich so, dass
jene hellen Linien, welche mehr Licht aussenden als die andern Theile
des Spektrums, auch mehr Licht absorbiren oder, um es kurz auszu-
drücken, dass denjenigen Theilen des Spektrums, die das grösste
Emissionsvermögen besitzen, auch das grösste Absorptions-
vermögen
zukommt. In der That ist jene auffallende Erschei-
nung vollständig begreiflich, wenn man die einfache Annahme macht,
dass die Absorptionskraft des Lichtes proportional seiner Emissions-
kraft zunimmt, oder dass das Verhältniss [Formel 1] , wenn wir mit E die
Emission und mit A die Absorption bezeichnen, eine constante
Grösse ist.

Wir sind hiermit endlich zu der Erklärung der dunkeln Linien
im Sonnenspektrum selbst gekommen. Diese Linien sind eine Ab-
sorptionserscheinung. Ein verhältnissmässig unbedeutender Theil der-
selben entsteht, wie früher bemerkt wurde, durch die Absorption in
der Atmosphäre. Die meisten sind im Sonnenlicht schon vorhanden,
wenn dies von der Sonne ausstrahlt. Nun ist aber die Sonne ein
Körper, in dessen Beschaffenheit wir Bedingungungen vorfinden, die
dem Versuch mit dem Drümmond'schen Licht und der Natronflamme
in hohem Grad gleichen. Sie besteht aus einem glühenden, wahr-
scheinlich feuerflüssigen Kern von ausserordentlicher Lichtstärke und
einer lichtschwächeren Atmosphäre aus brennenden Gasen, der soge-
nannten Photosphäre. Die dunkeln Linien im Sonnenspektrum ent-
stehen also in Folge der Absorption der hellen Linien des Kerns
durch die hellen Linien der Photosphäre. Da die Körper, aus denen
der Kern besteht, sich fortwährend verflüchtigen und dann in der
Sonnenatmosphäre verbrennen, so werden sämmtliche helle Linien
beider Spektren zusammenfallen.

Nunmehr liegt der Gedanke nahe, die einzelnen Fraunhofer'schen
Linien des Sonnenspektrums mit denselben Linien der Spektren ver-
schiedener glühender Körper zu vergleichen, um die Bestandtheile zu
ermitteln, aus welchen die Sonne besteht. Wenn irgend eine dunkle

Von dem Lichte.
sich nunmehr die zuvor hellen Linien in dunkle Linien
verwandelt haben
. Befinden sich also hinter einander zwei Flam-
men, deren Spektren übereinstimmende helle Linien enthalten, so
schwächt, vorausgesetzt dass die hintere Flamme eine beträchtlich
grössere Lichtintensität besitzt, das Licht der hellen Linien der vor-
dern Flamme das Licht der hellen Linien der hintern Flamme so sehr,
dass an Stelle der hellen Linien dunkle erscheinen. Es ergiebt somit
dieser Fall die merkwürdige Thatsache, dass die hellsten Strahlen der
beiden directen Spektren zu den dunkelsten Stellen desjenigen Spek-
trums werden, welches entsteht, indem die hellere Flamme durch die
dunklere hindurchtritt und so theilweise von ihr absorbirt wird. Diese
Thatsache lässt sich nur auf eine Weise erklären, nämlich so, dass
jene hellen Linien, welche mehr Licht aussenden als die andern Theile
des Spektrums, auch mehr Licht absorbiren oder, um es kurz auszu-
drücken, dass denjenigen Theilen des Spektrums, die das grösste
Emissionsvermögen besitzen, auch das grösste Absorptions-
vermögen
zukommt. In der That ist jene auffallende Erschei-
nung vollständig begreiflich, wenn man die einfache Annahme macht,
dass die Absorptionskraft des Lichtes proportional seiner Emissions-
kraft zunimmt, oder dass das Verhältniss [Formel 1] , wenn wir mit E die
Emission und mit A die Absorption bezeichnen, eine constante
Grösse ist.

Wir sind hiermit endlich zu der Erklärung der dunkeln Linien
im Sonnenspektrum selbst gekommen. Diese Linien sind eine Ab-
sorptionserscheinung. Ein verhältnissmässig unbedeutender Theil der-
selben entsteht, wie früher bemerkt wurde, durch die Absorption in
der Atmosphäre. Die meisten sind im Sonnenlicht schon vorhanden,
wenn dies von der Sonne ausstrahlt. Nun ist aber die Sonne ein
Körper, in dessen Beschaffenheit wir Bedingungungen vorfinden, die
dem Versuch mit dem Drümmond’schen Licht und der Natronflamme
in hohem Grad gleichen. Sie besteht aus einem glühenden, wahr-
scheinlich feuerflüssigen Kern von ausserordentlicher Lichtstärke und
einer lichtschwächeren Atmosphäre aus brennenden Gasen, der soge-
nannten Photosphäre. Die dunkeln Linien im Sonnenspektrum ent-
stehen also in Folge der Absorption der hellen Linien des Kerns
durch die hellen Linien der Photosphäre. Da die Körper, aus denen
der Kern besteht, sich fortwährend verflüchtigen und dann in der
Sonnenatmosphäre verbrennen, so werden sämmtliche helle Linien
beider Spektren zusammenfallen.

Nunmehr liegt der Gedanke nahe, die einzelnen Fraunhofer’schen
Linien des Sonnenspektrums mit denselben Linien der Spektren ver-
schiedener glühender Körper zu vergleichen, um die Bestandtheile zu
ermitteln, aus welchen die Sonne besteht. Wenn irgend eine dunkle

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[256/0278] Von dem Lichte. sich nunmehr die zuvor hellen Linien in dunkle Linien verwandelt haben. Befinden sich also hinter einander zwei Flam- men, deren Spektren übereinstimmende helle Linien enthalten, so schwächt, vorausgesetzt dass die hintere Flamme eine beträchtlich grössere Lichtintensität besitzt, das Licht der hellen Linien der vor- dern Flamme das Licht der hellen Linien der hintern Flamme so sehr, dass an Stelle der hellen Linien dunkle erscheinen. Es ergiebt somit dieser Fall die merkwürdige Thatsache, dass die hellsten Strahlen der beiden directen Spektren zu den dunkelsten Stellen desjenigen Spek- trums werden, welches entsteht, indem die hellere Flamme durch die dunklere hindurchtritt und so theilweise von ihr absorbirt wird. Diese Thatsache lässt sich nur auf eine Weise erklären, nämlich so, dass jene hellen Linien, welche mehr Licht aussenden als die andern Theile des Spektrums, auch mehr Licht absorbiren oder, um es kurz auszu- drücken, dass denjenigen Theilen des Spektrums, die das grösste Emissionsvermögen besitzen, auch das grösste Absorptions- vermögen zukommt. In der That ist jene auffallende Erschei- nung vollständig begreiflich, wenn man die einfache Annahme macht, dass die Absorptionskraft des Lichtes proportional seiner Emissions- kraft zunimmt, oder dass das Verhältniss [FORMEL], wenn wir mit E die Emission und mit A die Absorption bezeichnen, eine constante Grösse ist. Wir sind hiermit endlich zu der Erklärung der dunkeln Linien im Sonnenspektrum selbst gekommen. Diese Linien sind eine Ab- sorptionserscheinung. Ein verhältnissmässig unbedeutender Theil der- selben entsteht, wie früher bemerkt wurde, durch die Absorption in der Atmosphäre. Die meisten sind im Sonnenlicht schon vorhanden, wenn dies von der Sonne ausstrahlt. Nun ist aber die Sonne ein Körper, in dessen Beschaffenheit wir Bedingungungen vorfinden, die dem Versuch mit dem Drümmond’schen Licht und der Natronflamme in hohem Grad gleichen. Sie besteht aus einem glühenden, wahr- scheinlich feuerflüssigen Kern von ausserordentlicher Lichtstärke und einer lichtschwächeren Atmosphäre aus brennenden Gasen, der soge- nannten Photosphäre. Die dunkeln Linien im Sonnenspektrum ent- stehen also in Folge der Absorption der hellen Linien des Kerns durch die hellen Linien der Photosphäre. Da die Körper, aus denen der Kern besteht, sich fortwährend verflüchtigen und dann in der Sonnenatmosphäre verbrennen, so werden sämmtliche helle Linien beider Spektren zusammenfallen. Nunmehr liegt der Gedanke nahe, die einzelnen Fraunhofer’schen Linien des Sonnenspektrums mit denselben Linien der Spektren ver- schiedener glühender Körper zu vergleichen, um die Bestandtheile zu ermitteln, aus welchen die Sonne besteht. Wenn irgend eine dunkle

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/278>, abgerufen am 16.07.2024.