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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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I. Die psychischen Elemente.
logischen oder unmittelbaren Erfahrung angehören, beide
also unvergleichbar mit einander sind. Wohl aber besteht
nothwendig in dem Sinne ein Wechselverhältniss zwischen
den Empfindungen und den physiologischen Reizungs-
vorgängen, dass verschiedenen Empfindungen stets verschie-
dene Reizungsvorgänge entsprechen müssen. Dieser Satz
von dem Parallelismus der Empfindungsunterschiede
und der physiologischen Reizungsunterschiede
ist
ein wichtiges Hülfsprincip sowohl der psychologischen wie
der physiologischen Empfindungslehre, von dem man in der
ersteren Gebrauch macht, um mittelst willkürlicher Variation
der Reize bestimmte Veränderungen der Empfindung hervor-
zubringen, und dessen man sich in der letzteren bedient, um
aus der Gleichheit oder Verschiedenheit der Empfindungen
auf die Gleichheit oder Verschiedenheit der physiologischen
Reizungsvorgänge zurückzuschließen. Das nämliche Princip
bildet überdies die Grundlage sowohl unserer praktischen
Lebenserfahrung wie unserer theoretischen Erkenntniss der
Außenwelt.

A. Die Empfindungen des allgemeinen Sinnes.

6. Der Begriff des "allgemeinen Sinnes" hat eine zeit-
liche und eine räumliche Bedeutung. Der Zeit nach ist der
allgemeine Sinn derjenige, der allen andern vorausgeht.
und der deshalb allein allen beseelten Wesen zukommt.
Räumlich unterscheidet sich der allgemeine Sinn dadurch
von den besonderen Sinnen, dass er die ausgebreitetste
Reizen zugängliche Sinnesfläche hat. Er umfasst nicht bloß
die ganze äußere Haut mit den an sie angrenzenden Schleim-
hauttheilen der Körperhöhlen, sondern auch eine große
Zahl innerer Organe, wie die Gelenke, Muskeln, Sehnen.
Knochen u. s. w., in denen sich sensible Nerven ausbreiten.
und die entweder fortwährend oder, wie z. B. die Knochen,

I. Die psychischen Elemente.
logischen oder unmittelbaren Erfahrung angehören, beide
also unvergleichbar mit einander sind. Wohl aber besteht
nothwendig in dem Sinne ein Wechselverhältniss zwischen
den Empfindungen und den physiologischen Reizungs-
vorgängen, dass verschiedenen Empfindungen stets verschie-
dene Reizungsvorgänge entsprechen müssen. Dieser Satz
von dem Parallelismus der Empfindungsunterschiede
und der physiologischen Reizungsunterschiede
ist
ein wichtiges Hülfsprincip sowohl der psychologischen wie
der physiologischen Empfindungslehre, von dem man in der
ersteren Gebrauch macht, um mittelst willkürlicher Variation
der Reize bestimmte Veränderungen der Empfindung hervor-
zubringen, und dessen man sich in der letzteren bedient, um
aus der Gleichheit oder Verschiedenheit der Empfindungen
auf die Gleichheit oder Verschiedenheit der physiologischen
Reizungsvorgänge zurückzuschließen. Das nämliche Princip
bildet überdies die Grundlage sowohl unserer praktischen
Lebenserfahrung wie unserer theoretischen Erkenntniss der
Außenwelt.

A. Die Empfindungen des allgemeinen Sinnes.

6. Der Begriff des »allgemeinen Sinnes« hat eine zeit-
liche und eine räumliche Bedeutung. Der Zeit nach ist der
allgemeine Sinn derjenige, der allen andern vorausgeht.
und der deshalb allein allen beseelten Wesen zukommt.
Räumlich unterscheidet sich der allgemeine Sinn dadurch
von den besonderen Sinnen, dass er die ausgebreitetste
Reizen zugängliche Sinnesfläche hat. Er umfasst nicht bloß
die ganze äußere Haut mit den an sie angrenzenden Schleim-
hauttheilen der Körperhöhlen, sondern auch eine große
Zahl innerer Organe, wie die Gelenke, Muskeln, Sehnen.
Knochen u. s. w., in denen sich sensible Nerven ausbreiten.
und die entweder fortwährend oder, wie z. B. die Knochen,

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[54/0070] I. Die psychischen Elemente. logischen oder unmittelbaren Erfahrung angehören, beide also unvergleichbar mit einander sind. Wohl aber besteht nothwendig in dem Sinne ein Wechselverhältniss zwischen den Empfindungen und den physiologischen Reizungs- vorgängen, dass verschiedenen Empfindungen stets verschie- dene Reizungsvorgänge entsprechen müssen. Dieser Satz von dem Parallelismus der Empfindungsunterschiede und der physiologischen Reizungsunterschiede ist ein wichtiges Hülfsprincip sowohl der psychologischen wie der physiologischen Empfindungslehre, von dem man in der ersteren Gebrauch macht, um mittelst willkürlicher Variation der Reize bestimmte Veränderungen der Empfindung hervor- zubringen, und dessen man sich in der letzteren bedient, um aus der Gleichheit oder Verschiedenheit der Empfindungen auf die Gleichheit oder Verschiedenheit der physiologischen Reizungsvorgänge zurückzuschließen. Das nämliche Princip bildet überdies die Grundlage sowohl unserer praktischen Lebenserfahrung wie unserer theoretischen Erkenntniss der Außenwelt. A. Die Empfindungen des allgemeinen Sinnes. 6. Der Begriff des »allgemeinen Sinnes« hat eine zeit- liche und eine räumliche Bedeutung. Der Zeit nach ist der allgemeine Sinn derjenige, der allen andern vorausgeht. und der deshalb allein allen beseelten Wesen zukommt. Räumlich unterscheidet sich der allgemeine Sinn dadurch von den besonderen Sinnen, dass er die ausgebreitetste Reizen zugängliche Sinnesfläche hat. Er umfasst nicht bloß die ganze äußere Haut mit den an sie angrenzenden Schleim- hauttheilen der Körperhöhlen, sondern auch eine große Zahl innerer Organe, wie die Gelenke, Muskeln, Sehnen. Knochen u. s. w., in denen sich sensible Nerven ausbreiten. und die entweder fortwährend oder, wie z. B. die Knochen,

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/70>, abgerufen am 03.05.2024.