Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Die psychischen Entwicklungen.
zelnen Mitgliedern einer Gemeinschaft erzeugten Ausdrucks-
bewegungen, von denen diejenigen der Sprachorgane unter
dem Einfluss des Strebens nach Mittheilung vor den andern
den Vorzug gewinnen, und in die hieran sich anschließenden
Associationen zwischen Laut und Vorstellung, die sich all-
mählich befestigen und zugleich von ihren anfänglichen
Entstehungscentren aus über größere Kreise der redenden
Gemeinschaft verbreiten.

5. In die Entstehung der Sprache greifen dann aber
von Anfang an weitere physische und psychische Beding-
ungen ein, die stetige und unablässige Veränderungen ihrer
Bestandtheile hervorbringen. Solcher Veränderungen lassen
sich zwei unterscheiden: der Lautwandel und der Be-
deutungswandel
.

Der erstere hat seine physiologische Ursache in den
allmählich in der physischen Disposition der Sprachorgane
eintretenden Aenderungen. Diese sind aber jedenfalls zum
großen Theil wieder physisch oder psycho-physisch bedingt,
da sie theils aus allgemeinen Aenderungen, die der Wechsel
der Natur- und Culturbedingungen in der physischen Or-
ganisation hervorbringt, theils aus den speciellen Beding-
ungen hervorgehen, welche die zunehmende Uebung für die
Articulationsbewegungen mit sich führt. In letzterer Be-
ziehung scheint, wie manche Erscheinungen lehren, nament-
lich die allmählich zunehmende Geschwindigkeit der Arti-
culationsbewegungen einen großen Einfluss auszuüben. Zu-
dem wirken die verschiedenen, irgendwie einander analogen
Bestandtheile des Wortschatzes auf einander in einer Weise
ein, die auf das Eingreifen des psychischen Factors der
Association hinweist.

Wie der Lautwandel das äußere Gerüste, so verändert
der Bedeutungswandel den inneren Gehalt der Wörter. Die
ursprüngliche Association zwischen dem Wort und der durch

IV. Die psychischen Entwicklungen.
zelnen Mitgliedern einer Gemeinschaft erzeugten Ausdrucks-
bewegungen, von denen diejenigen der Sprachorgane unter
dem Einfluss des Strebens nach Mittheilung vor den andern
den Vorzug gewinnen, und in die hieran sich anschließenden
Associationen zwischen Laut und Vorstellung, die sich all-
mählich befestigen und zugleich von ihren anfänglichen
Entstehungscentren aus über größere Kreise der redenden
Gemeinschaft verbreiten.

5. In die Entstehung der Sprache greifen dann aber
von Anfang an weitere physische und psychische Beding-
ungen ein, die stetige und unablässige Veränderungen ihrer
Bestandtheile hervorbringen. Solcher Veränderungen lassen
sich zwei unterscheiden: der Lautwandel und der Be-
deutungswandel
.

Der erstere hat seine physiologische Ursache in den
allmählich in der physischen Disposition der Sprachorgane
eintretenden Aenderungen. Diese sind aber jedenfalls zum
großen Theil wieder physisch oder psycho-physisch bedingt,
da sie theils aus allgemeinen Aenderungen, die der Wechsel
der Natur- und Culturbedingungen in der physischen Or-
ganisation hervorbringt, theils aus den speciellen Beding-
ungen hervorgehen, welche die zunehmende Uebung für die
Articulationsbewegungen mit sich führt. In letzterer Be-
ziehung scheint, wie manche Erscheinungen lehren, nament-
lich die allmählich zunehmende Geschwindigkeit der Arti-
culationsbewegungen einen großen Einfluss auszuüben. Zu-
dem wirken die verschiedenen, irgendwie einander analogen
Bestandtheile des Wortschatzes auf einander in einer Weise
ein, die auf das Eingreifen des psychischen Factors der
Association hinweist.

Wie der Lautwandel das äußere Gerüste, so verändert
der Bedeutungswandel den inneren Gehalt der Wörter. Die
ursprüngliche Association zwischen dem Wort und der durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0368" n="352"/><fw place="top" type="header">IV. Die psychischen Entwicklungen.</fw><lb/>
zelnen Mitgliedern einer Gemeinschaft erzeugten Ausdrucks-<lb/>
bewegungen, von denen diejenigen der Sprachorgane unter<lb/>
dem Einfluss des Strebens nach Mittheilung vor den andern<lb/>
den Vorzug gewinnen, und in die hieran sich anschließenden<lb/>
Associationen zwischen Laut und Vorstellung, die sich all-<lb/>
mählich befestigen und zugleich von ihren anfänglichen<lb/>
Entstehungscentren aus über größere Kreise der redenden<lb/>
Gemeinschaft verbreiten.</p><lb/>
            <p>5. In die Entstehung der Sprache greifen dann aber<lb/>
von Anfang an weitere physische und psychische Beding-<lb/>
ungen ein, die stetige und unablässige Veränderungen ihrer<lb/>
Bestandtheile hervorbringen. Solcher Veränderungen lassen<lb/>
sich <hi rendition="#g">zwei</hi> unterscheiden: der <hi rendition="#g">Lautwandel</hi> und der <hi rendition="#g">Be-<lb/>
deutungswandel</hi>.</p><lb/>
            <p>Der erstere hat seine physiologische Ursache in den<lb/>
allmählich in der physischen Disposition der Sprachorgane<lb/>
eintretenden Aenderungen. Diese sind aber jedenfalls zum<lb/>
großen Theil wieder physisch oder psycho-physisch bedingt,<lb/>
da sie theils aus allgemeinen Aenderungen, die der Wechsel<lb/>
der Natur- und Culturbedingungen in der physischen Or-<lb/>
ganisation hervorbringt, theils aus den speciellen Beding-<lb/>
ungen hervorgehen, welche die zunehmende Uebung für die<lb/>
Articulationsbewegungen mit sich führt. In letzterer Be-<lb/>
ziehung scheint, wie manche Erscheinungen lehren, nament-<lb/>
lich die allmählich zunehmende Geschwindigkeit der Arti-<lb/>
culationsbewegungen einen großen Einfluss auszuüben. Zu-<lb/>
dem wirken die verschiedenen, irgendwie einander analogen<lb/>
Bestandtheile des Wortschatzes auf einander in einer Weise<lb/>
ein, die auf das Eingreifen des psychischen Factors der<lb/>
Association hinweist.</p><lb/>
            <p>Wie der Lautwandel das äußere Gerüste, so verändert<lb/>
der Bedeutungswandel den inneren Gehalt der Wörter. Die<lb/>
ursprüngliche Association zwischen dem Wort und der durch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0368] IV. Die psychischen Entwicklungen. zelnen Mitgliedern einer Gemeinschaft erzeugten Ausdrucks- bewegungen, von denen diejenigen der Sprachorgane unter dem Einfluss des Strebens nach Mittheilung vor den andern den Vorzug gewinnen, und in die hieran sich anschließenden Associationen zwischen Laut und Vorstellung, die sich all- mählich befestigen und zugleich von ihren anfänglichen Entstehungscentren aus über größere Kreise der redenden Gemeinschaft verbreiten. 5. In die Entstehung der Sprache greifen dann aber von Anfang an weitere physische und psychische Beding- ungen ein, die stetige und unablässige Veränderungen ihrer Bestandtheile hervorbringen. Solcher Veränderungen lassen sich zwei unterscheiden: der Lautwandel und der Be- deutungswandel. Der erstere hat seine physiologische Ursache in den allmählich in der physischen Disposition der Sprachorgane eintretenden Aenderungen. Diese sind aber jedenfalls zum großen Theil wieder physisch oder psycho-physisch bedingt, da sie theils aus allgemeinen Aenderungen, die der Wechsel der Natur- und Culturbedingungen in der physischen Or- ganisation hervorbringt, theils aus den speciellen Beding- ungen hervorgehen, welche die zunehmende Uebung für die Articulationsbewegungen mit sich führt. In letzterer Be- ziehung scheint, wie manche Erscheinungen lehren, nament- lich die allmählich zunehmende Geschwindigkeit der Arti- culationsbewegungen einen großen Einfluss auszuüben. Zu- dem wirken die verschiedenen, irgendwie einander analogen Bestandtheile des Wortschatzes auf einander in einer Weise ein, die auf das Eingreifen des psychischen Factors der Association hinweist. Wie der Lautwandel das äußere Gerüste, so verändert der Bedeutungswandel den inneren Gehalt der Wörter. Die ursprüngliche Association zwischen dem Wort und der durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/368
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/368>, abgerufen am 12.05.2024.