Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. schiedenen Eindrücken willkürlich zu wechseln, also dieerste Spur einer activen Aufmerksamkeit. Von nun an bildet sich dann diese Fähigkeit langsam weiter aus, so jedoch, dass noch in dem späteren Kindesalter die Auf- merksamkeit viel schneller ermüdet als beim Erwachsenen und theils einen größeren Wechsel der Gegenstände theils häufigere Ruhepausen verlangt. 6. Mit der Entwicklung der Associationen und Apper- Wundt, Psychologie. 22
§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. schiedenen Eindrücken willkürlich zu wechseln, also dieerste Spur einer activen Aufmerksamkeit. Von nun an bildet sich dann diese Fähigkeit langsam weiter aus, so jedoch, dass noch in dem späteren Kindesalter die Auf- merksamkeit viel schneller ermüdet als beim Erwachsenen und theils einen größeren Wechsel der Gegenstände theils häufigere Ruhepausen verlangt. 6. Mit der Entwicklung der Associationen und Apper- Wundt, Psychologie. 22
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0353" n="337"/><fw place="top" type="header">§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.</fw><lb/> schiedenen Eindrücken willkürlich zu wechseln, also die<lb/> erste Spur einer <hi rendition="#g">activen</hi> Aufmerksamkeit. Von nun an<lb/> bildet sich dann diese Fähigkeit langsam weiter aus, so<lb/> jedoch, dass noch in dem späteren Kindesalter die Auf-<lb/> merksamkeit viel schneller ermüdet als beim Erwachsenen<lb/> und theils einen größeren Wechsel der Gegenstände theils<lb/> häufigere Ruhepausen verlangt.</p><lb/> <p>6. Mit der Entwicklung der Associationen und Apper-<lb/> ceptionen hält die des <hi rendition="#g">Selbstbewusstseins</hi> gleichen<lb/> Schritt. Bei der Beurtheilung dieser Entwicklung muss man<lb/> sich hüten, irgend welche einzelne Symptome, wie die<lb/> Unterscheidung der Theile des eigenen Leibes von Gegen-<lb/> ständen der Umgebung, den Gebrauch des Wortes »Ich«<lb/> oder gar die richtige Erkennung des eigenen Bildes im<lb/> Spiegels u. ähnl., für Kennzeichen des Selbstbewusstseins<lb/> anzusehen. Das Bild im Spiegel hält auch der erwachsene<lb/> Wilde, wenn er es noch nie gesehen, für die Person eines<lb/> Andern. Der Gebrauch des persönlichen Pronomens beruht<lb/> auf einer äußeren Aneignung, bei der das Kind dem Bei-<lb/> spiel seiner Umgebung folgt. Diese Aneignung tritt bei<lb/> sonst gleicher geistiger Entwicklung bei verschiedenen Kin-<lb/> dern zu sehr verschiedener Zeit ein; und jedenfalls ist sie<lb/> das Symptom eines bereits vorhandenen Selbstbewusstseins,<lb/> dessen erste Entstehung demnach dieser sprachlichen Unter-<lb/> scheidung bald kürzere bald längere Zeit vorausgehen kann.<lb/> Nur ein solches Symptom ist endlich auch die Unter-<lb/> scheidung der Theile des eigenen Leibes von andern Gegen-<lb/> ständen. Die Erkennung des eigenen Leibes ist zwar ein<lb/> Vorgang, der im allgemeinen der Erkennung des Bildes im<lb/> Spiegel vorausgeht, der aber doch ebenso wenig wie diese<lb/> ein Kriterium des beginnenden Selbstbewusstseins ist, son-<lb/> dern vielmehr die Existenz eines gewissen Grades desselben<lb/> schon voraussetzt. Wie noch dem entwickelten Selbst-<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Wundt</hi>, Psychologie. 22</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [337/0353]
§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.
schiedenen Eindrücken willkürlich zu wechseln, also die
erste Spur einer activen Aufmerksamkeit. Von nun an
bildet sich dann diese Fähigkeit langsam weiter aus, so
jedoch, dass noch in dem späteren Kindesalter die Auf-
merksamkeit viel schneller ermüdet als beim Erwachsenen
und theils einen größeren Wechsel der Gegenstände theils
häufigere Ruhepausen verlangt.
6. Mit der Entwicklung der Associationen und Apper-
ceptionen hält die des Selbstbewusstseins gleichen
Schritt. Bei der Beurtheilung dieser Entwicklung muss man
sich hüten, irgend welche einzelne Symptome, wie die
Unterscheidung der Theile des eigenen Leibes von Gegen-
ständen der Umgebung, den Gebrauch des Wortes »Ich«
oder gar die richtige Erkennung des eigenen Bildes im
Spiegels u. ähnl., für Kennzeichen des Selbstbewusstseins
anzusehen. Das Bild im Spiegel hält auch der erwachsene
Wilde, wenn er es noch nie gesehen, für die Person eines
Andern. Der Gebrauch des persönlichen Pronomens beruht
auf einer äußeren Aneignung, bei der das Kind dem Bei-
spiel seiner Umgebung folgt. Diese Aneignung tritt bei
sonst gleicher geistiger Entwicklung bei verschiedenen Kin-
dern zu sehr verschiedener Zeit ein; und jedenfalls ist sie
das Symptom eines bereits vorhandenen Selbstbewusstseins,
dessen erste Entstehung demnach dieser sprachlichen Unter-
scheidung bald kürzere bald längere Zeit vorausgehen kann.
Nur ein solches Symptom ist endlich auch die Unter-
scheidung der Theile des eigenen Leibes von andern Gegen-
ständen. Die Erkennung des eigenen Leibes ist zwar ein
Vorgang, der im allgemeinen der Erkennung des Bildes im
Spiegel vorausgeht, der aber doch ebenso wenig wie diese
ein Kriterium des beginnenden Selbstbewusstseins ist, son-
dern vielmehr die Existenz eines gewissen Grades desselben
schon voraussetzt. Wie noch dem entwickelten Selbst-
Wundt, Psychologie. 22
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |