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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.
Bewegungen der Hände deutliche Greifbewegungen, die aber
in der Regel erst von der 12. Woche an unter der Mit-
wirkung der Gesichtswahrnehmungen sicherer und zweck-
bewusster werden. Die meist schon nach den ersten Tagen
zu beobachtende Richtung des Auges nach einer Lichtquelle
ist, ebenso wie die allmählich eintretende Coordination der
Augenbewegungen, als Reflex zu deuten. Doch entwickeln
sich wahrscheinlich unmittelbar mit diesen Reflexen zu-
gleich räumliche Vorstellungen, so dass sich wegen der
Stetigkeit dieses Processes und seines Zusammenhanges mit
den ursprünglichen physiologischen Functionsanlagen nur
eine fortwährende Ausbildung dieser Vorstellungen von sehr
unvollkommenen Anfängen an beobachten lässt. Zugleich
erscheint schon beim Kinde der Gesichtssinn entschieden
als der dem Tastsinn vorauseilende Sinn, da Symptome der
Gesichtslocalisation jedenfalls früher zu beobachten sind als
solche der Tastlocalisation, und da sich die Greifbewegungen,
wie oben bemerkt, erst unter der Mithülfe des Gesichtssinns
entwickeln. Weit später als die in der Unterscheidung der
Richtungen des Raumes sich kundgebende Entwicklung des
Sehfeldes fällt die des binocularen Sehens. Die Anfänge
dieses Processes fallen zwar jedenfalls mit der eintretenden
Coordination der Augenbewegungen zusammen, gehören also
wohl schon der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres an.
Die Auffassung von Größen, Entfernungen und von ver-
wickelteren körperlichen Formen bleibt aber noch lange
sehr unvollkommen. Namentlich werden durchweg entfernte
Objecte für nahe gehalten, daher sie dem Kinde verhält-
nissmäßig klein erscheinen.

4. Zugleich mit den räumlichen entwickeln sich die
zeitlichen Vorstellungen. An den rhythmischen Be-
wegungen seiner Tastorgane und namentlich an der Neigung,
gehörte Rhythmen mit ähnlichen taktmäßigen Bewegungen

§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.
Bewegungen der Hände deutliche Greifbewegungen, die aber
in der Regel erst von der 12. Woche an unter der Mit-
wirkung der Gesichtswahrnehmungen sicherer und zweck-
bewusster werden. Die meist schon nach den ersten Tagen
zu beobachtende Richtung des Auges nach einer Lichtquelle
ist, ebenso wie die allmählich eintretende Coordination der
Augenbewegungen, als Reflex zu deuten. Doch entwickeln
sich wahrscheinlich unmittelbar mit diesen Reflexen zu-
gleich räumliche Vorstellungen, so dass sich wegen der
Stetigkeit dieses Processes und seines Zusammenhanges mit
den ursprünglichen physiologischen Functionsanlagen nur
eine fortwährende Ausbildung dieser Vorstellungen von sehr
unvollkommenen Anfängen an beobachten lässt. Zugleich
erscheint schon beim Kinde der Gesichtssinn entschieden
als der dem Tastsinn vorauseilende Sinn, da Symptome der
Gesichtslocalisation jedenfalls früher zu beobachten sind als
solche der Tastlocalisation, und da sich die Greifbewegungen,
wie oben bemerkt, erst unter der Mithülfe des Gesichtssinns
entwickeln. Weit später als die in der Unterscheidung der
Richtungen des Raumes sich kundgebende Entwicklung des
Sehfeldes fällt die des binocularen Sehens. Die Anfänge
dieses Processes fallen zwar jedenfalls mit der eintretenden
Coordination der Augenbewegungen zusammen, gehören also
wohl schon der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres an.
Die Auffassung von Größen, Entfernungen und von ver-
wickelteren körperlichen Formen bleibt aber noch lange
sehr unvollkommen. Namentlich werden durchweg entfernte
Objecte für nahe gehalten, daher sie dem Kinde verhält-
nissmäßig klein erscheinen.

4. Zugleich mit den räumlichen entwickeln sich die
zeitlichen Vorstellungen. An den rhythmischen Be-
wegungen seiner Tastorgane und namentlich an der Neigung,
gehörte Rhythmen mit ähnlichen taktmäßigen Bewegungen

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[335/0351] § 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. Bewegungen der Hände deutliche Greifbewegungen, die aber in der Regel erst von der 12. Woche an unter der Mit- wirkung der Gesichtswahrnehmungen sicherer und zweck- bewusster werden. Die meist schon nach den ersten Tagen zu beobachtende Richtung des Auges nach einer Lichtquelle ist, ebenso wie die allmählich eintretende Coordination der Augenbewegungen, als Reflex zu deuten. Doch entwickeln sich wahrscheinlich unmittelbar mit diesen Reflexen zu- gleich räumliche Vorstellungen, so dass sich wegen der Stetigkeit dieses Processes und seines Zusammenhanges mit den ursprünglichen physiologischen Functionsanlagen nur eine fortwährende Ausbildung dieser Vorstellungen von sehr unvollkommenen Anfängen an beobachten lässt. Zugleich erscheint schon beim Kinde der Gesichtssinn entschieden als der dem Tastsinn vorauseilende Sinn, da Symptome der Gesichtslocalisation jedenfalls früher zu beobachten sind als solche der Tastlocalisation, und da sich die Greifbewegungen, wie oben bemerkt, erst unter der Mithülfe des Gesichtssinns entwickeln. Weit später als die in der Unterscheidung der Richtungen des Raumes sich kundgebende Entwicklung des Sehfeldes fällt die des binocularen Sehens. Die Anfänge dieses Processes fallen zwar jedenfalls mit der eintretenden Coordination der Augenbewegungen zusammen, gehören also wohl schon der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres an. Die Auffassung von Größen, Entfernungen und von ver- wickelteren körperlichen Formen bleibt aber noch lange sehr unvollkommen. Namentlich werden durchweg entfernte Objecte für nahe gehalten, daher sie dem Kinde verhält- nissmäßig klein erscheinen. 4. Zugleich mit den räumlichen entwickeln sich die zeitlichen Vorstellungen. An den rhythmischen Be- wegungen seiner Tastorgane und namentlich an der Neigung, gehörte Rhythmen mit ähnlichen taktmäßigen Bewegungen

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/351>, abgerufen am 24.11.2024.