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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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IV. Die psychischen Entwicklungen.
Mannigfaltigkeit der Tonempfindungen, vielleicht auch die
der Farbenempfindungen eine beschränktere. Wenn aber
Kinder noch im zweiten Lebensjahr nicht selten Farben-
bezeichnungen verwechseln, so darf dies nicht ohne weiteres
auf einen Mangel der Empfindungen bezogen werden, son-
dern es ist viel wahrscheinlicher, dass Mangel an Aufmerk-
samkeit und Verwechslung der Farbennamen hieran die
Schuld tragen.

Augenfällig gibt sich dagegen die hauptsächlich gegen
Ende des ersten Lebensjahres erfolgende Differenzirung
der Gefühle
und die damit zusammenhängende Entwick-
lung mannigfaltiger Affecte in den allmählich entstehenden
charakteristischen Ausdrucksbewegungen kund. So treten
zu der Unlust und der Freude nach einander Erstaunen,
Erwartung, Zorn, Scham, Neid u. a. hinzu. Auch hier be-
ruht aber die Anlage zu den combinirten Bewegungen, an
denen sich die einzelnen Affecte zu erkennen geben, auf
vererbten physiologischen Eigenschaften des Nervensystems,
die nur, analog wie die combinirte Innervation der Augen-
muskeln, zumeist erst im Laufe der ersten Lebensmonate
in Function treten. Hierfür spricht namentlich auch die
Thatsache, dass sich nicht selten besondere Eigenthümlich-
keiten der Ausdrucksbewegungen in Familien vererben.

3. Zur Entstehung räumlicher Vorstellungen bringt
das Kind zwar in den vererbten Reflexverbindungen phy-
sische Anlagen zur Welt mit, die eine verhältnissmäßig
rasche Entwicklung dieser Vorstellungen ermöglichen. Aber
gerade beim Menschen scheinen doch, im Unterschiede von
vielen Thieren, die räumlichen Wahrnehmungen zunächst
noch äußerst unvollkommen zu sein. Auf Hautreize folgen
zwar Schmerzäußerungen, aber keine deutlichen Localisa-
tionssymptome. Erst allmählich entwickeln sich aus den
schon in den ersten Lebenstagen zu bemerkenden ziellosen

IV. Die psychischen Entwicklungen.
Mannigfaltigkeit der Tonempfindungen, vielleicht auch die
der Farbenempfindungen eine beschränktere. Wenn aber
Kinder noch im zweiten Lebensjahr nicht selten Farben-
bezeichnungen verwechseln, so darf dies nicht ohne weiteres
auf einen Mangel der Empfindungen bezogen werden, son-
dern es ist viel wahrscheinlicher, dass Mangel an Aufmerk-
samkeit und Verwechslung der Farbennamen hieran die
Schuld tragen.

Augenfällig gibt sich dagegen die hauptsächlich gegen
Ende des ersten Lebensjahres erfolgende Differenzirung
der Gefühle
und die damit zusammenhängende Entwick-
lung mannigfaltiger Affecte in den allmählich entstehenden
charakteristischen Ausdrucksbewegungen kund. So treten
zu der Unlust und der Freude nach einander Erstaunen,
Erwartung, Zorn, Scham, Neid u. a. hinzu. Auch hier be-
ruht aber die Anlage zu den combinirten Bewegungen, an
denen sich die einzelnen Affecte zu erkennen geben, auf
vererbten physiologischen Eigenschaften des Nervensystems,
die nur, analog wie die combinirte Innervation der Augen-
muskeln, zumeist erst im Laufe der ersten Lebensmonate
in Function treten. Hierfür spricht namentlich auch die
Thatsache, dass sich nicht selten besondere Eigenthümlich-
keiten der Ausdrucksbewegungen in Familien vererben.

3. Zur Entstehung räumlicher Vorstellungen bringt
das Kind zwar in den vererbten Reflexverbindungen phy-
sische Anlagen zur Welt mit, die eine verhältnissmäßig
rasche Entwicklung dieser Vorstellungen ermöglichen. Aber
gerade beim Menschen scheinen doch, im Unterschiede von
vielen Thieren, die räumlichen Wahrnehmungen zunächst
noch äußerst unvollkommen zu sein. Auf Hautreize folgen
zwar Schmerzäußerungen, aber keine deutlichen Localisa-
tionssymptome. Erst allmählich entwickeln sich aus den
schon in den ersten Lebenstagen zu bemerkenden ziellosen

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[334/0350] IV. Die psychischen Entwicklungen. Mannigfaltigkeit der Tonempfindungen, vielleicht auch die der Farbenempfindungen eine beschränktere. Wenn aber Kinder noch im zweiten Lebensjahr nicht selten Farben- bezeichnungen verwechseln, so darf dies nicht ohne weiteres auf einen Mangel der Empfindungen bezogen werden, son- dern es ist viel wahrscheinlicher, dass Mangel an Aufmerk- samkeit und Verwechslung der Farbennamen hieran die Schuld tragen. Augenfällig gibt sich dagegen die hauptsächlich gegen Ende des ersten Lebensjahres erfolgende Differenzirung der Gefühle und die damit zusammenhängende Entwick- lung mannigfaltiger Affecte in den allmählich entstehenden charakteristischen Ausdrucksbewegungen kund. So treten zu der Unlust und der Freude nach einander Erstaunen, Erwartung, Zorn, Scham, Neid u. a. hinzu. Auch hier be- ruht aber die Anlage zu den combinirten Bewegungen, an denen sich die einzelnen Affecte zu erkennen geben, auf vererbten physiologischen Eigenschaften des Nervensystems, die nur, analog wie die combinirte Innervation der Augen- muskeln, zumeist erst im Laufe der ersten Lebensmonate in Function treten. Hierfür spricht namentlich auch die Thatsache, dass sich nicht selten besondere Eigenthümlich- keiten der Ausdrucksbewegungen in Familien vererben. 3. Zur Entstehung räumlicher Vorstellungen bringt das Kind zwar in den vererbten Reflexverbindungen phy- sische Anlagen zur Welt mit, die eine verhältnissmäßig rasche Entwicklung dieser Vorstellungen ermöglichen. Aber gerade beim Menschen scheinen doch, im Unterschiede von vielen Thieren, die räumlichen Wahrnehmungen zunächst noch äußerst unvollkommen zu sein. Auf Hautreize folgen zwar Schmerzäußerungen, aber keine deutlichen Localisa- tionssymptome. Erst allmählich entwickeln sich aus den schon in den ersten Lebenstagen zu bemerkenden ziellosen

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/350>, abgerufen am 24.11.2024.