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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
betrachten. Dabei ist freilich bei diesem centralsten Organ
des Körpers die Functionstheilung immer nur eine relative:
jedes zusammengesetzte psychische Gebilde setzt das Zu-
sammenwirken zahlreicher Elemente und vieler Central-
gebiete voraus. Wenn die Wegnahme gewisser Gebiete der
Hirnrinde bestimmte Störungen der willkürlichen Bewegung,
der Empfindung hervorbringt oder auch die Bildung gewisser
Classen von Vorstellungen aufhebt, so kann man daraus
natürlich schließen, dass jene Gebiete Mittelglieder enthal-
ten, die in der Kette der den betreffenden psychischen Vor-
gängen parallel gehenden physischen Processe unentbehrlich
sind. Aber die häufig auf diese Erscheinungen gestützte
Annahme, es gebe im Gehirn ein abgegrenztes Organ des
Sprachvermögens, des Schreibvermögens, oder die Gesichts-,
die Klang-, die Wortvorstellungen u. s. w. seien in beson-
deren Zellen der Hirnrinde abgelagert, diese und ähnliche
Annahmen setzen nicht nur überaus rohe physiologische
Vorstellungen voraus, sondern sie sind auch mit der psycho-
logischen Analyse der Functionen absolut unverträglich.
Denn psychologisch betrachtet sind sie lediglich moderne
Erneuerungen der unglücklichsten Form der Vermögens-
theorie, der Phrenologie.

2a. Die Nachweise über die Localisation bestimmter psycho-
physischer Functionen in der Hirnrinde, die wir theils der patho-
logisch-anatomischen Beobachtung am Menschen theils dem Thier-
versuch verdanken, bestehen: 1) in der Zuordnung bestimmter
Rindengebiete zu bestimmten peripheren Sinnes- und Muskel-
gebieten: so ist die Rinde des Occipitalhirns der Retina, ein Theil
des Scheitelhirns der Tastfläche, des Schläfenhirns dem Gehörssinn
zugeordnet, die Centralherde der einzelnen Muskelgebiete liegen
im allgemeinen unmittelbar neben oder zwischen den mit ihnen
in functioneller Beziehung stehenden Sinnescentren; 2) in der
Nachweisung complicirterer Störungen bei der Functionsaufhebung
gewisser anderer Rindengebiete, die nicht direct mit peripheren

III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
betrachten. Dabei ist freilich bei diesem centralsten Organ
des Körpers die Functionstheilung immer nur eine relative:
jedes zusammengesetzte psychische Gebilde setzt das Zu-
sammenwirken zahlreicher Elemente und vieler Central-
gebiete voraus. Wenn die Wegnahme gewisser Gebiete der
Hirnrinde bestimmte Störungen der willkürlichen Bewegung,
der Empfindung hervorbringt oder auch die Bildung gewisser
Classen von Vorstellungen aufhebt, so kann man daraus
natürlich schließen, dass jene Gebiete Mittelglieder enthal-
ten, die in der Kette der den betreffenden psychischen Vor-
gängen parallel gehenden physischen Processe unentbehrlich
sind. Aber die häufig auf diese Erscheinungen gestützte
Annahme, es gebe im Gehirn ein abgegrenztes Organ des
Sprachvermögens, des Schreibvermögens, oder die Gesichts-,
die Klang-, die Wortvorstellungen u. s. w. seien in beson-
deren Zellen der Hirnrinde abgelagert, diese und ähnliche
Annahmen setzen nicht nur überaus rohe physiologische
Vorstellungen voraus, sondern sie sind auch mit der psycho-
logischen Analyse der Functionen absolut unverträglich.
Denn psychologisch betrachtet sind sie lediglich moderne
Erneuerungen der unglücklichsten Form der Vermögens-
theorie, der Phrenologie.

2a. Die Nachweise über die Localisation bestimmter psycho-
physischer Functionen in der Hirnrinde, die wir theils der patho-
logisch-anatomischen Beobachtung am Menschen theils dem Thier-
versuch verdanken, bestehen: 1) in der Zuordnung bestimmter
Rindengebiete zu bestimmten peripheren Sinnes- und Muskel-
gebieten: so ist die Rinde des Occipitalhirns der Retina, ein Theil
des Scheitelhirns der Tastfläche, des Schläfenhirns dem Gehörssinn
zugeordnet, die Centralherde der einzelnen Muskelgebiete liegen
im allgemeinen unmittelbar neben oder zwischen den mit ihnen
in functioneller Beziehung stehenden Sinnescentren; 2) in der
Nachweisung complicirterer Störungen bei der Functionsaufhebung
gewisser anderer Rindengebiete, die nicht direct mit peripheren

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[240/0256] III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde. betrachten. Dabei ist freilich bei diesem centralsten Organ des Körpers die Functionstheilung immer nur eine relative: jedes zusammengesetzte psychische Gebilde setzt das Zu- sammenwirken zahlreicher Elemente und vieler Central- gebiete voraus. Wenn die Wegnahme gewisser Gebiete der Hirnrinde bestimmte Störungen der willkürlichen Bewegung, der Empfindung hervorbringt oder auch die Bildung gewisser Classen von Vorstellungen aufhebt, so kann man daraus natürlich schließen, dass jene Gebiete Mittelglieder enthal- ten, die in der Kette der den betreffenden psychischen Vor- gängen parallel gehenden physischen Processe unentbehrlich sind. Aber die häufig auf diese Erscheinungen gestützte Annahme, es gebe im Gehirn ein abgegrenztes Organ des Sprachvermögens, des Schreibvermögens, oder die Gesichts-, die Klang-, die Wortvorstellungen u. s. w. seien in beson- deren Zellen der Hirnrinde abgelagert, diese und ähnliche Annahmen setzen nicht nur überaus rohe physiologische Vorstellungen voraus, sondern sie sind auch mit der psycho- logischen Analyse der Functionen absolut unverträglich. Denn psychologisch betrachtet sind sie lediglich moderne Erneuerungen der unglücklichsten Form der Vermögens- theorie, der Phrenologie. 2a. Die Nachweise über die Localisation bestimmter psycho- physischer Functionen in der Hirnrinde, die wir theils der patho- logisch-anatomischen Beobachtung am Menschen theils dem Thier- versuch verdanken, bestehen: 1) in der Zuordnung bestimmter Rindengebiete zu bestimmten peripheren Sinnes- und Muskel- gebieten: so ist die Rinde des Occipitalhirns der Retina, ein Theil des Scheitelhirns der Tastfläche, des Schläfenhirns dem Gehörssinn zugeordnet, die Centralherde der einzelnen Muskelgebiete liegen im allgemeinen unmittelbar neben oder zwischen den mit ihnen in functioneller Beziehung stehenden Sinnescentren; 2) in der Nachweisung complicirterer Störungen bei der Functionsaufhebung gewisser anderer Rindengebiete, die nicht direct mit peripheren

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/256>, abgerufen am 23.11.2024.