Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Die psychischen Gebilde.
bestehen, wobei je nach Umständen bald das eine bald
das andere vorherrschen kann. Da die Eigenthümlichkeit
derartiger Gefühle auf der Verbindung entgegengesetzter
Partialgefühle beruht, so können sie Contrastgefühle
genannt werden. Eine einfache Form eines solchen Con-
trastgefühls unter den Gemeingefühlen ist das Kitzel-
gefühl
, das sich aus einem schwache äußere Tastempfin-
dungen begleitenden Lustgefühl und aus den an die Muskel-
empfindungen gebundenen Gefühlen zusammensetzt, welche
durch die von den Tastreizen ausgelösten Reflexkrämpfe
entstehen. Indem sich diese Reflexkrämpfe mehr oder
weniger weit verbreiten und häufig zugleich durch die Irra-
diation auf das Zwerchfell Athmungshemmungen herbei-
führen, kann das resultirende Gefühl in einzelnen Fällen
nach Intensität, Umfang und Zusammensetzung außerordent-
lich variiren.

7. Die zusammengesetzten Gefühle im Gebiet des Ge-
sichts- und Gehörssinns pflegt man auch als ästhetische
Elementargefühle
zu bezeichnen, ein Ausdruck, welcher
an und für sich alle Gefühle umfasst, die an zusammen-
gesetzte Wahrnehmungen gebunden und deshalb selbst zu-
sammengesetzt sind. Zu der Classe dieser nach dem Begriff
der aisthesis im weiteren Sinne benannten Gefühle gehören
dann aber insbesondere diejenigen, die als Elemente ästhe-
tischer Wirkungen in dem engeren Sinne dieses Wortes
vorkommen. Der Begriff des Elementaren bezieht sich dem-
nach bei diesen Gefühlen nicht auf die Gefühle selbst, die
durchaus nicht einfach sind, sondern er soll nur einen rela-
tiven Gegensatz zu den noch weit zusammengesetzteren
höheren ästhetischen Gefühlen ausdrücken.

Die Wahrnehmungsgefühle oder ästhetischen Elemen-
targefühle des Gesichts- und Gehörssinns können uns zu-
gleich als Repräsentanten aller weiteren im Verlauf der

II. Die psychischen Gebilde.
bestehen, wobei je nach Umständen bald das eine bald
das andere vorherrschen kann. Da die Eigenthümlichkeit
derartiger Gefühle auf der Verbindung entgegengesetzter
Partialgefühle beruht, so können sie Contrastgefühle
genannt werden. Eine einfache Form eines solchen Con-
trastgefühls unter den Gemeingefühlen ist das Kitzel-
gefühl
, das sich aus einem schwache äußere Tastempfin-
dungen begleitenden Lustgefühl und aus den an die Muskel-
empfindungen gebundenen Gefühlen zusammensetzt, welche
durch die von den Tastreizen ausgelösten Reflexkrämpfe
entstehen. Indem sich diese Reflexkrämpfe mehr oder
weniger weit verbreiten und häufig zugleich durch die Irra-
diation auf das Zwerchfell Athmungshemmungen herbei-
führen, kann das resultirende Gefühl in einzelnen Fällen
nach Intensität, Umfang und Zusammensetzung außerordent-
lich variiren.

7. Die zusammengesetzten Gefühle im Gebiet des Ge-
sichts- und Gehörssinns pflegt man auch als ästhetische
Elementargefühle
zu bezeichnen, ein Ausdruck, welcher
an und für sich alle Gefühle umfasst, die an zusammen-
gesetzte Wahrnehmungen gebunden und deshalb selbst zu-
sammengesetzt sind. Zu der Classe dieser nach dem Begriff
der αἴσθησις im weiteren Sinne benannten Gefühle gehören
dann aber insbesondere diejenigen, die als Elemente ästhe-
tischer Wirkungen in dem engeren Sinne dieses Wortes
vorkommen. Der Begriff des Elementaren bezieht sich dem-
nach bei diesen Gefühlen nicht auf die Gefühle selbst, die
durchaus nicht einfach sind, sondern er soll nur einen rela-
tiven Gegensatz zu den noch weit zusammengesetzteren
höheren ästhetischen Gefühlen ausdrücken.

Die Wahrnehmungsgefühle oder ästhetischen Elemen-
targefühle des Gesichts- und Gehörssinns können uns zu-
gleich als Repräsentanten aller weiteren im Verlauf der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="192"/><fw place="top" type="header">II. Die psychischen Gebilde.</fw><lb/>
bestehen, wobei je nach Umständen bald das eine bald<lb/>
das andere vorherrschen kann. Da die Eigenthümlichkeit<lb/>
derartiger Gefühle auf der Verbindung entgegengesetzter<lb/>
Partialgefühle beruht, so können sie <hi rendition="#g">Contrastgefühle</hi><lb/>
genannt werden. Eine einfache Form eines solchen Con-<lb/>
trastgefühls unter den Gemeingefühlen ist das <hi rendition="#g">Kitzel-<lb/>
gefühl</hi>, das sich aus einem schwache äußere Tastempfin-<lb/>
dungen begleitenden Lustgefühl und aus den an die Muskel-<lb/>
empfindungen gebundenen Gefühlen zusammensetzt, welche<lb/>
durch die von den Tastreizen ausgelösten Reflexkrämpfe<lb/>
entstehen. Indem sich diese Reflexkrämpfe mehr oder<lb/>
weniger weit verbreiten und häufig zugleich durch die Irra-<lb/>
diation auf das Zwerchfell Athmungshemmungen herbei-<lb/>
führen, kann das resultirende Gefühl in einzelnen Fällen<lb/>
nach Intensität, Umfang und Zusammensetzung außerordent-<lb/>
lich variiren.</p><lb/>
          <p>7. Die zusammengesetzten Gefühle im Gebiet des Ge-<lb/>
sichts- und Gehörssinns pflegt man auch als <hi rendition="#g">ästhetische<lb/>
Elementargefühle</hi> zu bezeichnen, ein Ausdruck, welcher<lb/>
an und für sich alle Gefühle umfasst, die an zusammen-<lb/>
gesetzte Wahrnehmungen gebunden und deshalb selbst zu-<lb/>
sammengesetzt sind. Zu der Classe dieser nach dem Begriff<lb/>
der &#x03B1;&#x1F34;&#x03C3;&#x03B8;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2; im weiteren Sinne benannten Gefühle gehören<lb/>
dann aber insbesondere diejenigen, die als Elemente ästhe-<lb/>
tischer Wirkungen in dem engeren Sinne dieses Wortes<lb/>
vorkommen. Der Begriff des Elementaren bezieht sich dem-<lb/>
nach bei diesen Gefühlen nicht auf die Gefühle selbst, die<lb/>
durchaus nicht einfach sind, sondern er soll nur einen rela-<lb/>
tiven Gegensatz zu den noch weit zusammengesetzteren<lb/>
höheren ästhetischen Gefühlen ausdrücken.</p><lb/>
          <p>Die Wahrnehmungsgefühle oder ästhetischen Elemen-<lb/>
targefühle des Gesichts- und Gehörssinns können uns zu-<lb/>
gleich als Repräsentanten aller weiteren im Verlauf der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0208] II. Die psychischen Gebilde. bestehen, wobei je nach Umständen bald das eine bald das andere vorherrschen kann. Da die Eigenthümlichkeit derartiger Gefühle auf der Verbindung entgegengesetzter Partialgefühle beruht, so können sie Contrastgefühle genannt werden. Eine einfache Form eines solchen Con- trastgefühls unter den Gemeingefühlen ist das Kitzel- gefühl, das sich aus einem schwache äußere Tastempfin- dungen begleitenden Lustgefühl und aus den an die Muskel- empfindungen gebundenen Gefühlen zusammensetzt, welche durch die von den Tastreizen ausgelösten Reflexkrämpfe entstehen. Indem sich diese Reflexkrämpfe mehr oder weniger weit verbreiten und häufig zugleich durch die Irra- diation auf das Zwerchfell Athmungshemmungen herbei- führen, kann das resultirende Gefühl in einzelnen Fällen nach Intensität, Umfang und Zusammensetzung außerordent- lich variiren. 7. Die zusammengesetzten Gefühle im Gebiet des Ge- sichts- und Gehörssinns pflegt man auch als ästhetische Elementargefühle zu bezeichnen, ein Ausdruck, welcher an und für sich alle Gefühle umfasst, die an zusammen- gesetzte Wahrnehmungen gebunden und deshalb selbst zu- sammengesetzt sind. Zu der Classe dieser nach dem Begriff der αἴσθησις im weiteren Sinne benannten Gefühle gehören dann aber insbesondere diejenigen, die als Elemente ästhe- tischer Wirkungen in dem engeren Sinne dieses Wortes vorkommen. Der Begriff des Elementaren bezieht sich dem- nach bei diesen Gefühlen nicht auf die Gefühle selbst, die durchaus nicht einfach sind, sondern er soll nur einen rela- tiven Gegensatz zu den noch weit zusammengesetzteren höheren ästhetischen Gefühlen ausdrücken. Die Wahrnehmungsgefühle oder ästhetischen Elemen- targefühle des Gesichts- und Gehörssinns können uns zu- gleich als Repräsentanten aller weiteren im Verlauf der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/208
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/208>, abgerufen am 07.05.2024.