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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
intellectuellen Processe auftretenden zusammengesetzten Ge-
fühle, wie der logischen, der moralischen, der höheren
ästhetischen, dienen. Denn ihrer allgemeinen psychologischen
Structur nach gleichen solche verwickeltere Gefühlsformen
durchaus den einfacheren Wahrnehmungsgefühlen; nur ver-
binden sich jene stets noch mit Gefühlen und Affecten, die
aus dem gesammten Zusammenhang der psychischen Pro-
cesse hervorgehen.

Während die Gegensätze, zwischen denen sich die Ge-
meingefühle bewegen, vorwiegend jenen Qualitäten der Ge-
fühle angehören, die wir durch die Ausdrücke Lust und
Unlust bezeichnen, lassen sich auf die ästhetischen Elemen-
targefühle zunächst die in die nämliche Gefühlsrichtung
fallenden, aber ihrer Bedeutung nach objectiveren, nicht
das eigene Wohl- oder Uebelbefinden, sondern das Verhält-
niss der Gegenstände zum vorstellenden Subject zum Aus-
druck bringenden Gegensätze des Gefallens und Miss-
fallens
anwenden. Hier ist es freilich noch augenfälliger
als bei Lust und Unlust, dass diese Gegensatzbegriffe nicht
selbst Einzelgefühle bezeichnen, sondern nur auf die all-
gemeinen Richtungen hinweisen, nach denen sich die im
einzelnen unendlich mannigfaltigen und bei jeder indivi-
duellen Vorstellung eigenthümlichen Gefühle ordnen lassen.
Dabei kommen dann bei den einzelnen Gefühlen in mehr
wechselnder Weise zugleich die andern Gefühlsrichtungen
(S. 98), die erregenden und beruhigenden, die spannenden
und lösenden Gefühle, zur Geltung.

8. Abgesehen von den genannten, über alle einzelnen
Formen übergreifenden Hauptrichtungen lassen sich nun alle
Wahrnehmungsgefühle nach den für ihre Qualität maßgeben-
den Verhältnissen der Vorstellungselemente in zwei Classen
bringen, die wir die der intensiven und der extensiven
Gefühle nennen wollen. Unter den intensiven Gefühlen

Wundt, Psychologie. 13

§ 12. Die zusammengesetzten Gefühle.
intellectuellen Processe auftretenden zusammengesetzten Ge-
fühle, wie der logischen, der moralischen, der höheren
ästhetischen, dienen. Denn ihrer allgemeinen psychologischen
Structur nach gleichen solche verwickeltere Gefühlsformen
durchaus den einfacheren Wahrnehmungsgefühlen; nur ver-
binden sich jene stets noch mit Gefühlen und Affecten, die
aus dem gesammten Zusammenhang der psychischen Pro-
cesse hervorgehen.

Während die Gegensätze, zwischen denen sich die Ge-
meingefühle bewegen, vorwiegend jenen Qualitäten der Ge-
fühle angehören, die wir durch die Ausdrücke Lust und
Unlust bezeichnen, lassen sich auf die ästhetischen Elemen-
targefühle zunächst die in die nämliche Gefühlsrichtung
fallenden, aber ihrer Bedeutung nach objectiveren, nicht
das eigene Wohl- oder Uebelbefinden, sondern das Verhält-
niss der Gegenstände zum vorstellenden Subject zum Aus-
druck bringenden Gegensätze des Gefallens und Miss-
fallens
anwenden. Hier ist es freilich noch augenfälliger
als bei Lust und Unlust, dass diese Gegensatzbegriffe nicht
selbst Einzelgefühle bezeichnen, sondern nur auf die all-
gemeinen Richtungen hinweisen, nach denen sich die im
einzelnen unendlich mannigfaltigen und bei jeder indivi-
duellen Vorstellung eigenthümlichen Gefühle ordnen lassen.
Dabei kommen dann bei den einzelnen Gefühlen in mehr
wechselnder Weise zugleich die andern Gefühlsrichtungen
(S. 98), die erregenden und beruhigenden, die spannenden
und lösenden Gefühle, zur Geltung.

8. Abgesehen von den genannten, über alle einzelnen
Formen übergreifenden Hauptrichtungen lassen sich nun alle
Wahrnehmungsgefühle nach den für ihre Qualität maßgeben-
den Verhältnissen der Vorstellungselemente in zwei Classen
bringen, die wir die der intensiven und der extensiven
Gefühle nennen wollen. Unter den intensiven Gefühlen

Wundt, Psychologie. 13
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[193/0209] § 12. Die zusammengesetzten Gefühle. intellectuellen Processe auftretenden zusammengesetzten Ge- fühle, wie der logischen, der moralischen, der höheren ästhetischen, dienen. Denn ihrer allgemeinen psychologischen Structur nach gleichen solche verwickeltere Gefühlsformen durchaus den einfacheren Wahrnehmungsgefühlen; nur ver- binden sich jene stets noch mit Gefühlen und Affecten, die aus dem gesammten Zusammenhang der psychischen Pro- cesse hervorgehen. Während die Gegensätze, zwischen denen sich die Ge- meingefühle bewegen, vorwiegend jenen Qualitäten der Ge- fühle angehören, die wir durch die Ausdrücke Lust und Unlust bezeichnen, lassen sich auf die ästhetischen Elemen- targefühle zunächst die in die nämliche Gefühlsrichtung fallenden, aber ihrer Bedeutung nach objectiveren, nicht das eigene Wohl- oder Uebelbefinden, sondern das Verhält- niss der Gegenstände zum vorstellenden Subject zum Aus- druck bringenden Gegensätze des Gefallens und Miss- fallens anwenden. Hier ist es freilich noch augenfälliger als bei Lust und Unlust, dass diese Gegensatzbegriffe nicht selbst Einzelgefühle bezeichnen, sondern nur auf die all- gemeinen Richtungen hinweisen, nach denen sich die im einzelnen unendlich mannigfaltigen und bei jeder indivi- duellen Vorstellung eigenthümlichen Gefühle ordnen lassen. Dabei kommen dann bei den einzelnen Gefühlen in mehr wechselnder Weise zugleich die andern Gefühlsrichtungen (S. 98), die erregenden und beruhigenden, die spannenden und lösenden Gefühle, zur Geltung. 8. Abgesehen von den genannten, über alle einzelnen Formen übergreifenden Hauptrichtungen lassen sich nun alle Wahrnehmungsgefühle nach den für ihre Qualität maßgeben- den Verhältnissen der Vorstellungselemente in zwei Classen bringen, die wir die der intensiven und der extensiven Gefühle nennen wollen. Unter den intensiven Gefühlen Wundt, Psychologie. 13

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/209>, abgerufen am 06.05.2024.