sie der Vereinigung mit Gott und der Wonne einer Ewigkeit vergißt, sollte nicht, mehr als er es glaubt, des Mitleids und der Barmher- zigkeit Gottes bedürfen? Jene seligern Freuden der Andacht und Tugend, die unsern Geist, über Welt und Zeit, zu Gott, dem Urquell al- ler Seligkeit erheben, und ihn fühlen laßen, was er ist und werden soll; wie oft genießt sie der Fromme, unter dem Geräusche der Arbeit und der Zerstreuungen des Lebens, unter Schwach- heiten seines Körpers, und leidenvollen Auftrit- ten, seltner und weniger innig, als er es wünscht! wie oft wird er durch das demüthigende betrüben- de Bewustseyn seiner Fehler tiefgebeugt! wie oft kämpft sein Verlangen nach Gott, und nach der Ewigkeit, mit der Schüchternheit seiner schwa- chen Natur, mit so manchen Wünschen für dies Erdenleben, mit dem Gefühl seiner Unwürdig- keit! und er sollte nicht, auch unter seinen seligsten Freuden, noch der Erbarmung seines Gottes, und der Hoffnung einer bessern Zukunft bedürfen?
Und nun, die würklichen Leiden, unter welche uns die Sünde beugt. Auf der einen Seite: so viel Unruhe und Kampf widerspre- chender Begierden, und stürmischer Leidenschaf- ten, in der Seele des glücklichsten Sünders;
so
ſie der Vereinigung mit Gott und der Wonne einer Ewigkeit vergißt, ſollte nicht, mehr als er es glaubt, des Mitleids und der Barmher- zigkeit Gottes bedürfen? Jene ſeligern Freuden der Andacht und Tugend, die unſern Geiſt, über Welt und Zeit, zu Gott, dem Urquell al- ler Seligkeit erheben, und ihn fühlen laßen, was er iſt und werden ſoll; wie oft genießt ſie der Fromme, unter dem Geräuſche der Arbeit und der Zerſtreuungen des Lebens, unter Schwach- heiten ſeines Körpers, und leidenvollen Auftrit- ten, ſeltner und weniger innig, als er es wünſcht! wie oft wird er durch das demüthigende betrüben- de Bewuſtſeyn ſeiner Fehler tiefgebeugt! wie oft kämpft ſein Verlangen nach Gott, und nach der Ewigkeit, mit der Schüchternheit ſeiner ſchwa- chen Natur, mit ſo manchen Wünſchen für dies Erdenleben, mit dem Gefühl ſeiner Unwürdig- keit! und er ſollte nicht, auch unter ſeinen ſeligſten Freuden, noch der Erbarmung ſeines Gottes, und der Hoffnung einer beſſern Zukunft bedürfen?
Und nun, die würklichen Leiden, unter welche uns die Sünde beugt. Auf der einen Seite: ſo viel Unruhe und Kampf widerſpre- chender Begierden, und ſtürmiſcher Leidenſchaf- ten, in der Seele des glücklichſten Sünders;
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ſie der Vereinigung mit Gott und der Wonne
einer Ewigkeit vergißt, ſollte nicht, mehr als
er es glaubt, des Mitleids und der Barmher-
zigkeit Gottes bedürfen? Jene ſeligern Freuden
der Andacht und Tugend, die unſern Geiſt,
über Welt und Zeit, zu Gott, dem Urquell al-
ler Seligkeit erheben, und ihn fühlen laßen, was
er iſt und werden ſoll; wie oft genießt ſie der
Fromme, unter dem Geräuſche der Arbeit und
der Zerſtreuungen des Lebens, unter Schwach-
heiten ſeines Körpers, und leidenvollen Auftrit-
ten, ſeltner und weniger innig, als er es wünſcht!
wie oft wird er durch das demüthigende betrüben-
de Bewuſtſeyn ſeiner Fehler tiefgebeugt! wie oft
kämpft ſein Verlangen nach Gott, und nach der
Ewigkeit, mit der Schüchternheit ſeiner ſchwa-
chen Natur, mit ſo manchen Wünſchen für dies
Erdenleben, mit dem Gefühl ſeiner Unwürdig-
keit! und er ſollte nicht, auch unter ſeinen ſeligſten
Freuden, noch der Erbarmung ſeines Gottes, und
der Hoffnung einer beſſern Zukunft bedürfen?
Und nun, die würklichen Leiden, unter
welche uns die Sünde beugt. Auf der einen
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ten, in der Seele des glücklichſten Sünders;
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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/178>, abgerufen am 16.02.2025.
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