Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Einrichtung einer Republick.
hungen, daß jemand gemartert werden solle,
welche einem Jnqvisiten in der Marterkam-
mer, in Gegenwart des Scharfrichters, und
mit Vorzeigung der Marterwerckzeuge, zuge-
füget werden. Jndem zwar viele, ob sie wohl
unschuldig sind, lieber sterben, als die Tor-
tur ausstehen, wollen; so ist die Tortur
nicht geschickt genug die Wahrheit zu
erforschen;
und man hat auch wircklich
Exempel, daß manche unschuldige wegen der
Grausamkeit der Marter ein Bekenntniß ab-
geleget, und darauf verdammet worden sind.
Unterdessen aber weil doch der Republick gar
sehr daran gelegen, daß keine Missethat un-
bestraft bleibe, als welches der öffentlichen
Sicherheit schnur gerade entgegen stehet (§.
93.); so kann doch ein Jnqvisit, wenn
er sich einer schwehren Missethat sehr
verdächtig gemacht hat,
so daß zur völ-
ligen Gewißheit fast nichts als sein eigen Ge-
ständniß fehlet, besonders wenn er von ge-
sunden und starcken Körper, und seine
Bosheit sonst schon bekannt genug ist,
gemartert werden.
Der Reinigungseid,
welcher einem einer Missethat verdächtigen
von dem Richter zuerkannt wird, heißt die
geistliche Tortur (tortura spiritualis).
Daß nun diese, wenn die Missethat
entweder eine Lebens- oder Leibesstra-
fe, oder den Verlust der Ehre nach
sich ziehet, kein hinlänglich geschicktes
Mittel sey die Wahrheit heraus zu

brin-
A a a 5

Von der Einrichtung einer Republick.
hungen, daß jemand gemartert werden ſolle,
welche einem Jnqviſiten in der Marterkam-
mer, in Gegenwart des Scharfrichters, und
mit Vorzeigung der Marterwerckzeuge, zuge-
fuͤget werden. Jndem zwar viele, ob ſie wohl
unſchuldig ſind, lieber ſterben, als die Tor-
tur ausſtehen, wollen; ſo iſt die Tortur
nicht geſchickt genug die Wahrheit zu
erforſchen;
und man hat auch wircklich
Exempel, daß manche unſchuldige wegen der
Grauſamkeit der Marter ein Bekenntniß ab-
geleget, und darauf verdammet worden ſind.
Unterdeſſen aber weil doch der Republick gar
ſehr daran gelegen, daß keine Miſſethat un-
beſtraft bleibe, als welches der oͤffentlichen
Sicherheit ſchnur gerade entgegen ſtehet (§.
93.); ſo kann doch ein Jnqviſit, wenn
er ſich einer ſchwehren Miſſethat ſehr
verdaͤchtig gemacht hat,
ſo daß zur voͤl-
ligen Gewißheit faſt nichts als ſein eigen Ge-
ſtaͤndniß fehlet, beſonders wenn er von ge-
ſunden und ſtarcken Koͤrper, und ſeine
Bosheit ſonſt ſchon bekannt genug iſt,
gemartert werden.
Der Reinigungseid,
welcher einem einer Miſſethat verdaͤchtigen
von dem Richter zuerkannt wird, heißt die
geiſtliche Tortur (tortura ſpiritualis).
Daß nun dieſe, wenn die Miſſethat
entweder eine Lebens- oder Leibesſtra-
fe, oder den Verluſt der Ehre nach
ſich ziehet, kein hinlaͤnglich geſchicktes
Mittel ſey die Wahrheit heraus zu

brin-
A a a 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0781" n="745"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Einrichtung einer Republick.</hi></fw><lb/>
hungen, daß jemand gemartert werden &#x017F;olle,<lb/>
welche einem Jnqvi&#x017F;iten in der Marterkam-<lb/>
mer, in Gegenwart des Scharfrichters, und<lb/>
mit Vorzeigung der Marterwerckzeuge, zuge-<lb/>
fu&#x0364;get werden. Jndem zwar viele, ob &#x017F;ie wohl<lb/>
un&#x017F;chuldig &#x017F;ind, lieber &#x017F;terben, als die Tor-<lb/>
tur aus&#x017F;tehen, wollen; <hi rendition="#fr">&#x017F;o i&#x017F;t die Tortur<lb/>
nicht ge&#x017F;chickt genug die Wahrheit zu<lb/>
erfor&#x017F;chen;</hi> und man hat auch wircklich<lb/>
Exempel, daß manche un&#x017F;chuldige wegen der<lb/>
Grau&#x017F;amkeit der Marter ein Bekenntniß ab-<lb/>
geleget, und darauf verdammet worden &#x017F;ind.<lb/>
Unterde&#x017F;&#x017F;en aber weil doch der Republick gar<lb/>
&#x017F;ehr daran gelegen, daß keine Mi&#x017F;&#x017F;ethat un-<lb/>
be&#x017F;traft bleibe, als welches der o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Sicherheit &#x017F;chnur gerade entgegen &#x017F;tehet (§.<lb/>
93.); <hi rendition="#fr">&#x017F;o kann doch ein Jnqvi&#x017F;it, wenn<lb/>
er &#x017F;ich einer &#x017F;chwehren Mi&#x017F;&#x017F;ethat &#x017F;ehr<lb/>
verda&#x0364;chtig gemacht hat,</hi> &#x017F;o daß zur vo&#x0364;l-<lb/>
ligen Gewißheit fa&#x017F;t nichts als &#x017F;ein eigen Ge-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndniß fehlet, be&#x017F;onders <hi rendition="#fr">wenn er von ge-<lb/>
&#x017F;unden und &#x017F;tarcken Ko&#x0364;rper, und &#x017F;eine<lb/>
Bosheit &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chon bekannt genug i&#x017F;t,<lb/>
gemartert werden.</hi> Der Reinigungseid,<lb/>
welcher einem einer Mi&#x017F;&#x017F;ethat verda&#x0364;chtigen<lb/>
von dem Richter zuerkannt wird, heißt die<lb/><hi rendition="#fr">gei&#x017F;tliche Tortur</hi> <hi rendition="#aq">(tortura &#x017F;piritualis).</hi><lb/><hi rendition="#fr">Daß nun die&#x017F;e, wenn die Mi&#x017F;&#x017F;ethat<lb/>
entweder eine Lebens- oder Leibes&#x017F;tra-<lb/>
fe, oder den Verlu&#x017F;t der Ehre nach<lb/>
&#x017F;ich ziehet, kein hinla&#x0364;nglich ge&#x017F;chicktes<lb/>
Mittel &#x017F;ey die Wahrheit heraus zu</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a a 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">brin-</hi></fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[745/0781] Von der Einrichtung einer Republick. hungen, daß jemand gemartert werden ſolle, welche einem Jnqviſiten in der Marterkam- mer, in Gegenwart des Scharfrichters, und mit Vorzeigung der Marterwerckzeuge, zuge- fuͤget werden. Jndem zwar viele, ob ſie wohl unſchuldig ſind, lieber ſterben, als die Tor- tur ausſtehen, wollen; ſo iſt die Tortur nicht geſchickt genug die Wahrheit zu erforſchen; und man hat auch wircklich Exempel, daß manche unſchuldige wegen der Grauſamkeit der Marter ein Bekenntniß ab- geleget, und darauf verdammet worden ſind. Unterdeſſen aber weil doch der Republick gar ſehr daran gelegen, daß keine Miſſethat un- beſtraft bleibe, als welches der oͤffentlichen Sicherheit ſchnur gerade entgegen ſtehet (§. 93.); ſo kann doch ein Jnqviſit, wenn er ſich einer ſchwehren Miſſethat ſehr verdaͤchtig gemacht hat, ſo daß zur voͤl- ligen Gewißheit faſt nichts als ſein eigen Ge- ſtaͤndniß fehlet, beſonders wenn er von ge- ſunden und ſtarcken Koͤrper, und ſeine Bosheit ſonſt ſchon bekannt genug iſt, gemartert werden. Der Reinigungseid, welcher einem einer Miſſethat verdaͤchtigen von dem Richter zuerkannt wird, heißt die geiſtliche Tortur (tortura ſpiritualis). Daß nun dieſe, wenn die Miſſethat entweder eine Lebens- oder Leibesſtra- fe, oder den Verluſt der Ehre nach ſich ziehet, kein hinlaͤnglich geſchicktes Mittel ſey die Wahrheit heraus zu brin- A a a 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/781
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 745. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/781>, abgerufen am 13.06.2024.