Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

von der Prädelineation.
die Würkungen zugehn, ihre Zuflucht nehmen
konnten. Das brauchen wir auch nicht, sagt der
Materialist, wenn Sie die Würkungen nur zu-
geben, sie mögen geschehen, wie sie wollen, so
muß die Seele schon materiell seyn. Folglich wa-
ren sie mehr gezwungen als die Vertheidiger der
Hypothesen der Prädelineation seyn würden, und
müssen deswegen um desto eher entschuldiget
werden.

Wenn mir aber einer, dem ich auch nur ge-
zeigt hätte, wie durch natürliche Kräfte wohl orga-
nische Körper formirt werden könnten, bemerken
Sie wohl, ich sage nicht, dem ich bewiesen hätte,
daß auf diese oder jene Art die Körper formirt wer-
den, sondern nur, deren ich gezeigt hätte, wie sie
allenfalls formirt werden könnten, wenn der nur
mir darauf antwortete; Ja, so könnten sie allen-
falls formirt werden, aber das beweiset nicht, daß
sie so, oder sonst auf eine andere Art formirt wer-
den; ich glaube also nicht daß sie formirt werden;
so würde mir dieser, ungeachtet er recht hätte, den-
noch schon bey nahe so vorkommen, wie ein Egoi-
ste, dem ich es an der Miene ansehen könnte, daß
er mir mein Daseyn nur darum läugnete, um mir
zu zeigen wie künstlich er sey. Sie wissen, der
Egoiste sagt: Jch existire! aber Du? existirest
nicht! Demonstrire mir einmahl, daß du existi-
rest! Wenn Sie ihm, wie Molliere es mit sei-
nem Jdealisten machte, eine Ohrfeige geben, so
beweiset das nichts. Diese Ohrfeige ist eine Ver-

ände-
E 2

von der Praͤdelineation.
die Wuͤrkungen zugehn, ihre Zuflucht nehmen
konnten. Das brauchen wir auch nicht, ſagt der
Materialiſt, wenn Sie die Wuͤrkungen nur zu-
geben, ſie moͤgen geſchehen, wie ſie wollen, ſo
muß die Seele ſchon materiell ſeyn. Folglich wa-
ren ſie mehr gezwungen als die Vertheidiger der
Hypotheſen der Praͤdelineation ſeyn wuͤrden, und
muͤſſen deswegen um deſto eher entſchuldiget
werden.

Wenn mir aber einer, dem ich auch nur ge-
zeigt haͤtte, wie durch natuͤrliche Kraͤfte wohl orga-
niſche Koͤrper formirt werden koͤnnten, bemerken
Sie wohl, ich ſage nicht, dem ich bewieſen haͤtte,
daß auf dieſe oder jene Art die Koͤrper formirt wer-
den, ſondern nur, deren ich gezeigt haͤtte, wie ſie
allenfalls formirt werden koͤnnten, wenn der nur
mir darauf antwortete; Ja, ſo koͤnnten ſie allen-
falls formirt werden, aber das beweiſet nicht, daß
ſie ſo, oder ſonſt auf eine andere Art formirt wer-
den; ich glaube alſo nicht daß ſie formirt werden;
ſo wuͤrde mir dieſer, ungeachtet er recht haͤtte, den-
noch ſchon bey nahe ſo vorkommen, wie ein Egoi-
ſte, dem ich es an der Miene anſehen koͤnnte, daß
er mir mein Daſeyn nur darum laͤugnete, um mir
zu zeigen wie kuͤnſtlich er ſey. Sie wiſſen, der
Egoiſte ſagt: Jch exiſtire! aber Du? exiſtireſt
nicht! Demonſtrire mir einmahl, daß du exiſti-
reſt! Wenn Sie ihm, wie Molliere es mit ſei-
nem Jdealiſten machte, eine Ohrfeige geben, ſo
beweiſet das nichts. Dieſe Ohrfeige iſt eine Ver-

aͤnde-
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0089" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von der Pra&#x0364;delineation.</hi></fw><lb/>
die Wu&#x0364;rkungen zugehn, ihre Zuflucht nehmen<lb/>
konnten. Das brauchen wir auch nicht, &#x017F;agt der<lb/>
Materiali&#x017F;t, wenn Sie die Wu&#x0364;rkungen nur zu-<lb/>
geben, &#x017F;ie mo&#x0364;gen ge&#x017F;chehen, wie &#x017F;ie wollen, &#x017F;o<lb/>
muß die Seele &#x017F;chon materiell &#x017F;eyn. Folglich wa-<lb/>
ren &#x017F;ie mehr gezwungen als die Vertheidiger der<lb/>
Hypothe&#x017F;en der Pra&#x0364;delineation &#x017F;eyn wu&#x0364;rden, und<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en deswegen um de&#x017F;to eher ent&#x017F;chuldiget<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p>Wenn mir aber einer, dem ich auch nur ge-<lb/>
zeigt ha&#x0364;tte, wie durch natu&#x0364;rliche Kra&#x0364;fte wohl orga-<lb/>
ni&#x017F;che Ko&#x0364;rper formirt werden ko&#x0364;nnten, bemerken<lb/>
Sie wohl, ich &#x017F;age nicht, dem ich bewie&#x017F;en ha&#x0364;tte,<lb/>
daß auf die&#x017F;e oder jene Art die Ko&#x0364;rper formirt wer-<lb/>
den, &#x017F;ondern nur, deren ich gezeigt ha&#x0364;tte, wie &#x017F;ie<lb/>
allenfalls formirt werden ko&#x0364;nnten, wenn der nur<lb/>
mir darauf antwortete; Ja, &#x017F;o ko&#x0364;nnten &#x017F;ie allen-<lb/>
falls formirt werden, aber das bewei&#x017F;et nicht, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o, oder &#x017F;on&#x017F;t auf eine andere Art formirt wer-<lb/>
den; ich glaube al&#x017F;o nicht daß &#x017F;ie formirt werden;<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rde mir die&#x017F;er, ungeachtet er recht ha&#x0364;tte, den-<lb/>
noch &#x017F;chon bey nahe &#x017F;o vorkommen, wie ein Egoi-<lb/>
&#x017F;te, dem ich es an der Miene an&#x017F;ehen ko&#x0364;nnte, daß<lb/>
er mir mein Da&#x017F;eyn nur darum la&#x0364;ugnete, um mir<lb/>
zu zeigen wie ku&#x0364;n&#x017F;tlich er &#x017F;ey. Sie wi&#x017F;&#x017F;en, der<lb/>
Egoi&#x017F;te &#x017F;agt: Jch exi&#x017F;tire! aber Du? exi&#x017F;tire&#x017F;t<lb/>
nicht! Demon&#x017F;trire mir einmahl, daß du exi&#x017F;ti-<lb/>
re&#x017F;t! Wenn Sie ihm, wie <hi rendition="#fr">Molliere</hi> es mit &#x017F;ei-<lb/>
nem Jdeali&#x017F;ten machte, eine Ohrfeige geben, &#x017F;o<lb/>
bewei&#x017F;et das nichts. Die&#x017F;e Ohrfeige i&#x017F;t eine Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">a&#x0364;nde-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0089] von der Praͤdelineation. die Wuͤrkungen zugehn, ihre Zuflucht nehmen konnten. Das brauchen wir auch nicht, ſagt der Materialiſt, wenn Sie die Wuͤrkungen nur zu- geben, ſie moͤgen geſchehen, wie ſie wollen, ſo muß die Seele ſchon materiell ſeyn. Folglich wa- ren ſie mehr gezwungen als die Vertheidiger der Hypotheſen der Praͤdelineation ſeyn wuͤrden, und muͤſſen deswegen um deſto eher entſchuldiget werden. Wenn mir aber einer, dem ich auch nur ge- zeigt haͤtte, wie durch natuͤrliche Kraͤfte wohl orga- niſche Koͤrper formirt werden koͤnnten, bemerken Sie wohl, ich ſage nicht, dem ich bewieſen haͤtte, daß auf dieſe oder jene Art die Koͤrper formirt wer- den, ſondern nur, deren ich gezeigt haͤtte, wie ſie allenfalls formirt werden koͤnnten, wenn der nur mir darauf antwortete; Ja, ſo koͤnnten ſie allen- falls formirt werden, aber das beweiſet nicht, daß ſie ſo, oder ſonſt auf eine andere Art formirt wer- den; ich glaube alſo nicht daß ſie formirt werden; ſo wuͤrde mir dieſer, ungeachtet er recht haͤtte, den- noch ſchon bey nahe ſo vorkommen, wie ein Egoi- ſte, dem ich es an der Miene anſehen koͤnnte, daß er mir mein Daſeyn nur darum laͤugnete, um mir zu zeigen wie kuͤnſtlich er ſey. Sie wiſſen, der Egoiſte ſagt: Jch exiſtire! aber Du? exiſtireſt nicht! Demonſtrire mir einmahl, daß du exiſti- reſt! Wenn Sie ihm, wie Molliere es mit ſei- nem Jdealiſten machte, eine Ohrfeige geben, ſo beweiſet das nichts. Dieſe Ohrfeige iſt eine Ver- aͤnde- E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/89
Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/89>, abgerufen am 27.11.2024.