Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_070.001 Als Gottesgeißel, als schlauer, überlegener, aber blutiger Barbar pwo_070.002 Von Helden der griechischen Sage läßt sich namentlich Nestor in pwo_070.025 pwo_070.001 Als Gottesgeißel, als schlauer, überlegener, aber blutiger Barbar pwo_070.002 Von Helden der griechischen Sage läßt sich namentlich Nestor in pwo_070.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0084" n="70"/> <lb n="pwo_070.001"/> <p> Als Gottesgeißel, als schlauer, überlegener, aber blutiger Barbar <lb n="pwo_070.002"/> schreitet Etzel durch die Geschichte. 500 Jahre später im Waltharilied <lb n="pwo_070.003"/> ist kaum noch ein Nachklang dieses furchtbaren Rufes vernehmbar; <lb n="pwo_070.004"/> ersichtlich ist die Erinnerung an seinen historischen Charakter verblaßt <lb n="pwo_070.005"/> und nur die äußere Thatsache seiner überlegenen Macht in den Vordergrund <lb n="pwo_070.006"/> getreten. Nach mehr als zwei weiteren Jahrhunderten, im <lb n="pwo_070.007"/> Nibelungenlied, ist jedenfalls auch die letzte innere Beziehung zu der <lb n="pwo_070.008"/> historischen Persönlichkeit abgestreift; nur äußerlich ist seine Stellung <lb n="pwo_070.009"/> als mächtigster Fürst seiner Zeit, dem viele Könige als Vasallen dienen, <lb n="pwo_070.010"/> noch festgehalten. Jm übrigen ist aus der Gottesgeißel ein <lb n="pwo_070.011"/> typisches Jdealbild fürstlicher Gesinnung nach den kultivierten Anschauungen <lb n="pwo_070.012"/> des 10. und gar des 12. Jahrhunderts geworden: edel, <lb n="pwo_070.013"/> mildthätig, selbst mild im modernen Sinne. Aehnlich verblaßt das <lb n="pwo_070.014"/> Bild der dämonischen Frauen jener wilden Zeit, in welcher die Sage <lb n="pwo_070.015"/> wurzelt, bis sie schließlich zu minniglichen Maiden nach der höfischen <lb n="pwo_070.016"/> Konvenienz des 12. Jahrhunderts werden. Den grimmen Hagen <lb n="pwo_070.017"/> sieht man stattlich unter den Recken hin zu Hofe gehen; in Züchten <lb n="pwo_070.018"/> verneigt sich vor ihm der gute Rüdiger. Dieselbe Veräußerung ursprünglicher <lb n="pwo_070.019"/> Gigantik auch anderweit: einen besonders drastischen Beleg <lb n="pwo_070.020"/> bietet in der Gudrunsage der Meerriese Wate, der da schließlich das <lb n="pwo_070.021"/> Haar mit goldenen Borten umwunden auftritt. Welche Umbildungen <lb n="pwo_070.022"/> mußten diese Figuren in der Volksphantasie erfahren haben, bevor <lb n="pwo_070.023"/> eine solche Einkleidung möglich wurde!</p> <lb n="pwo_070.024"/> <p> Von Helden der griechischen Sage läßt sich namentlich Nestor in <lb n="pwo_070.025"/> seiner Charaktermodelung überschauen. Er und die andern Helden <lb n="pwo_070.026"/> aus Pylos sind dem troischen Sagenkreis ursprünglich fern. Schon <lb n="pwo_070.027"/> zeitlich ragt er in eine weit zurückliegende Epoche hinauf, und dieser <lb n="pwo_070.028"/> Umstand bewirkte, daß er als Repräsentant des erfahrenen Greisenalters <lb n="pwo_070.029"/> eingeführt wird. An dem Homerischen Achill andrerseits ist <lb n="pwo_070.030"/> aufgefallen, daß ihm das Epitheton <hi rendition="#g">schnellfüßig</hi> eignet, ohne daß <lb n="pwo_070.031"/> es in der Dichtung selbst eine Begründung oder thatsächliche Unterlage <lb n="pwo_070.032"/> findet. Ersichtlich hat Homer in älteren Ueberlieferungen diese <lb n="pwo_070.033"/> Bezeichnung vorgefunden, die wohl auf des Helden Jugendschicksale <lb n="pwo_070.034"/> bezugnimmt.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0084]
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Als Gottesgeißel, als schlauer, überlegener, aber blutiger Barbar pwo_070.002
schreitet Etzel durch die Geschichte. 500 Jahre später im Waltharilied pwo_070.003
ist kaum noch ein Nachklang dieses furchtbaren Rufes vernehmbar; pwo_070.004
ersichtlich ist die Erinnerung an seinen historischen Charakter verblaßt pwo_070.005
und nur die äußere Thatsache seiner überlegenen Macht in den Vordergrund pwo_070.006
getreten. Nach mehr als zwei weiteren Jahrhunderten, im pwo_070.007
Nibelungenlied, ist jedenfalls auch die letzte innere Beziehung zu der pwo_070.008
historischen Persönlichkeit abgestreift; nur äußerlich ist seine Stellung pwo_070.009
als mächtigster Fürst seiner Zeit, dem viele Könige als Vasallen dienen, pwo_070.010
noch festgehalten. Jm übrigen ist aus der Gottesgeißel ein pwo_070.011
typisches Jdealbild fürstlicher Gesinnung nach den kultivierten Anschauungen pwo_070.012
des 10. und gar des 12. Jahrhunderts geworden: edel, pwo_070.013
mildthätig, selbst mild im modernen Sinne. Aehnlich verblaßt das pwo_070.014
Bild der dämonischen Frauen jener wilden Zeit, in welcher die Sage pwo_070.015
wurzelt, bis sie schließlich zu minniglichen Maiden nach der höfischen pwo_070.016
Konvenienz des 12. Jahrhunderts werden. Den grimmen Hagen pwo_070.017
sieht man stattlich unter den Recken hin zu Hofe gehen; in Züchten pwo_070.018
verneigt sich vor ihm der gute Rüdiger. Dieselbe Veräußerung ursprünglicher pwo_070.019
Gigantik auch anderweit: einen besonders drastischen Beleg pwo_070.020
bietet in der Gudrunsage der Meerriese Wate, der da schließlich das pwo_070.021
Haar mit goldenen Borten umwunden auftritt. Welche Umbildungen pwo_070.022
mußten diese Figuren in der Volksphantasie erfahren haben, bevor pwo_070.023
eine solche Einkleidung möglich wurde!
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Von Helden der griechischen Sage läßt sich namentlich Nestor in pwo_070.025
seiner Charaktermodelung überschauen. Er und die andern Helden pwo_070.026
aus Pylos sind dem troischen Sagenkreis ursprünglich fern. Schon pwo_070.027
zeitlich ragt er in eine weit zurückliegende Epoche hinauf, und dieser pwo_070.028
Umstand bewirkte, daß er als Repräsentant des erfahrenen Greisenalters pwo_070.029
eingeführt wird. An dem Homerischen Achill andrerseits ist pwo_070.030
aufgefallen, daß ihm das Epitheton schnellfüßig eignet, ohne daß pwo_070.031
es in der Dichtung selbst eine Begründung oder thatsächliche Unterlage pwo_070.032
findet. Ersichtlich hat Homer in älteren Ueberlieferungen diese pwo_070.033
Bezeichnung vorgefunden, die wohl auf des Helden Jugendschicksale pwo_070.034
bezugnimmt.
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