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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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Vor allem ist es unter den Tieren das Roß, welches in der pwo_048.002
epischen Ritterdichtung der Romanen wie der Germanen Beachtung pwo_048.003
findet. Jn der Minnelyrik spielt aber bereits die Nachtigall ihre pwo_048.004
Rolle. Das Ausgehen eines Minneliedes von der Naturfreude, besonders pwo_048.005
im Mai, überhaupt im Frühling und Sommer, ist zu einem pwo_048.006
feinen Kunstmittel ausgebildet. Vergleiche zwischen Natur und Liebe pwo_048.007
stellen sich so von selbst ein, wie sich denn in Gleichnissen überhaupt pwo_048.008
die Anteilnahme an der Natur am offensten bekundet.

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Herr Ulrich von Gutenburg singt von der Geliebten:

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"Si ist mein sumerwünne. pwo_048.011
Si saejet bluomen unde kle pwo_048.012
in meines herzen anger: pwo_048.013
des muoz ich sein, swiez mir erge, pwo_048.014
vil reicher fröiden swanger. pwo_048.015
Ir güete mich vil lützel lat pwo_048.016
dekeinen kumber müejen. pwo_048.017
der schein der von ir ougen gat, pwo_048.018
der tuot mich schone blüejen, pwo_048.019
Alsam der heize sunne tuot pwo_048.020
die boume in dem touwe. pwo_048.021
sus senftet mir den swaeren muot pwo_048.022
von tage zu tage mein frouwe. pwo_048.023
Ir schoener gruoz, ir milter segen, pwo_048.024
mit eime senften neigen, pwo_048.025
daz tuot mir einen meien regen pwo_048.026
reht an daz herze seigen."

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Vergleiche mit den Gestirnen lagen der neuen religiösen Minnelyrik pwo_048.028
nahe, dringen aber bald in die weltliche Dichtung ein. Vor allem pwo_048.029
auch im Nibelungenlied finden sie Verwendung. Von Lyrikern handhabt pwo_048.030
sie Heinrich von Morungen mit künstlerischer Meisterschaft:

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"Ir tugent reine ist der sunnen geleich, pwo_048.032
diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, pwo_048.033
swenne in dem meien ir schein ist so klar."
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Walther von der Vogelweide, der in seinen Anlehnungen an Reinmar pwo_048.035
von Hagenau noch eigentliche Teilnahme für die Natur vermissen läßt, pwo_048.036
hat in seiner selbständigen Blüte gerade durch sinnige Naturbetrachtung pwo_048.037
seinen Liedern so lichten Schein und frischen Duft verliehen.

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  Vor allem ist es unter den Tieren das Roß, welches in der pwo_048.002
epischen Ritterdichtung der Romanen wie der Germanen Beachtung pwo_048.003
findet. Jn der Minnelyrik spielt aber bereits die Nachtigall ihre pwo_048.004
Rolle. Das Ausgehen eines Minneliedes von der Naturfreude, besonders pwo_048.005
im Mai, überhaupt im Frühling und Sommer, ist zu einem pwo_048.006
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stellen sich so von selbst ein, wie sich denn in Gleichnissen überhaupt pwo_048.008
die Anteilnahme an der Natur am offensten bekundet.

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  Herr Ulrich von Gutenburg singt von der Geliebten:

pwo_048.010

„Si ist mîn sumerwünne. pwo_048.011
Si sæjet bluomen unde klê pwo_048.012
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des muoz ich sîn, swiez mir ergê, pwo_048.014
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Ir güete mich vil lützel lât pwo_048.016
dekeinen kumber müejen. pwo_048.017
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der tuot mich schône blüejen, pwo_048.019
Alsam der heize sunne tuot pwo_048.020
die boume in dem touwe. pwo_048.021
sus senftet mir den swæren muot pwo_048.022
von tage zu tage mîn frouwe. pwo_048.023
Ir schœner gruoz, ir milter segen, pwo_048.024
mit eime senften nîgen, pwo_048.025
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reht an daz herze sîgen.“

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Vergleiche mit den Gestirnen lagen der neuen religiösen Minnelyrik pwo_048.028
nahe, dringen aber bald in die weltliche Dichtung ein. Vor allem pwo_048.029
auch im Nibelungenlied finden sie Verwendung. Von Lyrikern handhabt pwo_048.030
sie Heinrich von Morungen mit künstlerischer Meisterschaft:

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Ir tugent reine ist der sunnen gelîch, pwo_048.032
diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, pwo_048.033
swenne in dem meien ir schîn ist so klâr.“
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Walther von der Vogelweide, der in seinen Anlehnungen an Reinmar pwo_048.035
von Hagenau noch eigentliche Teilnahme für die Natur vermissen läßt, pwo_048.036
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[48/0062] pwo_048.001   Vor allem ist es unter den Tieren das Roß, welches in der pwo_048.002 epischen Ritterdichtung der Romanen wie der Germanen Beachtung pwo_048.003 findet. Jn der Minnelyrik spielt aber bereits die Nachtigall ihre pwo_048.004 Rolle. Das Ausgehen eines Minneliedes von der Naturfreude, besonders pwo_048.005 im Mai, überhaupt im Frühling und Sommer, ist zu einem pwo_048.006 feinen Kunstmittel ausgebildet. Vergleiche zwischen Natur und Liebe pwo_048.007 stellen sich so von selbst ein, wie sich denn in Gleichnissen überhaupt pwo_048.008 die Anteilnahme an der Natur am offensten bekundet. pwo_048.009   Herr Ulrich von Gutenburg singt von der Geliebten: pwo_048.010 „Si ist mîn sumerwünne. pwo_048.011 Si sæjet bluomen unde klê pwo_048.012 in mînes herzen anger: pwo_048.013 des muoz ich sîn, swiez mir ergê, pwo_048.014 vil rîcher fröiden swanger. pwo_048.015 Ir güete mich vil lützel lât pwo_048.016 dekeinen kumber müejen. pwo_048.017 der schîn der von ir ougen gât, pwo_048.018 der tuot mich schône blüejen, pwo_048.019 Alsam der heize sunne tuot pwo_048.020 die boume in dem touwe. pwo_048.021 sus senftet mir den swæren muot pwo_048.022 von tage zu tage mîn frouwe. pwo_048.023 Ir schœner gruoz, ir milter segen, pwo_048.024 mit eime senften nîgen, pwo_048.025 daz tuot mir einen meien regen pwo_048.026 reht an daz herze sîgen.“ pwo_048.027 Vergleiche mit den Gestirnen lagen der neuen religiösen Minnelyrik pwo_048.028 nahe, dringen aber bald in die weltliche Dichtung ein. Vor allem pwo_048.029 auch im Nibelungenlied finden sie Verwendung. Von Lyrikern handhabt pwo_048.030 sie Heinrich von Morungen mit künstlerischer Meisterschaft: pwo_048.031 „Ir tugent reine ist der sunnen gelîch, pwo_048.032 diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, pwo_048.033 swenne in dem meien ir schîn ist so klâr.“ pwo_048.034 Walther von der Vogelweide, der in seinen Anlehnungen an Reinmar pwo_048.035 von Hagenau noch eigentliche Teilnahme für die Natur vermissen läßt, pwo_048.036 hat in seiner selbständigen Blüte gerade durch sinnige Naturbetrachtung pwo_048.037 seinen Liedern so lichten Schein und frischen Duft verliehen.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/62>, abgerufen am 03.05.2024.