Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_258.001 Nichts anderes als eine Uebertreibung in Bezeichnung kleiner pwo_258.002
so kommt seine zarte Jugend um so schärfer zum Ausdruck. pwo_258.007 Das Streben der Dichterseele nach Gefühlssteigerung kommt auch pwo_258.008 Zusammenhängt damit selbst der tautologische Parallelismus des pwo_258.011 Aus dem Drang, seine starke Empfindung von einer Handlung pwo_258.015 "Swem sint kunt diu maere, der sol mich niht verdagen, pwo_258.018 pwo_258.019wa ich den künic vinde, daz sol man mir sagen." Auch hier ergiebt sich aus der doppelten Negation, noch dazu neben pwo_258.020 pwo_258.021 § 105. pwo_258.022 pwo_258.023Der Dichter und das Publikum. Ein letztes Mittel, das Seelenleben des Dichters zu erkennen, pwo_258.024 Auch hier leuchtet ein, wie wenig aus dem Eindruck, den eine pwo_258.027 pwo_258.001 Nichts anderes als eine Uebertreibung in Bezeichnung kleiner pwo_258.002
so kommt seine zarte Jugend um so schärfer zum Ausdruck. pwo_258.007 Das Streben der Dichterseele nach Gefühlssteigerung kommt auch pwo_258.008 Zusammenhängt damit selbst der tautologische Parallelismus des pwo_258.011 Aus dem Drang, seine starke Empfindung von einer Handlung pwo_258.015 „Swem sint kunt diu mære, der sol mich niht verdagen, pwo_258.018 pwo_258.019wâ ich den künic vinde, daz sol man mir sagen.“ Auch hier ergiebt sich aus der doppelten Negation, noch dazu neben pwo_258.020 pwo_258.021 § 105. pwo_258.022 pwo_258.023Der Dichter und das Publikum. Ein letztes Mittel, das Seelenleben des Dichters zu erkennen, pwo_258.024 Auch hier leuchtet ein, wie wenig aus dem Eindruck, den eine pwo_258.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0272" n="258"/> <lb n="pwo_258.001"/> <p> Nichts anderes als eine Uebertreibung in Bezeichnung kleiner <lb n="pwo_258.002"/> Maße ist das, was als <hi rendition="#g">Litotes</hi> (Geringfügigkeit) besonders bezeichnet <lb n="pwo_258.003"/> wird: „<hi rendition="#aq">ich fröuden kranke“, „an werdekeit verzagt</hi>“ <lb n="pwo_258.004"/> u. dgl. Wenn es von dem Knaben Parzival heißt:</p> <lb n="pwo_258.005"/> <p> <hi rendition="#aq"> <lg> <l>„daz erstracte im sîniu brüstelîn“,</l> </lg> </hi> </p> <lb n="pwo_258.006"/> <p>so kommt seine zarte Jugend um so schärfer zum Ausdruck.</p> <lb n="pwo_258.007"/> <p> Das Streben der Dichterseele nach Gefühlssteigerung kommt auch <lb n="pwo_258.008"/> in der <hi rendition="#g">Klimax</hi> des Ausdrucks zur Geltung, indem vom Nächstliegenden <lb n="pwo_258.009"/> zu immer Ungewöhnlicherem aufgestiegen wird.</p> <lb n="pwo_258.010"/> <p> Zusammenhängt damit selbst der tautologische Parallelismus des <lb n="pwo_258.011"/> altpoetischen Satzbaus, der sich an Heraushebung der wesentlichen <lb n="pwo_258.012"/> Personen und Gegenstände nimmer genugthun kann, <hi rendition="#g">immer signifikantere <lb n="pwo_258.013"/> Begriffserweiterungen</hi> heranschleppt.</p> <lb n="pwo_258.014"/> <p> Aus dem Drang, seine starke Empfindung von einer Handlung <lb n="pwo_258.015"/> entsprechend eindringlich zu vermitteln, entspringt schließlich die Ergänzung <lb n="pwo_258.016"/> des positiven Ausspruchs durch den <hi rendition="#g">verneinten Gegensatz:</hi></p> <lb n="pwo_258.017"/> <lg> <l>„<hi rendition="#aq">Swem sint kunt diu mære, der sol mich <hi rendition="#g">niht verdagen,</hi></hi></l> <lb n="pwo_258.018"/> <l><hi rendition="#aq">wâ ich den künic vinde, daz sol man mir sagen</hi>.“</l> </lg> <lb n="pwo_258.019"/> <p>Auch hier ergiebt sich aus der doppelten Negation, noch dazu neben <lb n="pwo_258.020"/> der positiven Aussage, eine Verstärkung der Forderung.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_258.021"/> <head> <hi rendition="#c">§ 105. <lb n="pwo_258.022"/> Der Dichter und das Publikum.</hi> </head> <lb n="pwo_258.023"/> <p> Ein letztes Mittel, das Seelenleben des Dichters zu erkennen, <lb n="pwo_258.024"/> bietet sich in dem Reflex dar, den sein Schaffen in der Seele des <lb n="pwo_258.025"/> Publikums hervorruft.</p> <lb n="pwo_258.026"/> <p> Auch hier leuchtet ein, wie wenig aus dem Eindruck, den eine <lb n="pwo_258.027"/> heutige Dichtung in uns Heutigen erweckt, allgemeingültige oder überhaupt <lb n="pwo_258.028"/> zulängliche und klare Vorstellungen von <hi rendition="#g">der</hi> Wirkung erreichbar <lb n="pwo_258.029"/> sind, welche die Dichter zu allen Zeiten auf alle Völker ausgeübt <lb n="pwo_258.030"/> haben. Können wir annehmen, daß in der Seele eines germanischen <lb n="pwo_258.031"/> Urahnen, als er den Sagen und Sängen der „Edda“ <lb n="pwo_258.032"/> lauschte, dasselbe vorging, was wir heute bei „Romeo und Julia“ <lb n="pwo_258.033"/> oder bei „Hermann und Dorothea“ oder auch nur bei derselben <lb n="pwo_258.034"/> „Edda“ empfinden?</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [258/0272]
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Nichts anderes als eine Uebertreibung in Bezeichnung kleiner pwo_258.002
Maße ist das, was als Litotes (Geringfügigkeit) besonders bezeichnet pwo_258.003
wird: „ich fröuden kranke“, „an werdekeit verzagt“ pwo_258.004
u. dgl. Wenn es von dem Knaben Parzival heißt:
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„daz erstracte im sîniu brüstelîn“,
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so kommt seine zarte Jugend um so schärfer zum Ausdruck.
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Das Streben der Dichterseele nach Gefühlssteigerung kommt auch pwo_258.008
in der Klimax des Ausdrucks zur Geltung, indem vom Nächstliegenden pwo_258.009
zu immer Ungewöhnlicherem aufgestiegen wird.
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Zusammenhängt damit selbst der tautologische Parallelismus des pwo_258.011
altpoetischen Satzbaus, der sich an Heraushebung der wesentlichen pwo_258.012
Personen und Gegenstände nimmer genugthun kann, immer signifikantere pwo_258.013
Begriffserweiterungen heranschleppt.
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Aus dem Drang, seine starke Empfindung von einer Handlung pwo_258.015
entsprechend eindringlich zu vermitteln, entspringt schließlich die Ergänzung pwo_258.016
des positiven Ausspruchs durch den verneinten Gegensatz:
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„Swem sint kunt diu mære, der sol mich niht verdagen, pwo_258.018
wâ ich den künic vinde, daz sol man mir sagen.“
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Auch hier ergiebt sich aus der doppelten Negation, noch dazu neben pwo_258.020
der positiven Aussage, eine Verstärkung der Forderung.
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§ 105. pwo_258.022
Der Dichter und das Publikum. pwo_258.023
Ein letztes Mittel, das Seelenleben des Dichters zu erkennen, pwo_258.024
bietet sich in dem Reflex dar, den sein Schaffen in der Seele des pwo_258.025
Publikums hervorruft.
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Auch hier leuchtet ein, wie wenig aus dem Eindruck, den eine pwo_258.027
heutige Dichtung in uns Heutigen erweckt, allgemeingültige oder überhaupt pwo_258.028
zulängliche und klare Vorstellungen von der Wirkung erreichbar pwo_258.029
sind, welche die Dichter zu allen Zeiten auf alle Völker ausgeübt pwo_258.030
haben. Können wir annehmen, daß in der Seele eines germanischen pwo_258.031
Urahnen, als er den Sagen und Sängen der „Edda“ pwo_258.032
lauschte, dasselbe vorging, was wir heute bei „Romeo und Julia“ pwo_258.033
oder bei „Hermann und Dorothea“ oder auch nur bei derselben pwo_258.034
„Edda“ empfinden?
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