Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_257.001 "Und sie fanden Odysseus, umringt von erschlagenen Leichen, pwo_257.002 pwo_257.007Ganz mit Blut und Staube besudelt, ähnlich dem Löwen, pwo_257.003 Der, vom ermordeten Stiere gesättiget, stolz einhergeht; pwo_257.004 Seine zottichte Brust, und beide Backen des Würgers pwo_257.005 Triefen von schwarzem Blut, und fürchterlich glühn ihm die Augen: pwo_257.006 Also war auch Odysseus an Händen und Füßen besudelt." Jn gleicher Weise läßt sich aus allen Litteraturen erschließen, auch pwo_257.008 So beschränkt das Erfahrungsmaterial gerade für die ältesten pwo_257.014 pwo_257.021 § 104. pwo_257.022 pwo_257.023Hyperbeln. Wie die Bilder aus dem energischen Anschauungsvermögen des pwo_257.024 Superlativen Ausdruck finden wir schon im Hildebrandslied pwo_257.027
Zu den ältesten Hyperbeln gehört die Beschreibung eines Ebers in pwo_257.031
pwo_257.001 „Und sie fanden Odysseus, umringt von erschlagenen Leichen, pwo_257.002 pwo_257.007Ganz mit Blut und Staube besudelt, ähnlich dem Löwen, pwo_257.003 Der, vom ermordeten Stiere gesättiget, stolz einhergeht; pwo_257.004 Seine zottichte Brust, und beide Backen des Würgers pwo_257.005 Triefen von schwarzem Blut, und fürchterlich glühn ihm die Augen: pwo_257.006 Also war auch Odysseus an Händen und Füßen besudelt.“ Jn gleicher Weise läßt sich aus allen Litteraturen erschließen, auch pwo_257.008 So beschränkt das Erfahrungsmaterial gerade für die ältesten pwo_257.014 pwo_257.021 § 104. pwo_257.022 pwo_257.023Hyperbeln. Wie die Bilder aus dem energischen Anschauungsvermögen des pwo_257.024 Superlativen Ausdruck finden wir schon im Hildebrandslied pwo_257.027
Zu den ältesten Hyperbeln gehört die Beschreibung eines Ebers in pwo_257.031
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„Und sie fanden Odysseus, umringt von erschlagenen Leichen, pwo_257.002
Ganz mit Blut und Staube besudelt, ähnlich dem Löwen, pwo_257.003
Der, vom ermordeten Stiere gesättiget, stolz einhergeht; pwo_257.004
Seine zottichte Brust, und beide Backen des Würgers pwo_257.005
Triefen von schwarzem Blut, und fürchterlich glühn ihm die Augen: pwo_257.006
Also war auch Odysseus an Händen und Füßen besudelt.“
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Jn gleicher Weise läßt sich aus allen Litteraturen erschließen, auch pwo_257.008
psychologisch voll begreifen, daß bildliche Auffassung, wahrhaftes bildliches pwo_257.009
Schauen die natürliche Denkform des Dichters darstellt. pwo_257.010
Was äußert sich in dieser Form anderes, als jene Anschaulichkeit pwo_257.011
des Dichtergeistes, die uns schon immer als erste Vorbedingung des pwo_257.012
künstlerischen Schaffens entgegentrat?
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So beschränkt das Erfahrungsmaterial gerade für die ältesten pwo_257.014
Stadien der Poesie ist, offenbart sich doch gegenüber dem metaphorischen pwo_257.015
und allegorischen Bild im Vergleich und Gleichnis ersichtlich pwo_257.016
eine spätere, minder unmittelbare Form dichterischen Ausdrucks: pwo_257.017
im Vergleich und Gleichnis ist die Uebertragung in eine pwo_257.018
andere Sphäre bereits zum Bewußtsein gekommen, während der metaphorische pwo_257.019
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Schauen zeugt.
pwo_257.021
§ 104. pwo_257.022
Hyperbeln. pwo_257.023
Wie die Bilder aus dem energischen Anschauungsvermögen des pwo_257.024
Dichtergeistes hervorgehen, äußert sich die Potenzierung seiner Gefühlswelt pwo_257.025
in der übertreibenden Darstellungsweise.
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Superlativen Ausdruck finden wir schon im Hildebrandslied pwo_257.027
reichlich: „degano dechisto“, dicht daneben auch sonstige Maßlosigkeit: pwo_257.028
„ummett irri“, sowie Verallgemeinerung:
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„he was eo folches at ente; imo was eo fehta ti leop.“
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Zu den ältesten Hyperbeln gehört die Beschreibung eines Ebers in pwo_257.031
der St. Galler Rhetorik:
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„imo sint fuoze fuodermâze, pwo_257.033
imo sint burste ebenhô forste pwo_257.034
unde zene sîne zwelifelnîge.“
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