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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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sich doch im allgemeinen nicht mehr um Zoten, also bloße Worte; pwo_224.002
die naturalia sind vielmehr in die Handlung eingewoben. Aehnlich pwo_224.003
werden die reichlichen Prügel nicht mehr als typischer Tribut der pwo_224.004
Sklaven oder dergl. äußerlich verwandt: wenn uns Aristophanes über pwo_224.005
sie lachen macht, spekuliert er nicht mehr auf die rohe Lust an der pwo_224.006
Züchtigung eines Niedrigstehenden; vielmehr vermag er sie als eine pwo_224.007
wirklich dramatische Aeußerungsform des Komischen aus der Handlung pwo_224.008
herzuleiten. Man erinnere sich, wie in den "Fröschen" Dionysos pwo_224.009
und Xanthias sich abwechselnd als Herkules ausgeben, um stets, sobald pwo_224.010
einer vom andern die herkulische Drapierung mit Keule und pwo_224.011
Löwenfell empfangen hat, nur für Gewaltthaten des echten Herkules pwo_224.012
gezüchtigt zu werden. Jn den "Vögeln" ist die Peitsche, die Ratefreund pwo_224.013
führt, geradezu die dramatische Verkörperung der Peitsche, pwo_224.014
welche die Satire des Dichters über die Schmarotzer des Staatswesens pwo_224.015
schwingt.

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Die charakteristische Aeußerungsform dieser Komödien ist also, pwo_224.017
daß sie ihre Gestalten der Heiterkeit preisgeben, während pwo_224.018
zuerst durch bloße Worte, alsdann auch durch drollige Situationen pwo_224.019
Heiterkeit erregt wurde.

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Durch welche Mittel bewirkt der Dichter diese Heiterkeit? Giebt pwo_224.021
er in wohlfeilem Spott verächtliche Personen dem Lachen preis? Jm pwo_224.022
Gegenteil bleibt selbst Dionysos von der frohen Laune des Dichters pwo_224.023
nicht verschont. Der Gott ist in heitere Beleuchtung gerückt, indem pwo_224.024
ihm alle kleinen Menschlichkeiten beigelegt sind, und dieser Gegensatz pwo_224.025
zu dem, was man im Ernst als das Wesen des Gottes anzusehen pwo_224.026
hat, zumal er in Gestalt des Herkules erscheint und dennoch besonders pwo_224.027
gerade durch Furchtsamkeit ausgezeichnet ist, ruft heitere Betrachtung pwo_224.028
des Hehren hervor. Wie hier die göttliche Sphäre, wird in pwo_224.029
den "Vögeln" die staatliche in ernstlose, heitere Beleuchtung gerückt. pwo_224.030
Fortdauernd ist das ernste Menschentreiben in einem ernstlosen Gegenstück pwo_224.031
gespiegelt. Kaum ist der neue Staat, das Reich der Vögel, pwo_224.032
begründet - höchst bezeichnend ist das Menschliche durch Uebertragung pwo_224.033
in die Tiersphäre parodiert -, als der Poet sich meldet, um pwo_224.034
zur Aufbesserung seiner zerrissenen Kleidung Schmeichelgesänge auf pwo_224.035
die Stadt anzustimmen. Ebenso erscheint der Wahrsager, auch er des pwo_224.036
Lohnes wegen zudringend, um durch seine Ueberdreistigkeit schließlich

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sich doch im allgemeinen nicht mehr um Zoten, also bloße Worte; pwo_224.002
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  Die charakteristische Aeußerungsform dieser Komödien ist also, pwo_224.017
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[224/0238] pwo_224.001 sich doch im allgemeinen nicht mehr um Zoten, also bloße Worte; pwo_224.002 die naturalia sind vielmehr in die Handlung eingewoben. Aehnlich pwo_224.003 werden die reichlichen Prügel nicht mehr als typischer Tribut der pwo_224.004 Sklaven oder dergl. äußerlich verwandt: wenn uns Aristophanes über pwo_224.005 sie lachen macht, spekuliert er nicht mehr auf die rohe Lust an der pwo_224.006 Züchtigung eines Niedrigstehenden; vielmehr vermag er sie als eine pwo_224.007 wirklich dramatische Aeußerungsform des Komischen aus der Handlung pwo_224.008 herzuleiten. Man erinnere sich, wie in den „Fröschen“ Dionysos pwo_224.009 und Xanthias sich abwechselnd als Herkules ausgeben, um stets, sobald pwo_224.010 einer vom andern die herkulische Drapierung mit Keule und pwo_224.011 Löwenfell empfangen hat, nur für Gewaltthaten des echten Herkules pwo_224.012 gezüchtigt zu werden. Jn den „Vögeln“ ist die Peitsche, die Ratefreund pwo_224.013 führt, geradezu die dramatische Verkörperung der Peitsche, pwo_224.014 welche die Satire des Dichters über die Schmarotzer des Staatswesens pwo_224.015 schwingt. pwo_224.016   Die charakteristische Aeußerungsform dieser Komödien ist also, pwo_224.017 daß sie ihre Gestalten der Heiterkeit preisgeben, während pwo_224.018 zuerst durch bloße Worte, alsdann auch durch drollige Situationen pwo_224.019 Heiterkeit erregt wurde. pwo_224.020   Durch welche Mittel bewirkt der Dichter diese Heiterkeit? Giebt pwo_224.021 er in wohlfeilem Spott verächtliche Personen dem Lachen preis? Jm pwo_224.022 Gegenteil bleibt selbst Dionysos von der frohen Laune des Dichters pwo_224.023 nicht verschont. Der Gott ist in heitere Beleuchtung gerückt, indem pwo_224.024 ihm alle kleinen Menschlichkeiten beigelegt sind, und dieser Gegensatz pwo_224.025 zu dem, was man im Ernst als das Wesen des Gottes anzusehen pwo_224.026 hat, zumal er in Gestalt des Herkules erscheint und dennoch besonders pwo_224.027 gerade durch Furchtsamkeit ausgezeichnet ist, ruft heitere Betrachtung pwo_224.028 des Hehren hervor. Wie hier die göttliche Sphäre, wird in pwo_224.029 den „Vögeln“ die staatliche in ernstlose, heitere Beleuchtung gerückt. pwo_224.030 Fortdauernd ist das ernste Menschentreiben in einem ernstlosen Gegenstück pwo_224.031 gespiegelt. Kaum ist der neue Staat, das Reich der Vögel, pwo_224.032 begründet – höchst bezeichnend ist das Menschliche durch Uebertragung pwo_224.033 in die Tiersphäre parodiert –, als der Poet sich meldet, um pwo_224.034 zur Aufbesserung seiner zerrissenen Kleidung Schmeichelgesänge auf pwo_224.035 die Stadt anzustimmen. Ebenso erscheint der Wahrsager, auch er des pwo_224.036 Lohnes wegen zudringend, um durch seine Ueberdreistigkeit schließlich

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/238>, abgerufen am 09.11.2024.