Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_135.001 Der Zug zum Ethischen und Rhetorischen prägt sich vor pwo_135.008 "Bei der Fest' anringenden Kämpfen erwirbt pwo_135.015 pwo_135.025Sich den ersehnten Ruhm, wen vieler Kränze Gewind pwo_135.016 Ob des Siegs durch Hände die Locken geschmückt hat, pwo_135.017 Oder um Schnelle des Laufs. pwo_135.018 Kundig wird durch Götter die Stärke der Männer. pwo_135.019 Doch nur allein zween Güter weiden pwo_135.020 Unsres Lebens süßesten Glanz bei dem schönentblühten Segen, pwo_135.021 Wenn im Glück jemand das erhebende Wort hört. pwo_135.022 Strebe dann nicht Zeus zu sein, weil alles dein, pwo_135.023 Wenn zu dir dies Los des Erfreulichen kam. pwo_135.024 Menschen ziemt menschliches Teil." Es kann nicht Wunder nehmen, daß dieser ethisch feierliche Stil unter pwo_135.026 Ausläufer oder Nachwirkungen der lyrischen Entwicklung bei den pwo_135.029 pwo_135.001 Der Zug zum Ethischen und Rhetorischen prägt sich vor pwo_135.008 „Bei der Fest' anringenden Kämpfen erwirbt pwo_135.015 pwo_135.025Sich den ersehnten Ruhm, wen vieler Kränze Gewind pwo_135.016 Ob des Siegs durch Hände die Locken geschmückt hat, pwo_135.017 Oder um Schnelle des Laufs. pwo_135.018 Kundig wird durch Götter die Stärke der Männer. pwo_135.019 Doch nur allein zween Güter weiden pwo_135.020 Unsres Lebens süßesten Glanz bei dem schönentblühten Segen, pwo_135.021 Wenn im Glück jemand das erhebende Wort hört. pwo_135.022 Strebe dann nicht Zeus zu sein, weil alles dein, pwo_135.023 Wenn zu dir dies Los des Erfreulichen kam. pwo_135.024 Menschen ziemt menschliches Teil.“ Es kann nicht Wunder nehmen, daß dieser ethisch feierliche Stil unter pwo_135.026 Ausläufer oder Nachwirkungen der lyrischen Entwicklung bei den pwo_135.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0149" n="135"/><lb n="pwo_135.001"/> spielerischer Kunstfertigkeit gehen die Lieder hervor; die Motive erschöpfen <lb n="pwo_135.002"/> und wiederholen sich. – Die zweite, jüngere Sammlung <lb n="pwo_135.003"/> anakreontischer Epigonen verfällt noch auf weiteren Strecken stofflich <lb n="pwo_135.004"/> ins Leere, formell ins Verkünstelte; Rhetorik tritt vorherrschend an <lb n="pwo_135.005"/> die Stelle von Gestaltung, obschon vereinzelt noch immer die Entfaltung <lb n="pwo_135.006"/> einer anmutigen Scene gelingt.</p> <lb n="pwo_135.007"/> <p> Der Zug zum <hi rendition="#g">Ethischen</hi> und <hi rendition="#g">Rhetorischen</hi> prägt sich vor <lb n="pwo_135.008"/> allem der chorischen Lyrik auf, der noch eine späte Blüte beschieden <lb n="pwo_135.009"/> ist. Pindar bewahrt in der alten Mythenwelt seinen Dichtungen zwar <lb n="pwo_135.010"/> einen meist ausgedehnten erzählenden Gehalt, aber von subjektivem <lb n="pwo_135.011"/> Gefühl durchdrungen und erweicht, auf allgemeine Gedanken, Reflexion, <lb n="pwo_135.012"/> didaktische Antriebe zugespitzt. Freilich erstarrt er nicht in trockener <lb n="pwo_135.013"/> Gnomik; in üppiger Pracht rauschen die Strophen dahin:</p> <lb n="pwo_135.014"/> <lg> <l>„Bei der Fest' anringenden Kämpfen erwirbt</l> <lb n="pwo_135.015"/> <l>Sich den ersehnten Ruhm, wen vieler Kränze Gewind</l> <lb n="pwo_135.016"/> <l>Ob des Siegs durch Hände die Locken geschmückt hat,</l> <lb n="pwo_135.017"/> <l>Oder um Schnelle des Laufs.</l> <lb n="pwo_135.018"/> <l>Kundig wird durch Götter die Stärke der Männer.</l> <lb n="pwo_135.019"/> <l>Doch nur allein zween Güter weiden</l> <lb n="pwo_135.020"/> <l>Unsres Lebens süßesten Glanz bei dem schönentblühten Segen,</l> <lb n="pwo_135.021"/> <l> Wenn im Glück jemand das erhebende Wort hört.</l> <lb n="pwo_135.022"/> <l>Strebe dann nicht Zeus zu sein, weil alles dein,</l> <lb n="pwo_135.023"/> <l>Wenn zu dir dies Los des Erfreulichen kam.</l> <lb n="pwo_135.024"/> <l>Menschen ziemt menschliches Teil.“</l> </lg> <lb n="pwo_135.025"/> <p>Es kann nicht Wunder nehmen, daß dieser ethisch feierliche Stil unter <lb n="pwo_135.026"/> den Händen unfähiger Nachahmer in überladenen Schwulst und in <lb n="pwo_135.027"/> Dunkelheit verfällt.</p> <lb n="pwo_135.028"/> <p> Ausläufer oder Nachwirkungen der lyrischen Entwicklung bei den <lb n="pwo_135.029"/> Griechen haben wir in der rhetorischen Lyrik der <hi rendition="#g">Römer</hi> zu sehen. – <lb n="pwo_135.030"/> Auf griechischem Boden reißt der im Dionysoskult erwachsene, mit <lb n="pwo_135.031"/> der chorischen Lyrik verwandte, im Kern stark episch gefärbte <hi rendition="#g">Dithyrambos</hi> <lb n="pwo_135.032"/> die Herrschaft an sich, dessen lyrische Partieen in bacchantische <lb n="pwo_135.033"/> Ueberschwänglichkeit entarteten, ebenso wie das Uebergreifen der musikalischen <lb n="pwo_135.034"/> Begleitung eine Auflösung der alten dichterischen Form begünstigt. <lb n="pwo_135.035"/> Jndem er aber dem Chor den Einzelmenschen scenisch und <lb n="pwo_135.036"/> mimisch gegenüberstellte, ward der Dithyrambos zum Vater des <lb n="pwo_135.037"/> Dramas. –</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0149]
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spielerischer Kunstfertigkeit gehen die Lieder hervor; die Motive erschöpfen pwo_135.002
und wiederholen sich. – Die zweite, jüngere Sammlung pwo_135.003
anakreontischer Epigonen verfällt noch auf weiteren Strecken stofflich pwo_135.004
ins Leere, formell ins Verkünstelte; Rhetorik tritt vorherrschend an pwo_135.005
die Stelle von Gestaltung, obschon vereinzelt noch immer die Entfaltung pwo_135.006
einer anmutigen Scene gelingt.
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Der Zug zum Ethischen und Rhetorischen prägt sich vor pwo_135.008
allem der chorischen Lyrik auf, der noch eine späte Blüte beschieden pwo_135.009
ist. Pindar bewahrt in der alten Mythenwelt seinen Dichtungen zwar pwo_135.010
einen meist ausgedehnten erzählenden Gehalt, aber von subjektivem pwo_135.011
Gefühl durchdrungen und erweicht, auf allgemeine Gedanken, Reflexion, pwo_135.012
didaktische Antriebe zugespitzt. Freilich erstarrt er nicht in trockener pwo_135.013
Gnomik; in üppiger Pracht rauschen die Strophen dahin:
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„Bei der Fest' anringenden Kämpfen erwirbt pwo_135.015
Sich den ersehnten Ruhm, wen vieler Kränze Gewind pwo_135.016
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Wenn im Glück jemand das erhebende Wort hört. pwo_135.022
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Menschen ziemt menschliches Teil.“
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Es kann nicht Wunder nehmen, daß dieser ethisch feierliche Stil unter pwo_135.026
den Händen unfähiger Nachahmer in überladenen Schwulst und in pwo_135.027
Dunkelheit verfällt.
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Ausläufer oder Nachwirkungen der lyrischen Entwicklung bei den pwo_135.029
Griechen haben wir in der rhetorischen Lyrik der Römer zu sehen. – pwo_135.030
Auf griechischem Boden reißt der im Dionysoskult erwachsene, mit pwo_135.031
der chorischen Lyrik verwandte, im Kern stark episch gefärbte Dithyrambos pwo_135.032
die Herrschaft an sich, dessen lyrische Partieen in bacchantische pwo_135.033
Ueberschwänglichkeit entarteten, ebenso wie das Uebergreifen der musikalischen pwo_135.034
Begleitung eine Auflösung der alten dichterischen Form begünstigt. pwo_135.035
Jndem er aber dem Chor den Einzelmenschen scenisch und pwo_135.036
mimisch gegenüberstellte, ward der Dithyrambos zum Vater des pwo_135.037
Dramas. –
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