Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_133.001 "Keiner bereitet sich selbst von den Sterblichen Segen und Unheil, pwo_133.006 pwo_133.009Sondern die Götter, o Freund, sind es, die beides verleihn. pwo_133.007 Was auch immer der Mensch anstrebt: nie weiß er im Herzen, pwo_133.008 Ob es zu freudigem Ziel, ob es zu trübem gerät" &c. So erfolgt der Uebergang zur Allegorie immer entschiedener: pwo_133.010"Einzig die Hoffnung blieb von den Himmlischen unter den Menschen, pwo_133.011 pwo_133.014Zu den olympischen Höh'n kehrten die übrigen heim. pwo_133.012 Treue, die mächtige Göttin, entwich, es entwich die gestrenge pwo_133.013 Zucht und die Grazien, Freund, suchst du auf Erden umsonst." Aber solche Betrachtungen bleiben selten ausschließlich rückblickend, sondern pwo_133.015 "Aber so lange du lebst und das Licht noch schauest der Sonne, pwo_133.018 pwo_133.021Klammre mit treuem Gemüt fest an die Hoffnung dich an, pwo_133.019 Und wenn unter Gebet süßduftendes Opfer du zündest, pwo_133.020 Sei es zuerst und zuletzt immer der Hoffnung geweiht." Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß mit ethisch-didaktischen Antrieben pwo_133.022 Jnzwischen entfernt sich das Melos weiterhin von seinen Grundlagen. pwo_133.028 pwo_133.001 „Keiner bereitet sich selbst von den Sterblichen Segen und Unheil, pwo_133.006 pwo_133.009Sondern die Götter, o Freund, sind es, die beides verleihn. pwo_133.007 Was auch immer der Mensch anstrebt: nie weiß er im Herzen, pwo_133.008 Ob es zu freudigem Ziel, ob es zu trübem gerät“ &c. So erfolgt der Uebergang zur Allegorie immer entschiedener: pwo_133.010„Einzig die Hoffnung blieb von den Himmlischen unter den Menschen, pwo_133.011 pwo_133.014Zu den olympischen Höh'n kehrten die übrigen heim. pwo_133.012 Treue, die mächtige Göttin, entwich, es entwich die gestrenge pwo_133.013 Zucht und die Grazien, Freund, suchst du auf Erden umsonst.“ Aber solche Betrachtungen bleiben selten ausschließlich rückblickend, sondern pwo_133.015 „Aber so lange du lebst und das Licht noch schauest der Sonne, pwo_133.018 pwo_133.021Klammre mit treuem Gemüt fest an die Hoffnung dich an, pwo_133.019 Und wenn unter Gebet süßduftendes Opfer du zündest, pwo_133.020 Sei es zuerst und zuletzt immer der Hoffnung geweiht.“ Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß mit ethisch-didaktischen Antrieben pwo_133.022 Jnzwischen entfernt sich das Melos weiterhin von seinen Grundlagen. pwo_133.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0147" n="133"/><lb n="pwo_133.001"/> Begebenheit entspringen – wie es im Keim ursprünglicher Lyrik <lb n="pwo_133.002"/> lag –: vielmehr <hi rendition="#g">allgemeine Lebenserfahrungen, Lebensauffassungen,</hi> <lb n="pwo_133.003"/> Meinungen, die sich völlig von objektiven Geschehnissen <lb n="pwo_133.004"/> emanzipiert haben.</p> <lb n="pwo_133.005"/> <lg> <l>„Keiner bereitet sich selbst von den Sterblichen Segen und Unheil,</l> <lb n="pwo_133.006"/> <l>Sondern die Götter, o Freund, sind es, die beides verleihn.</l> <lb n="pwo_133.007"/> <l>Was auch immer der Mensch anstrebt: nie weiß er im Herzen,</l> <lb n="pwo_133.008"/> <l>Ob es zu freudigem Ziel, ob es zu trübem gerät“ &c.</l> </lg> <lb n="pwo_133.009"/> <p>So erfolgt der Uebergang zur <hi rendition="#g">Allegorie</hi> immer entschiedener:</p> <lb n="pwo_133.010"/> <lg> <l>„Einzig die Hoffnung blieb von den Himmlischen unter den Menschen,</l> <lb n="pwo_133.011"/> <l>Zu den olympischen Höh'n kehrten die übrigen heim.</l> <lb n="pwo_133.012"/> <l>Treue, die mächtige Göttin, entwich, es entwich die gestrenge</l> <lb n="pwo_133.013"/> <l>Zucht und die Grazien, Freund, suchst du auf Erden umsonst.“</l> </lg> <lb n="pwo_133.014"/> <p>Aber solche Betrachtungen bleiben selten ausschließlich rückblickend, sondern <lb n="pwo_133.015"/> zielen gern direkt auf ethischen Antrieb für die Zukunft. Derart <lb n="pwo_133.016"/> schließt diese Elegie:</p> <lb n="pwo_133.017"/> <lg> <l>„Aber so lange du lebst und das Licht noch schauest der Sonne,</l> <lb n="pwo_133.018"/> <l>Klammre mit treuem Gemüt fest an die Hoffnung dich an,</l> <lb n="pwo_133.019"/> <l>Und wenn unter Gebet süßduftendes Opfer du zündest,</l> <lb n="pwo_133.020"/> <l>Sei es zuerst und zuletzt immer der Hoffnung geweiht.“</l> </lg> <lb n="pwo_133.021"/> <p>Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß mit ethisch-didaktischen Antrieben <lb n="pwo_133.022"/> ein Ziel erreicht ist, auf welches von vorn herein die Tendenz der <lb n="pwo_133.023"/> lyrischen Entwicklung hinweist. Die Jnterjektion, der Anruf, also <lb n="pwo_133.024"/> das Mittel, welches dem erzählenden Kern ursprünglich lyrischen Accent <lb n="pwo_133.025"/> verleiht, nimmt gerade im alten Griechenland, das sehr zu gnomischer <lb n="pwo_133.026"/> Beschaulichkeit neigt, bald den Charakter einer ethischen Weisung an.</p> <lb n="pwo_133.027"/> <p> Jnzwischen entfernt sich das Melos weiterhin von seinen Grundlagen. <lb n="pwo_133.028"/> Für Sänger wie Jbykos und Anakreon, die am Hofe des <lb n="pwo_133.029"/> Polykrates von Samos lebten, ist das Streben nach Schlichtheit und <lb n="pwo_133.030"/> einfacher Natürlichkeit kein Jdeal mehr; wonach sie jagen, ist Glanz, <lb n="pwo_133.031"/> zierliche Anmut, künstlerische Eleganz, spielend leichter Fluß der Verse. <lb n="pwo_133.032"/> Höfischer Lebensgenuß, Liebe und Wein herrschen als Stoffe vor, <lb n="pwo_133.033"/> und nicht die Herzensneigung zu der einen Erwählten, sondern Genußsucht, <lb n="pwo_133.034"/> die von einem Gegenstand – nicht nur Frauen, auch Knaben <lb n="pwo_133.035"/> – zum andern spielt. Während Jbykos in seiner Leidenschaft <lb n="pwo_133.036"/> noch eine gewisse Schwermut bewahrt, auch mythische Themata gern </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0147]
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Begebenheit entspringen – wie es im Keim ursprünglicher Lyrik pwo_133.002
lag –: vielmehr allgemeine Lebenserfahrungen, Lebensauffassungen, pwo_133.003
Meinungen, die sich völlig von objektiven Geschehnissen pwo_133.004
emanzipiert haben.
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„Keiner bereitet sich selbst von den Sterblichen Segen und Unheil, pwo_133.006
Sondern die Götter, o Freund, sind es, die beides verleihn. pwo_133.007
Was auch immer der Mensch anstrebt: nie weiß er im Herzen, pwo_133.008
Ob es zu freudigem Ziel, ob es zu trübem gerät“ &c.
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So erfolgt der Uebergang zur Allegorie immer entschiedener:
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„Einzig die Hoffnung blieb von den Himmlischen unter den Menschen, pwo_133.011
Zu den olympischen Höh'n kehrten die übrigen heim. pwo_133.012
Treue, die mächtige Göttin, entwich, es entwich die gestrenge pwo_133.013
Zucht und die Grazien, Freund, suchst du auf Erden umsonst.“
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Aber solche Betrachtungen bleiben selten ausschließlich rückblickend, sondern pwo_133.015
zielen gern direkt auf ethischen Antrieb für die Zukunft. Derart pwo_133.016
schließt diese Elegie:
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„Aber so lange du lebst und das Licht noch schauest der Sonne, pwo_133.018
Klammre mit treuem Gemüt fest an die Hoffnung dich an, pwo_133.019
Und wenn unter Gebet süßduftendes Opfer du zündest, pwo_133.020
Sei es zuerst und zuletzt immer der Hoffnung geweiht.“
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Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß mit ethisch-didaktischen Antrieben pwo_133.022
ein Ziel erreicht ist, auf welches von vorn herein die Tendenz der pwo_133.023
lyrischen Entwicklung hinweist. Die Jnterjektion, der Anruf, also pwo_133.024
das Mittel, welches dem erzählenden Kern ursprünglich lyrischen Accent pwo_133.025
verleiht, nimmt gerade im alten Griechenland, das sehr zu gnomischer pwo_133.026
Beschaulichkeit neigt, bald den Charakter einer ethischen Weisung an.
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Jnzwischen entfernt sich das Melos weiterhin von seinen Grundlagen. pwo_133.028
Für Sänger wie Jbykos und Anakreon, die am Hofe des pwo_133.029
Polykrates von Samos lebten, ist das Streben nach Schlichtheit und pwo_133.030
einfacher Natürlichkeit kein Jdeal mehr; wonach sie jagen, ist Glanz, pwo_133.031
zierliche Anmut, künstlerische Eleganz, spielend leichter Fluß der Verse. pwo_133.032
Höfischer Lebensgenuß, Liebe und Wein herrschen als Stoffe vor, pwo_133.033
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die von einem Gegenstand – nicht nur Frauen, auch Knaben pwo_133.035
– zum andern spielt. Während Jbykos in seiner Leidenschaft pwo_133.036
noch eine gewisse Schwermut bewahrt, auch mythische Themata gern
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