Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_124.001 Deine Backen stehen lieblich in den Spangen, und dein pwo_124.002 Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen pwo_124.004 Auch die Scenerie ist fort und fort ausgemalt: pwo_124.006 "Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg pwo_124.007 Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist pwo_124.009 Der Umfang ist noch ausgedehnt genug, um zwar ein entschiedenes pwo_124.012 Suchen wir neben solchen Berührungen mit dem epischen Lied die pwo_124.015 "Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes." pwo_124.027Jn Ausrufen bricht fortgesetzt die Empfindung durch das darstellende pwo_124.028 pwo_124.031 "Wie schön und lieblich bist du", pwo_124.032 "Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter!" pwo_124.033 pwo_124.001 Deine Backen stehen lieblich in den Spangen, und dein pwo_124.002 Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen pwo_124.004 Auch die Scenerie ist fort und fort ausgemalt: pwo_124.006 „Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg pwo_124.007 Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist pwo_124.009 Der Umfang ist noch ausgedehnt genug, um zwar ein entschiedenes pwo_124.012 Suchen wir neben solchen Berührungen mit dem epischen Lied die pwo_124.015 „Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes.“ pwo_124.027Jn Ausrufen bricht fortgesetzt die Empfindung durch das darstellende pwo_124.028 pwo_124.031 „Wie schön und lieblich bist du“, pwo_124.032 „Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter!“ pwo_124.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0138" n="124"/> <lb n="pwo_124.001"/> <p> <hi rendition="#et"> Deine Backen stehen lieblich in den Spangen, und dein <lb n="pwo_124.002"/> Hals in den Ketten ...</hi> </p> <lb n="pwo_124.003"/> <p> <hi rendition="#et"> Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen <lb n="pwo_124.004"/> Zöpfen ...“</hi> </p> <lb n="pwo_124.005"/> <p>Auch die <hi rendition="#g">Scenerie</hi> ist fort und fort ausgemalt:</p> <lb n="pwo_124.006"/> <p> <hi rendition="#et"> „Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg <lb n="pwo_124.007"/> und dahin.</hi> </p> <lb n="pwo_124.008"/> <p> <hi rendition="#et"> Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist <lb n="pwo_124.009"/> herbeigekommen, und die Turteltaube läßt sich hören in <lb n="pwo_124.010"/> unserm Lande ...“</hi> </p> <lb n="pwo_124.011"/> <p> Der Umfang ist noch ausgedehnt genug, um zwar ein entschiedenes <lb n="pwo_124.012"/> Zurückbleiben hinter der Epopöe, aber keineswegs hinter dem <lb n="pwo_124.013"/> epischen Sang erkennen zu lassen.</p> <lb n="pwo_124.014"/> <p> Suchen wir neben solchen Berührungen mit dem epischen Lied die <lb n="pwo_124.015"/> charakteristischen Merkmale eines neuen Stils, so bekundet sich die Abweichung <lb n="pwo_124.016"/> ersichtlich <hi rendition="#g">in erster Linie durch den Stoff:</hi> statt geschichtlicher <lb n="pwo_124.017"/> Ereignisse oder solcher, die geschichtlichen Schein annehmen, <lb n="pwo_124.018"/> bildet ein <hi rendition="#g">individuelles</hi> Erlebnis den Kern des Gedichtes. Was <lb n="pwo_124.019"/> den Stil betrifft, so sind die altüberlieferten epischen Darstellungsmittel <lb n="pwo_124.020"/> nicht mehr Selbstzweck zur Erzählung eines vergangenen, einmaligen <lb n="pwo_124.021"/> Ereignisses, sondern in den Dienst einer <hi rendition="#g">gegenwärtigen</hi> und <hi rendition="#g">andauernden <lb n="pwo_124.022"/> Empfindung</hi> getreten: statt der Thatsachen herrscht die <lb n="pwo_124.023"/> Empfindung vor, statt vergangener Thatsachen gegenwärtige Empfindung, <lb n="pwo_124.024"/> statt einmaliger Thatsachen fortdauernde Empfindung. Gleich <lb n="pwo_124.025"/> in der <hi rendition="#g">Wunschform</hi> setzt das Hohelied ein:</p> <lb n="pwo_124.026"/> <p> <hi rendition="#et">„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes.“</hi> </p> <lb n="pwo_124.027"/> <p>Jn <hi rendition="#g">Ausrufen</hi> bricht fortgesetzt die Empfindung durch das darstellende <lb n="pwo_124.028"/> Gerippe; ja die Darstellung selbst, sowohl die Erzählung als die Beschreibung, <lb n="pwo_124.029"/> ist mit Vorliebe in die äußere Form des Ausrufs einbezogen:</p> <lb n="pwo_124.030"/> <lb n="pwo_124.031"/> <p> <hi rendition="#et"> „Wie schön und lieblich bist du“,</hi> </p> <lb n="pwo_124.032"/> <p> <hi rendition="#et"> „Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter!“ <lb n="pwo_124.033"/> u. dgl.</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0138]
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Deine Backen stehen lieblich in den Spangen, und dein pwo_124.002
Hals in den Ketten ...
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Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen pwo_124.004
Zöpfen ...“
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Auch die Scenerie ist fort und fort ausgemalt:
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„Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg pwo_124.007
und dahin.
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Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist pwo_124.009
herbeigekommen, und die Turteltaube läßt sich hören in pwo_124.010
unserm Lande ...“
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Der Umfang ist noch ausgedehnt genug, um zwar ein entschiedenes pwo_124.012
Zurückbleiben hinter der Epopöe, aber keineswegs hinter dem pwo_124.013
epischen Sang erkennen zu lassen.
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Suchen wir neben solchen Berührungen mit dem epischen Lied die pwo_124.015
charakteristischen Merkmale eines neuen Stils, so bekundet sich die Abweichung pwo_124.016
ersichtlich in erster Linie durch den Stoff: statt geschichtlicher pwo_124.017
Ereignisse oder solcher, die geschichtlichen Schein annehmen, pwo_124.018
bildet ein individuelles Erlebnis den Kern des Gedichtes. Was pwo_124.019
den Stil betrifft, so sind die altüberlieferten epischen Darstellungsmittel pwo_124.020
nicht mehr Selbstzweck zur Erzählung eines vergangenen, einmaligen pwo_124.021
Ereignisses, sondern in den Dienst einer gegenwärtigen und andauernden pwo_124.022
Empfindung getreten: statt der Thatsachen herrscht die pwo_124.023
Empfindung vor, statt vergangener Thatsachen gegenwärtige Empfindung, pwo_124.024
statt einmaliger Thatsachen fortdauernde Empfindung. Gleich pwo_124.025
in der Wunschform setzt das Hohelied ein:
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„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes.“
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Jn Ausrufen bricht fortgesetzt die Empfindung durch das darstellende pwo_124.028
Gerippe; ja die Darstellung selbst, sowohl die Erzählung als die Beschreibung, pwo_124.029
ist mit Vorliebe in die äußere Form des Ausrufs einbezogen:
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„Wie schön und lieblich bist du“,
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„Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter!“ pwo_124.033
u. dgl.
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