Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723.der Menschen und Thiere etc. schon ihrer wahrer Gestalt nach im kleinengebildet in dem Eyerlein anzutreffen: wel- che Meinung auch noch die meisten Medici und Physici hegen. Daher gab es keine Schwierigkeit anzunehmen, daß die so ge- nannte kleine Abbildungen der Frucht (rudimenta foetus) von Anbeginn der Welt vorhanden gewesen, und zwar in eben der Gestalt, wie sie in dem Eyerlein des Weibleins anzutreffen. Und wenn man gefragt, wie sie da hinein kommen; so theilen sich die Naturkündiger wie bey den Pflantzen (§. 407) in zwey Classen und ei- nige setzen mit Malebranche, sie wären al- le in dem ersten Thiere von jeder Art würck- lich vorhanden gewesen; die andern hinge- gen behaupten mit Honorato Fabry, Per- rault und Sturmen, daß sie in der Lufft, dem Wasser und der Erde vorhanden und mit Speise und Tranck in den Leib kommen. Wir wissen, daß die Abbildung der Frucht durch den Saamen des Männleins in das Eyerlein gebracht wird (§. 444.), diese aber wird von dem Geblütte abgesondert und das Geblütte kommet von Speise und Tranck (§. 414.). Und demnach erhält die Sturmische Meinung dadurch nicht we- nig Wahrscheinlichkeit. Allein nur ist noch eine grosse Schwierigkeit, die nicht leicht zu heben: Denn entweder es müssen in
der Menſchen und Thiere ꝛc. ſchon ihrer wahrer Geſtalt nach im kleinengebildet in dem Eyerlein anzutreffen: wel- che Meinung auch noch die meiſten Medici und Phyſici hegen. Daher gab es keine Schwierigkeit anzunehmen, daß die ſo ge- nannte kleine Abbildungen der Frucht (rudimenta fœtus) von Anbeginn der Welt vorhanden geweſen, und zwar in eben der Geſtalt, wie ſie in dem Eyerlein des Weibleins anzutreffen. Und wenn man gefragt, wie ſie da hinein kommen; ſo theilen ſich die Naturkuͤndiger wie bey den Pflantzen (§. 407) in zwey Claſſen und ei- nige ſetzen mit Malebranche, ſie waͤren al- le in dem erſten Thiere von jeder Art wuͤrck- lich vorhanden geweſen; die andern hinge- gen behaupten mit Honorato Fabry, Per- rault und Sturmen, daß ſie in der Lufft, dem Waſſer und der Erde vorhanden und mit Speiſe und Tranck in den Leib kommen. Wir wiſſen, daß die Abbildung der Frucht durch den Saamen des Maͤnnleins in das Eyerlein gebracht wird (§. 444.), dieſe aber wird von dem Gebluͤtte abgeſondert und das Gebluͤtte kommet von Speiſe und Tranck (§. 414.). Und demnach erhaͤlt die Sturmiſche Meinung dadurch nicht we- nig Wahrſcheinlichkeit. Allein nur iſt noch eine groſſe Schwierigkeit, die nicht leicht zu heben: Denn entweder es muͤſſen in
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der Menſchen und Thiere ꝛc.
ſchon ihrer wahrer Geſtalt nach im kleinen
gebildet in dem Eyerlein anzutreffen: wel-
che Meinung auch noch die meiſten Medici
und Phyſici hegen. Daher gab es keine
Schwierigkeit anzunehmen, daß die ſo ge-
nannte kleine Abbildungen der Frucht
(rudimenta fœtus) von Anbeginn der
Welt vorhanden geweſen, und zwar in eben
der Geſtalt, wie ſie in dem Eyerlein des
Weibleins anzutreffen. Und wenn man
gefragt, wie ſie da hinein kommen; ſo
theilen ſich die Naturkuͤndiger wie bey den
Pflantzen (§. 407) in zwey Claſſen und ei-
nige ſetzen mit Malebranche, ſie waͤren al-
le in dem erſten Thiere von jeder Art wuͤrck-
lich vorhanden geweſen; die andern hinge-
gen behaupten mit Honorato Fabry, Per-
rault und Sturmen, daß ſie in der Lufft,
dem Waſſer und der Erde vorhanden und
mit Speiſe und Tranck in den Leib kommen.
Wir wiſſen, daß die Abbildung der Frucht
durch den Saamen des Maͤnnleins in das
Eyerlein gebracht wird (§. 444.), dieſe aber
wird von dem Gebluͤtte abgeſondert und
das Gebluͤtte kommet von Speiſe und
Tranck (§. 414.). Und demnach erhaͤlt die
Sturmiſche Meinung dadurch nicht we-
nig Wahrſcheinlichkeit. Allein nur iſt
noch eine groſſe Schwierigkeit, die nicht
leicht zu heben: Denn entweder es muͤſſen
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