Der vornehmste unter den Sin- nen ist das Gesichte (§. 827 Met.) und die- net darzu das Auge. Dessen Bau habe ich zwar schon anderswo (§. 22 Optic.) erkläret: allein da nicht alle die Mathema- tick studiren, welche sich auf die Physick le- gen, muß ich hier davon wiederhohlen, auch zum Theil weiter ausführen, was davon in gegenwärtigem Orte zu wissen nöthig ist. Denn wir haben hier eine andere Absicht, als in der Optick. Dort verlangen wir bloß einen Grund, daraus sich die Regeln des Sehens erklären lassen: hier aber su- chen wir die gantze Veränderung, so viel es der Zustand der Sache leidet, die in dem Lei- be vorgehet, zu begreiffen. Das fördere Theil des Auges ist eine durchsichtige Haut, dadurch das Licht in das Auge fället, welche die Horn-Haut (cornea) genennet wird. Darunter ist der Stern (Pupilla) oder eine Eröffnung, welche sich bald in die Enge zu- sammen ziehet, bald weiter aus einander giebet, nachdem viel oder wenig Licht hinein fället. Sie ist in der farbigen Haut, davon der Theil, so durch die Horn-Haut durch- schimmert, der Regenbogen (Iris) genannt wird. Die in der Horn-Haut verknüpffte harte Haut (Sclerotica) befestiget das Au- ge und wrd nicht unrein wegen des weissen Häutleins (Adnata), damit sie überzogen. Ja weil sie dadurch glatt ist, lässet sich das
Auge
Cap. XIV. Von den Sinnen.
Wie das Sehen geſchie- het.
§. 426.
Der vornehmſte unter den Sin- nen iſt das Geſichte (§. 827 Met.) und die- net darzu das Auge. Deſſen Bau habe ich zwar ſchon anderswo (§. 22 Optic.) erklaͤret: allein da nicht alle die Mathema- tick ſtudiren, welche ſich auf die Phyſick le- gen, muß ich hier davon wiederhohlen, auch zum Theil weiter ausfuͤhren, was davon in gegenwaͤrtigem Orte zu wiſſen noͤthig iſt. Denn wir haben hier eine andere Abſicht, als in der Optick. Dort verlangen wir bloß einen Grund, daraus ſich die Regeln des Sehens erklaͤren laſſen: hier aber ſu- chen wir die gantze Veraͤnderung, ſo viel es der Zuſtand der Sache leidet, die in dem Lei- be vorgehet, zu begreiffen. Das foͤrdere Theil des Auges iſt eine durchſichtige Haut, dadurch das Licht in das Auge faͤllet, welche die Horn-Haut (cornea) genennet wird. Darunter iſt der Stern (Pupilla) oder eine Eroͤffnung, welche ſich bald in die Enge zu- ſammen ziehet, bald weiter aus einander giebet, nachdem viel oder wenig Licht hinein faͤllet. Sie iſt in der farbigen Haut, davon der Theil, ſo durch die Horn-Haut durch- ſchimmert, der Regenbogen (Iris) genannt wird. Die in der Horn-Haut verknuͤpffte harte Haut (Sclerotica) befeſtiget das Au- ge und wrd nicht unrein wegen des weiſſen Haͤutleins (Adnata), damit ſie uͤberzogen. Ja weil ſie dadurch glatt iſt, laͤſſet ſich das
Auge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0720"n="684"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">Cap. XIV.</hi> Von den Sinnen.</hi></fw><lb/><noteplace="left">Wie das<lb/>
Sehen<lb/>
geſchie-<lb/>
het.</note></div><lb/><divn="4"><head>§. 426.</head><p>Der vornehmſte unter den Sin-<lb/>
nen iſt das Geſichte (§. 827 <hirendition="#aq">Met.</hi>) und die-<lb/>
net darzu das Auge. Deſſen Bau habe<lb/>
ich zwar ſchon anderswo (§. 22 <hirendition="#aq">Optic.</hi>)<lb/>
erklaͤret: allein da nicht alle die Mathema-<lb/>
tick ſtudiren, welche ſich auf die Phyſick le-<lb/>
gen, muß ich hier davon wiederhohlen, auch<lb/>
zum Theil weiter ausfuͤhren, was davon in<lb/>
gegenwaͤrtigem Orte zu wiſſen noͤthig iſt.<lb/>
Denn wir haben hier eine andere Abſicht,<lb/>
als in der Optick. Dort verlangen wir<lb/>
bloß einen Grund, daraus ſich die Regeln<lb/>
des Sehens erklaͤren laſſen: hier aber ſu-<lb/>
chen wir die gantze Veraͤnderung, ſo viel es<lb/>
der Zuſtand der Sache leidet, die in dem Lei-<lb/>
be vorgehet, zu begreiffen. Das foͤrdere<lb/>
Theil des Auges iſt eine durchſichtige Haut,<lb/>
dadurch das Licht in das Auge faͤllet, welche<lb/>
die <hirendition="#fr">Horn-Haut</hi> (<hirendition="#aq"><hirendition="#i">cornea</hi></hi>) genennet wird.<lb/>
Darunter iſt der <hirendition="#fr">Stern</hi> (<hirendition="#aq"><hirendition="#i">Pupilla</hi></hi>) oder eine<lb/>
Eroͤffnung, welche ſich bald in die Enge zu-<lb/>ſammen ziehet, bald weiter aus einander<lb/>
giebet, nachdem viel oder wenig Licht hinein<lb/>
faͤllet. Sie iſt in der farbigen Haut, davon<lb/>
der Theil, ſo durch die Horn-Haut durch-<lb/>ſchimmert, der <hirendition="#fr">Regenbogen</hi> (<hirendition="#aq"><hirendition="#i">Iris</hi></hi>) genannt<lb/>
wird. Die in der Horn-Haut verknuͤpffte<lb/><hirendition="#fr">harte Haut</hi> (<hirendition="#aq"><hirendition="#i">Sclerotica</hi></hi>) befeſtiget das Au-<lb/>
ge und wrd nicht unrein wegen des <hirendition="#fr">weiſſen<lb/>
Haͤutleins</hi> (<hirendition="#aq"><hirendition="#i">Adnata</hi></hi>), damit ſie uͤberzogen.<lb/>
Ja weil ſie dadurch glatt iſt, laͤſſet ſich das<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Auge</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[684/0720]
Cap. XIV. Von den Sinnen.
§. 426. Der vornehmſte unter den Sin-
nen iſt das Geſichte (§. 827 Met.) und die-
net darzu das Auge. Deſſen Bau habe
ich zwar ſchon anderswo (§. 22 Optic.)
erklaͤret: allein da nicht alle die Mathema-
tick ſtudiren, welche ſich auf die Phyſick le-
gen, muß ich hier davon wiederhohlen, auch
zum Theil weiter ausfuͤhren, was davon in
gegenwaͤrtigem Orte zu wiſſen noͤthig iſt.
Denn wir haben hier eine andere Abſicht,
als in der Optick. Dort verlangen wir
bloß einen Grund, daraus ſich die Regeln
des Sehens erklaͤren laſſen: hier aber ſu-
chen wir die gantze Veraͤnderung, ſo viel es
der Zuſtand der Sache leidet, die in dem Lei-
be vorgehet, zu begreiffen. Das foͤrdere
Theil des Auges iſt eine durchſichtige Haut,
dadurch das Licht in das Auge faͤllet, welche
die Horn-Haut (cornea) genennet wird.
Darunter iſt der Stern (Pupilla) oder eine
Eroͤffnung, welche ſich bald in die Enge zu-
ſammen ziehet, bald weiter aus einander
giebet, nachdem viel oder wenig Licht hinein
faͤllet. Sie iſt in der farbigen Haut, davon
der Theil, ſo durch die Horn-Haut durch-
ſchimmert, der Regenbogen (Iris) genannt
wird. Die in der Horn-Haut verknuͤpffte
harte Haut (Sclerotica) befeſtiget das Au-
ge und wrd nicht unrein wegen des weiſſen
Haͤutleins (Adnata), damit ſie uͤberzogen.
Ja weil ſie dadurch glatt iſt, laͤſſet ſich das
Auge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur. Halle (Saale), 1723, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_naturwuerckungen_1723/720>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.