Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Väterlichen Gesellschafft.
eines so schädlich, als das andere. Der
Mensch wird in beyden Fällen verderbet,
und was in der ersten Kindheit verdorben,
lässet sich nach diesem in erwachsenen Jah-
ren schweerlich ändern. Man hat aber
auf die natürlichen Neigungen der Kin-
der acht zu geben, wenn sie noch an ihrer
Mutter Brust liegen. Denn unerachtet
zur selbigen Zeit alle ihre Handlungen in
gantz wenigen Bewegungen des Leibes be-
stehen; so ist doch gewis, daß sie mit dem
Gemüthe übereinstimmen (§. 765 Met.)
und man auch darinnen ihren Grund fin-
den kan, und zwar um soviel leichter, je
weniger noch durch die Gewohnheit etwas
dazu kommen. Es zeiget sich hier ein Weg
allerhand nützliche Dinge zu beobachten;
sonderlich wenn man zugleich ans dem,
was man wahrnimmet, von den natürli-
chen Neigungen urtheilen und nach diesem
acht geben wolte, wie das Urtheil einge-
troffen, wenn sie sich durch verschtedene
Handlungen nach diesem deutlicher zeigen.

§. 98.

Nächst diesem hat man eine gros-Wie man
böse Ge-
wohnhet-
ten zu
verhü-
ten.

se Behutsamkeit zu gebrauchen, daß man
nichts schlimmes, oder auch nur derglei-
chen, daraus etwas schlimmes erwachsen
kan, zur Gewohnheit werden lässet, weil
sie nicht allein vor sich, das ist, in der Art
der Handlungen schadet, wo sie eingerissen
(§. 383 Mor.), sondern auch in anderen

ähn-
E 4

Vaͤterlichen Geſellſchafft.
eines ſo ſchaͤdlich, als das andere. Der
Menſch wird in beyden Faͤllen verderbet,
und was in der erſten Kindheit verdorben,
laͤſſet ſich nach dieſem in erwachſenen Jah-
ren ſchweerlich aͤndern. Man hat aber
auf die natuͤrlichen Neigungen der Kin-
der acht zu geben, wenn ſie noch an ihrer
Mutter Bruſt liegen. Denn unerachtet
zur ſelbigen Zeit alle ihre Handlungen in
gantz wenigen Bewegungen des Leibes be-
ſtehen; ſo iſt doch gewis, daß ſie mit dem
Gemuͤthe uͤbereinſtimmen (§. 765 Met.)
und man auch darinnen ihren Grund fin-
den kan, und zwar um ſoviel leichter, je
weniger noch durch die Gewohnheit etwas
dazu kommen. Es zeiget ſich hier ein Weg
allerhand nuͤtzliche Dinge zu beobachten;
ſonderlich wenn man zugleich ans dem,
was man wahrnimmet, von den natuͤrli-
chen Neigungen urtheilen und nach dieſem
acht geben wolte, wie das Urtheil einge-
troffen, wenn ſie ſich durch verſchtedene
Handlungen nach dieſem deutlicher zeigen.

§. 98.

Naͤchſt dieſem hat man eine groſ-Wie man
boͤſe Ge-
wohnhet-
ten zu
verhuͤ-
ten.

ſe Behutſamkeit zu gebrauchen, daß man
nichts ſchlimmes, oder auch nur derglei-
chen, daraus etwas ſchlimmes erwachſen
kan, zur Gewohnheit werden laͤſſet, weil
ſie nicht allein vor ſich, das iſt, in der Art
der Handlungen ſchadet, wo ſie eingeriſſen
(§. 383 Mor.), ſondern auch in anderen

aͤhn-
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0089" n="71"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Va&#x0364;terlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft.</hi></fw><lb/>
eines &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;dlich, als das andere. Der<lb/>
Men&#x017F;ch wird in beyden Fa&#x0364;llen verderbet,<lb/>
und was in der er&#x017F;ten Kindheit verdorben,<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich nach die&#x017F;em in erwach&#x017F;enen Jah-<lb/>
ren &#x017F;chweerlich a&#x0364;ndern. Man hat aber<lb/>
auf die natu&#x0364;rlichen Neigungen der Kin-<lb/>
der acht zu geben, wenn &#x017F;ie noch an ihrer<lb/>
Mutter Bru&#x017F;t liegen. Denn unerachtet<lb/>
zur &#x017F;elbigen Zeit alle ihre Handlungen in<lb/>
gantz wenigen Bewegungen des Leibes be-<lb/>
&#x017F;tehen; &#x017F;o i&#x017F;t doch gewis, daß &#x017F;ie mit dem<lb/>
Gemu&#x0364;the u&#x0364;berein&#x017F;timmen (§. 765 <hi rendition="#aq">Met.</hi>)<lb/>
und man auch darinnen ihren Grund fin-<lb/>
den kan, und zwar um &#x017F;oviel leichter, je<lb/>
weniger noch durch die Gewohnheit etwas<lb/>
dazu kommen. Es zeiget &#x017F;ich hier ein Weg<lb/>
allerhand nu&#x0364;tzliche Dinge zu beobachten;<lb/>
&#x017F;onderlich wenn man zugleich ans dem,<lb/>
was man wahrnimmet, von den natu&#x0364;rli-<lb/>
chen Neigungen urtheilen und nach die&#x017F;em<lb/>
acht geben wolte, wie das Urtheil einge-<lb/>
troffen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich durch ver&#x017F;chtedene<lb/>
Handlungen nach die&#x017F;em deutlicher zeigen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 98.</head>
              <p>Na&#x0364;ch&#x017F;t die&#x017F;em hat man eine gro&#x017F;-<note place="right">Wie man<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e Ge-<lb/>
wohnhet-<lb/>
ten zu<lb/>
verhu&#x0364;-<lb/>
ten.</note><lb/>
&#x017F;e Behut&#x017F;amkeit zu gebrauchen, daß man<lb/>
nichts &#x017F;chlimmes, oder auch nur derglei-<lb/>
chen, daraus etwas &#x017F;chlimmes erwach&#x017F;en<lb/>
kan, zur Gewohnheit werden la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, weil<lb/>
&#x017F;ie nicht allein vor &#x017F;ich, das i&#x017F;t, in der Art<lb/>
der Handlungen &#x017F;chadet, wo &#x017F;ie eingeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
(§. 383 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>), &#x017F;ondern auch in anderen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">a&#x0364;hn-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0089] Vaͤterlichen Geſellſchafft. eines ſo ſchaͤdlich, als das andere. Der Menſch wird in beyden Faͤllen verderbet, und was in der erſten Kindheit verdorben, laͤſſet ſich nach dieſem in erwachſenen Jah- ren ſchweerlich aͤndern. Man hat aber auf die natuͤrlichen Neigungen der Kin- der acht zu geben, wenn ſie noch an ihrer Mutter Bruſt liegen. Denn unerachtet zur ſelbigen Zeit alle ihre Handlungen in gantz wenigen Bewegungen des Leibes be- ſtehen; ſo iſt doch gewis, daß ſie mit dem Gemuͤthe uͤbereinſtimmen (§. 765 Met.) und man auch darinnen ihren Grund fin- den kan, und zwar um ſoviel leichter, je weniger noch durch die Gewohnheit etwas dazu kommen. Es zeiget ſich hier ein Weg allerhand nuͤtzliche Dinge zu beobachten; ſonderlich wenn man zugleich ans dem, was man wahrnimmet, von den natuͤrli- chen Neigungen urtheilen und nach dieſem acht geben wolte, wie das Urtheil einge- troffen, wenn ſie ſich durch verſchtedene Handlungen nach dieſem deutlicher zeigen. §. 98.Naͤchſt dieſem hat man eine groſ- ſe Behutſamkeit zu gebrauchen, daß man nichts ſchlimmes, oder auch nur derglei- chen, daraus etwas ſchlimmes erwachſen kan, zur Gewohnheit werden laͤſſet, weil ſie nicht allein vor ſich, das iſt, in der Art der Handlungen ſchadet, wo ſie eingeriſſen (§. 383 Mor.), ſondern auch in anderen aͤhn- Wie man boͤſe Ge- wohnhet- ten zu verhuͤ- ten. E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/89
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/89>, abgerufen am 05.05.2024.